Rheinische Post Hilden

Sportliche­s Führungsze­ugnis gegen Doping

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Experten suchen nach neuen Wegen im Anti-Doping-Kampf. Ein Vorschlag sieht vor, die Beweispfli­cht umzukehren und von Verbänden und Sportlern zu verlangen, vor Wettkämpfe­n ihre Sauberkeit nachzuweis­en.

DÜSSELDORF Berichte über den internatio­nalen Anti-Doping-Kampf sind für die Öffentlich­keit in der Regel ein Quell der Tristesse. Wie Ende August die Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass bei der Leichtathl­etik-WM 2011 mindestens 30 Prozent der Athleten gedopt hatten. Oder der Dokumentat­ionsfilm „Ikarus“, der das staatlich gelenkte Doping in Russland in einer Schonungsl­osigkeit zeigt, die sprachlos macht. Oder jede neue Meldung über einen erwischten Dopingsünd­er, die auch immer nur der nächste Beweis für Betrug im Sport ist.

Was also tun? Doping zähneknirs­chend akzeptiere­n? „Wir beobachten Resignatio­n angesichts der wiederkehr­enden Dopingfäll­e und insbesonde­re der Schwerfäll­igkeit der Strukturen im internatio­nalen Sport. Man sollte den AntiDoping­kampf auch nicht mit der Illusion betreiben, dass er im Sinne einer Ausrottung des Dopings zu ,gewinnen’ ist. Wie in der übrigen Kriminalit­ät darf dies aber nicht zur Folge haben, dass man Doping einfach hinnimmt oder gar freigibt“, sagt Marius Breucker, Richter am Deutschen Sportschie­dsgericht.

Breucker schlägt einen Paradigmen­wechsel vor, um Doping weiterhin „so schwer und unattrakti­v wie möglich“zu machen: Statt den Athleten ihre Schuld nachzuweis­en, solle man Verbänden und Sportlern auferlegen, vor Wettkämpfe­n ihre Sauberkeit nachzuweis­en. „Die Teilnahme an einem offizielle­n Wettbewerb müsste von einem Negativ-Attest der Wada [der WeltAnti-Doping-Agentur; Anm. d. Red.] abhängig sein“, sagt Breucker. „Die Wada könnte mit Hilfe von Experten Kriterien definieren, die jeder Sportverba­nd und jeder Athlet nachzuweis­en haben. Zum Beispiel könnte der Athlet verpflicht­et werden, regelmäßig Blutwerte zu testen und deren Ergebnisse beweissich­er zu dokumentie­ren.“Parallel müsse man die Sportverbä­nde dazu verpflicht­en, „das Qualitätsm­anagement eines solchen Systems sicherzust­ellen und nachzuweis­en“. Ein solches Verfahren könnte die Athleten, so hofft Breucker, zumindest teilweise davon befrei-

en, wie bislang im so genannten AdamsSyste­m detaillier­t Auskunft darüber zu geben, wann sie sich wo wie lange aufhalten, um für einen unangekünd­igten Dopingtest verfügbar zu sein. Viele Sportler empfinden das als einen nur schwer zu akzeptiere­nden Eingriff in die Privatsphä­re.

Die Wada mit ihrem Jahresetat von umgerechne­t rund 24 Millionen Euro und ihren 328.000 Kontrollen im vergangene­n Jahr ist für Breucker die zentrale Instanz, der er zutraut, den Kampf gegen den Sportbetru­g besser als bisher voranzutre­iben. Doch die Wada steht in der Kritik, vor allem ihre fehlende Unabhängig­keit, weil Regierunge­n sowie Sportverbä­nde und allen voran das Internatio­na-

le Olympische Komitee (IOC) über die Finanzieru­ng und Sitze in den Wada-Gremien Einfluss nehmen können. „Der Fuchs darf nicht den Hühnerstal­l bewachen“, sagt Travis Tygart von der US-Anti-Doping-Agentur.

Deutschlan­ds Nationale Anti-Doping-Agentur, die Nada mit Sitz in Bonn, kann Breuckers Ansatz durchaus einiges abgewinnen. „Der Ansatz der Umkehr von Dopingnach­weis hin zu einer Art ,sportli- chem Führungsze­ugnis’ als Nachweis der Dopingfrei­heit für Sportler ist gut und könnte dazu beitragen, dass saubere Sportler gestärkt werden“, sagt Vorstand Lars Mortsiefer. Allerdings müssten Verbände auch heute schon den Nachweis eines ange-

messenen Anti-Doping-Programms erbringen, um überhaupt staatliche Fördergeld­er zu erhalten.

Einig sind sich Nada und Breucker darin, dass ein Entlastung­snachweis unangekünd­igte Tests nicht überflüssi­g macht – im Gegenteil. Die zusätzlich­e Administra­tion sei „immens“, schätzt Mortsiefer. „Denn Dopingkont­rollen zum Nachweis der Dopingfrei­heit wird es ja trotzdem weiter geben.“Die zusätzlich­en Kosten sollten indes kein Hindernis sein, findet Breu- cker: „Angesichts der dem IOC und anderen Spitzenver­bänden zur Verfügung stehenden Mittel dürfte dies – wenn die Umsetzung gewollt ist – nicht ernsthaft problemati­sch sein.“

Der Dormagener Säbelfecht­er Max Hartung ist Athletensp­recher im Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB). Er teilt die Forderung, der Wada mehr Geld und mehr Unabhängig­keit zuzuweisen. „Was der Wada aber fehlt, ist eine übergreife­nde Sanktionsh­oheit.“Heißt: In letzter Konsequenz müssten sich Sportverbä­nde wie IOC dem Urteil einer unabhängig­en Wada komplett unterwerfe­n.

Das würde Konstellat­ionen verhindern wie die, als der Internatio­nale Leichtathl­etik-Verband russische Athleten für Olympia in Rio sperrte, das IOC sich aber nicht zu einem Ausschluss der gesamten russischen Olympiaman­nschaft durchringe­n konnte. „Wir fordern seit zwei Jahren, dass die Wada eigene Sanktionsm­öglichkeit­en in Richtung der Verbände erhält. Es kann nicht Sinn der Sache sein, dass das Einladungs­privileg des IOC zu Olympische­n Spielen über den Sanktionsm­echanismen der Wada steht“, sagt Hartung. Breucker sieht derweil Anstrengun­gen im Anti-Doping-Kampf, „die Hoffnung machen“. Generell brauche es „harte, überprüfba­re präventive und repressive Maßnahmen einerseits und eine möglichst weltweit angelegte, dauerhafte Kampagne zur Besinnung auf das Wesen und die Werte des Sports anderersei­ts“, wie er es formuliert. Das könne auch bedeuten, die Wertschätz­ung einer Leistung nicht an einen Medailleng­ewinn zu koppeln. „Dazu kann auch der Verzicht auf Medaillenv­orgaben gehören“, sagt Breucker.

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