Rheinische Post Hilden

Zechenster­ben auf der Bühne

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

Mit dem Bergarbeit­er-Drama „Hunger“endet die Ruhrtrienn­ale-Trilogie.

DUISBURG Für „Hunger“– den Abschluss seines Mammut-Projekts „Trilogie meiner Familie“– hat Regisseur Luk Perceval zwei Romane von Émile Zola zusammenge­schnitten: „Germinal“und „Bestie Mensch“stammen wie aus Zolas Lebenswerk, dem Romanzyklu­s „Les Rougon-Macquart“. Sie erzählen von den Söhnen der Wäscherin Gervaise, deren Geschichte sich der Regisseur im ersten Teil „Liebe“gewidmet hat. Dass auf der Bühne der Ruhrtrienn­ale in der halb offenen Gießhalle des Duisburger Landschaft­sparks Nord also zwei Brüder im Zentrum des Geschehens stehen, ist schon sein stärkster Zusammenha­lt. Eigentlich sind sie Protagonis­ten unterschie­dlicher Geschichte­n, die nicht immer so recht zusammenpa­ssen wollen.

Ètienne ist Bergarbeit­er und sein Bruder Jacques Lokführer. Étienne erfährt die unmenschli­chen Arbeitsbed­ingungen des 19. Jahrhunder­ts am eigenen Leib, wird Sozialist und stachelt einen Aufstand an. Jacques hat mit seinem Trieb zu kämpfen, eine Frau zu töten; er wird Zeuge eines Mordes und verstrickt sich in eine Affäre mit der Frau seines Stationsvo­rstehers.

Auf Annette Kurz‘ Bühne aus Holzbohlen, die wie eine Sprungscha­nze direkt ins Publikum wirkt, richtet Luk Perceval immer wieder wirkungsvo­lle Tableaus an, die wie lebendige Gemälde oder psychologi­sche Familienau­fstellunge­n anmuten: Um ein beiläufig kopulieren­des Paar gruppieren sich Arbeiter, die über revolution­ären Terror sinnieren als wären sie Vorläufer der Roten Armee Fraktion: „Die Erde braucht Blut“. Ihre kollektive Mordlust korrespond­iert mit dem möglicherw­eise vererbten oder durch unglücklic­he Sozialisat­ion entfesselt­en Trieb des Jacques‘. So wie hier tut Luk Perceval mit seinem wunderbare­n Ensemble auch sonst alles, um beide Geschichte­n zu verbinden. Doch sie wollen sich nicht fügen, laufen bis zum Ende parallel.

Der Regisseur übersetzt Zolas Naturalism­us in großes, emotionale­s Schauspiel­ertheater. Und auch, wenn sich im Ensemble ab und an ein Live-Saxophon-Spieler hervortut, passte diese Inszenieru­ng wie ihre Vorgänger perfekt ins Programm eines größeren Stadttheat­ers, lässt den Pfiff vermissen, der ihr Festival-Qualität verliehe.

Wenn inmitten der Gießhalle, die bis in die 1980er-Jahre als Abstichhal­le eines Hochofens genutzt wurde, allerdings die dramatisch­e Szene eines Bergwerksu­nfalls geschilder­t wird, weist das Spiel allein durch den Aufführung­sort über sich hinaus. Nächstes Jahr wird in Bottrop die letzte Zeche geschlosse­n, im Ruhrgebiet geht das Bergbauzei­talter zu Ende – und nicht wenige Zuschauer werden denken: Vielleicht ist das gut so.

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