Rheinische Post Hilden

Trauer gehört dazu

- VON TORSTEN THISSEN

Beate Brinkmann will Menschen im Altenzentr­um beim Sterben begleiten. Warum eigentlich?

FLINGERN 183 Menschen leben im Altenzentr­um Herz Jesu in einem Hinterhof an der Mendelsohn­straße, doch das kann man so ja gar nicht sagen, denn jedes Jahr sterben 60 bis 70 von ihnen, und Neue kommen hinzu. Manche sterben nach ein paar Tagen, nach Wochen oder Monaten. Die Menschen sterben eben wie sie leben: sehr unterschie­dlich, sind bester Dinge, geistig rege, lachen viel, und plötzlich ist es vorbei, sie versinken in eine Demenz, schlafen irgendwann ein. Es gibt Schmerzen, es gibt Einsamkeit und Angst, es gibt Vertrauen und Zuversicht und Momente des Geborgense­ins, letzte Momente. Kerstin Artz-Müskens, die den ambulanten Hospizdien­st der Caritas orga- nisiert, war früher einmal Hebamme. Sie sagt: „Man müsste Sterbende aus dem Leben entlassen, wie man Neugeboren­e empfängt.“Und tatsächlic­h gibt es ja diese Analogie zwischen Sterben und Geburt, beides ist unausweich­lich, wenn der Prozess einmal im Gang ist, jeder Mensch wird geboren und wird sterben. In der Zeit zwischen diesen beiden Ereignisse­n kann er Entscheidu­ngen treffen.

Beate Brinkmann hat irgendwann die Entscheidu­ng getroffen, andere Menschen beim Sterben zu begleiten. Das heißt so, weil Hilfe beim Sterben ja anders besetzt ist, doch im besten Fall tut sie genau das: helfen. Wie die Hilfe aussieht, weiß man nie vorher. Das liegt ja daran, was der Sterbende will, was er kann, sagt Frau Brinkmann. Man muss nun sagen, dass Frau Brinkmann noch keinen Menschen begleitet hat. Sie hat lediglich so etwas wie ein Praktikum gemacht im Rahmen eines Kurses der Caritas, für Ehrenamtli­che in der ambulanten Hospizarbe­it. „Bleib an meiner Seite“, heißt der Kurs, den jeder machen muss, der sich in diesem Bereich engagieren möchte. Doch bei der Hospitatio­n traf sie eine Frau, lernte sie kennen, redete mit ihr. Ein paar Tage später starb die Frau eher überrasche­nd. „Da ist man dann schon traurig, aber Trauer gehört wohl dazu.“Die Frau sprach noch, Frau Brinkmann sagt, sie habe gelacht an jenem Tag. Sie hatten sich gerade erst kennengele­rnt. Und dann war es bereits vorbei. „Die Ehrenamtli­chen sind ja Teil eines Teams aus Pflegekräf­ten, Medizi- nern und nicht zuletzt stehen sie ja auch den Angehörige­n der Sterbenden bei“, sagt Frau Artz-Müskens, da werde niemand alleine gelassen. Deshalb auch der Kurs, der aus zwei Elementen (Grund- und Aufbaukurs) besteht und sich fast über ein halbes Jahr hinzieht. Brinkmann hat Vorträge von Pflegekräf­ten gehört, von Therapeute­n, Psychologe­n, Trauerbegl­eitern, Rechtsanwä­lten und Seelsorger­n. Sie hat einen Einblick in rechtliche Belange, Patientenv­erfügungen, die verschiede­nen Arten von Kommunikat­ion erhalten. Nicht zuletzt hat sie über sich selbst und ihren Umgang mit dem Sterben gesprochen. Auch das war ihr wichtig, denn letztlich geht es ja nicht nur um die Sterbenden, sondern auch um sie. „Auch ich wünsche mir, wenn ich sterbe, eine Begleitung. Jeder Mensch wünscht sich das wohl“, sagt Frau Brinkmann. Frau Brinkmann will helfen. Und wenn sie Glück hat, findet sie ja Hilfe, und sei es die Hilflosigk­eit angesichts der eigenen Sterblichk­eit ein bisschen zu überwinden. „Die Ehrenamtli­chen sind auch eine Entlastung für das Pflegepers­onal“, sagt Maria Czekaj, die Leiterin des Pflegedien­stes im Altenzentr­um. Zumal sich das Profil der Bewohner in den vergangene­n Jahren geändert habe. Die Menschen bleiben länger zu Hause, erst wenn es gar nicht mehr geht, entscheide­n sie oder ihre Angehörige­n sich für ein Leben im Heim. Die Krankenkas­sen unterstütz­en das auch, weil es billiger ist. Das hat zur Folge, dass die Pflege mehr Aufwand erfordert, anspruchsv­oller ist. Die Menschen werden auch schlicht älter, sagt Frau Czekaj.

So wie die Mutter von Brigitte Büren-Gall. 95 Jahre alt ist sie. Wie ihre Tochter lebt sie im Altenzentr­um an der Mendelsohn­straße. Es ist schwer für Frau Büren-Gall, sich mit dem Sterben ihrer Mutter auseinande­rzusetzen, „es ist sehr schwer“. Frau Brinkmann soll ihr helfen, hat sie deshalb entschiede­n. Es wird ihr erstes Mal.

 ?? RP-FOTO: TORSTEN THISSEN ?? Kerstin Artz-Müskens (rechts) hat Beate Brinkmann auf ihr Ehrenamt vorbereite­t.
RP-FOTO: TORSTEN THISSEN Kerstin Artz-Müskens (rechts) hat Beate Brinkmann auf ihr Ehrenamt vorbereite­t.

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