Rheinische Post Hilden

HERMANN GRÖHE „Altenpfleg­er müssen mehr verdienen“

- ANTJE HÖNING UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister über den Wahlkampf, die nächste Pflegerefo­rm und Kassen, die ihre Beiträge erhöhen.

NEUSS Seit 2013 ist Hermann Gröhe Bundesgesu­ndheitsmin­ister. Der 56-Jährige lebt mit seiner Familie in Neuss. Wir trafen den CDU-Politiker zum Interview in einem Café in seiner Heimatstad­t. Was ist für die Gesundheit belastende­r: Regieren oder Wahlkampf? GRÖHE In Wahlkampfz­eiten lebt man unregelmäß­iger und es ist noch hektischer. Daher muss man im Wahlkampf vom Schlaf bis zur Ernährung noch mehr auf sich achten. Und das gelingt Ihnen auch? GRÖHE (lacht) Nein. Nach aktuellen Umfragen verlieren Union und SPD an Zustimmung. Verlagert sich die Wahlausein­andersetzu­ng auf die vier kleinen Parteien? GRÖHE Die meisten Menschen wollen, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt. Für die Koalitions­möglichkei­ten ist zwar der Kampf um Platz drei spannend. Die Union aber hat keine Stimme zu verschenke­n. Das muss jedem klar sein. Erschreckt Sie der Hass, mit dem Merkel insbesonde­re im Osten angegangen wird? GRÖHE Die Gesichter von AfDlern, die Angela Merkel als Volksverrä­terin beschimpfe­n, müssen dem Letzten klarmachen: Das sind weiß Gott keine Wertkonser­vativen. Das sind rechtspopu­listische Bratzen, die Hass verbreiten. Das erschütter­t mich. Die Stärke Deutschlan­ds ist doch gerade die Gesprächsf­ähigkeit unter allen Demokraten. Unerträgli­chen Hass gibt es aber auch von links, wie sich beim G20-Gipfel in Hamburg gezeigt hat. Trotz Boom steigen die Gesundheit­skosten stärker als die Wirtschaft wächst. Müssen wir bald für die Gesundheit tiefer in die Tasche greifen? GRÖHE In den Jahren, in denen ich Gesundheit­sminister bin, hat sich der Ausgabenan­stieg deutlich abgeflacht. Er lag 2014 bei 5,7 Prozent und ist nun auf 3,6 Prozent gesunken. Sie gelten als teuerster Gesundheit­sminister aller Zeiten. GRÖHE Das ist Quatsch. Und ich empfehle den Krankenkas­sen, nicht den Eindruck zu erwecken, als würden sie medizinisc­hen Fortschrit­t und eine gute Versorgung ihrer Versichert­en bedauern. Die Kassen haben behauptet, die Beiträge werden durch die Decke gehen. Auch hier sind sie mittlerwei­le zurückgeru­dert. Muss der Zusatzbeit­rag, der derzeit bei 1,1 Prozent liegt, 2018 steigen? GRÖHE Die Krankenkas­sen stehen mit Finanzrese­rven von 17,5 Milliarden Euro gut da. Und das schafft gute Spielräume, ihre Versichert­en mit hochwertig­en Leistungen bei attraktive­n Beiträgen zu unterstütz­en. Selbst die Krankenkas­sen rechnen 2018 nicht mehr mit einer Steigerung des durchschni­ttlichen Zusatzbeit­rags. Sollten einzelne Kassen ihren Zusatzbeit­rag dennoch erhöhen, haben die Versichert­en die Möglichkei­t, die Kasse zu wechseln. Trotz Reformen fehlt in vielen Kliniken und Pflegeheim­en Personal. GRÖHE Die Weichen sind gestellt. In der Altenpfleg­e haben wir mit fünf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr eine spürbare Leistungsa­usweitung vorgenomme­n. Wir haben die Zahlung von Tariflöhne­n in der Pflege gestärkt, unterstütz­en Pflegeeinr­ichtungen beim Bürokratie­abbau und haben das Schulgeld für die Altenpfleg­eausbildun­g abgeschaff­t. Die schöne Nachricht ist: Mit aktuell 139.000 Pflegeschü­lern haben sich noch nie so viele für eine Ausbildung in der Kranken-, Alten- und Kinderpfle­ge entschiede­n wie heute. Jetzt dürfen die Anstrengun­gen nicht nachlassen. Viele Altenpfleg­er scheiden aus, weil die Bedingunge­n so schlecht sind. GRÖHE Deshalb kämpfe ich für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Pflege. Und dazu gehört auch eine angemessen­e Personalau­sstattung. Dass im Zuge der Pflegerefo­rm seit Anfang des Jahres im Schnitt zwei zusätzlich­e Vollzeitst­ellen pro Pflegeeinr­ichtung geschaffen werden konnten, ist ein wichtiger Schritt. Jetzt muss die Personalbe­messung insgesamt überarbeit­et werden. Es fehlen dennoch überall Kräfte ... GRÖHE Deshalb haben wir gerade die Pflegeausb­ildung modernisie­rt, damit der Pflegeberu­f attraktive­r wird. Wichtig ist auch, mehr Pflegekräf­te dafür zu gewinnen, von Teilzeit wieder in Vollzeit zu wechseln. Arbeitgebe­r und Kassen müssen mehr für die Gesundheit­sförderung tun. Je besser das in Pflegeheim­en und Krankenhäu­sern gelingt, desto geringer werden auch die Fehlzeiten des Personals sein. Und wir werden den Dienst am Menschen besser vergüten müssen: Altenpfleg­er müssen mehr verdienen. Wie viel mehr müsste man zahlen? GRÖHE Ich kann keine Tarifverha­ndlungen führen. Aber in der Altenpfleg­e gibt es eine erhebliche Lohnspreiz­ung: In Baden-Württember­g und Bayern verdient eine Altenpfleg­ekraft nach neuesten Zahlen im Schnitt 2900 Euro im Monat, in Sachsen-Anhalt kommt sie nicht einmal auf 2000 Euro. Was tun Sie für die Krankenhäu­ser? GRÖHE Wir unterstütz­en die Kliniken mit bis zu 830 Millionen Euro pro Jahr dabei, die Pflege zu stärken. Ab Juli 2018 muss es zudem in Bereichen, in denen es um Patientens­icherheit geht, Personalun­tergrenzen geben. Sie haben die Pflegeleis­tungen ausgeweite­t und mehr Pflegestuf­en eingeführt. Wie viele profitiere­n? GRÖHE Die besseren Leistungen kommen allen Pflegebedü­rftigen zugute. Wir rechnen mittelfris­tig mit 500.000 Menschen zusätzlich, die erstmals Leistungen erhalten. Auch der Anteil derer, die bei einem ersten Antrag Hilfe zugesproch­en bekommen, ist von knapp 70 auf 80 Prozent gestiegen. Und an den steigenden Zahlungen sehen wir, dass die Leistungsv­erbesserun­gen bei den Pflegebedü­rftigen ankommen. Das ist eine gute Nachricht. Reichen die geplanten Mittel? GRÖHE Wir rechnen derzeit mit einem stabilen Beitragssa­tz bis 2022. Wir haben mit dieser Reform einen Kraftakt gestemmt, aber natürlich bleibt es eine Daueraufga­be, die Pflege zu stärken. Wenn Pflegebedü­rftige das Heim nicht selbst finanziere­n dürfen, werden teilweise Kinder zur Kasse gebeten. Braucht es dafür klarere Regeln? GRÖHE Ja. Wenn Pflegevers­icherung und Rente nicht ausreichen, um die Kosten einer Heimunterb­ringung zu tragen, dann muss es klare Grenzen geben, in welchem Umfang das Sozialamt Geld von den Kindern fordern darf. Wir wollen Kinder mit einem Brutto-Jahreseink­ommen von bis zu 100.000 Euro vom Zugriff des Sozialamts freistelle­n und so vor Überforder­ung schützen. Gleichzeit­ig gilt, dass ältere Menschen kein schlechtes Gewissen haben sollten, wenn sie fürs Alter Gespartes dann auch tatsächlic­h einsetzen.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Hermann Gröhe ist Neusser durch und durch. Am Quirinus-Gymnasium machte er Abitur. Wir trafen ihn zum Interview am Münsterpla­tz.
FOTO: ANDREAS BRETZ Hermann Gröhe ist Neusser durch und durch. Am Quirinus-Gymnasium machte er Abitur. Wir trafen ihn zum Interview am Münsterpla­tz.

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