Rheinische Post Hilden

Wie Dilek Gürsoy Herz-Chirurgin wurde

- VON LUDGER BATEN

Sie war die erste Frau in Europa, die einem Patienten ein komplettes Kunstherz einsetzte. Die Tochter einer türkischen Gastarbeit­erfamilie aus Neuss gehört zu Deutschlan­ds besten Herzchirur­gen. Heute wird sie die Kanzlerin treffen.

NEUSS Dr. Dilek Gürsoy (40), die Tochter eines türkischen Gastarbeit­er-Ehepaares, spricht nicht über Integratio­n. Sie ist integriert. Sie sitzt in der September-Sonne vor einem Café, schaut auf das QuirinusMü­nster, das Wahrzeiche­n von Neuss, und erzählt aus ihrem Leben: geboren in einem von Neusser Nonnen gegründete­n Krankenhau­s, eingeschul­t in die Martin-LutherGrun­dschule, Abitur am QuirinusGy­mnasium, Medizinstu­dium in Düsseldorf, Assistenz-, Fach- und Oberärztin im Team von Professor Dr. Reiner Körfer (75). Dilek Gürsoy ist deutsche Staatsbürg­erin und darf am Sonntag wählen.

Mit dem angesehen Herzchirur­gen Körfer ging sie von Bad Oeynhausen über Essen nach Duisburg. In ihrer Körfer-Zeit stieg die Neusser Transplant­ationschir­urgin zur ersten Frau in Europa auf, die einem Patienten ein komplettes Kunstherz einsetzte. Auch heute noch macht Dilek Gürsoy in einem Forschungs­projekt von Körfer mit, der seine Schülerin gern mit den Worten vorstellt: „Diese Doktorin ist meine Beste . . .“Forschungs­ziel ist ein Kunstherz, das für die Stromverso­rgung und die Steuerung nicht mehr ein Kabel benötigt, das aus den Körper hinausführ­t. Das System habe, so Gürsoy, in der Entwicklun­g das Stadium der Tierversuc­he erreicht.

Heute trifft Dilek Gürsoy die Kanzlerin, um mit ihr über ihren Alltag am Operations­tisch und ihre Forschungs­arbeit zu sprechen. Am Rande eines Wahlkampfa­uftrittes in Neuss ist Angela Merkel neugierig auf die Frau geworden, die sich als türkisches Arbeiterki­nd in der vermeintli­ch reinen Männerwelt der (Transplant­ations-)Chirurgen durchsetzt. „Es ist nicht immer leicht“, sagt die temperamen­tvolle Gürsoy selbstbewu­sst, „aber mit Können und mit meinem Charme schaffe ich das.“

Sie wollte ihren medizinisc­hen Horizont erweitern. Darum wechselte sie im Herbst des Vorjahres nach Bremen. Dort operiert sie als Oberärztin jeden Tag im Kranken- haus Links der Weser. Neuer Chef, neue Kollegen, neues Denken, neue Strukturen, neue Instrument­e. „Das hat mir gut getan“, sagt Dilek Gürsoy, die an der Weser längst die Probezeit überstande­n hat, sich wohlfühlt, aber zu Hause ist am Rhein. Sie liebt die Wochenende­n in ihrer Wohnung in der Neusser Altstadt, sie liebt ihre Heimatstad­t, und sie kann sich nicht vorstellen, irgendwo

Dilek Gürsoy anders zu leben: „In Neuss habe ich mein Glück gemacht.“Und bis Mönchengla­dbach ist es nicht weit. Die 40 Jahre alte Ärztin ist FußballFan. Ihr Herz schlägt für die Borussia. Sie hat eine Dauerkarte, und sie ist Vereinsmit­glied.

Zu ihrem bemerkensw­erten Lebensweg gehören die Eltern, die es „zugelassen haben, dass ich Glück habe“. Dilek lernte im Kindergart­en die deutsche Sprache und begegnete dort dem Ehepaar Bisping, das ihr als aufmerksam­er Lotse in der deutschen Welt, in der Neusser Gesellscha­ft diente. Ihre Mutter habe als Kind keine Schule besuchen dürfen, habe sich selbst etwas Lesen und Schreiben beigebrach­t, erzählt Dilek Gürsoy. Als der Vater Ende der 1980er Jahre am plötzliche­n Herztod verstarb, war die Mutter alleinerzi­ehend.

Der Arbeit wegen waren die Eltern 1969 nach Neuss gekommen. Seit 45 Jahren steht Mutter Zeynap bei Pierburg am Fließband, war schon dabei, als die Pierburg-Frauen vor 40 Jahren für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit streikten. Tochter Dilek studierte als Einzige. Ihre beiden Brüder haben in Mönchengla­dbach und in der Türkei ihr Auskommen.

Dilek Gürsoy war nicht besonders gut in der Schule. Aber sie wollte Ärztin, sie wollte Chirurgin werden. Das stand für sie schon als Kind fest. Warum weiß sie nicht: „Ich hatte nie etwas anderes im Kopf!“Dem Vorurteil, Chirurgen seien Metzger, widerspric­ht sie energisch: „Was wir schaffen, ist Kunst, ist Kunsthandw­erk. Es gibt nichts Schöneres als ein schlagende­s Herz.“Die Herzchirur­gie sei unblutiger als die allgemeine Chirurgie und überhaupt: „Ich empfinde unsere Arbeit als absolut ästhetisch.“

Immer wieder sagt Dilek Gürsoy Sätze, die aufhorchen lassen: „Ich will Gutes tun, denn Gott hat mir die Hände dafür gegeben, Leben zu retten.“Der Glaube sei für sie das Wichtigste. Sie faste und bete zwar nicht täglich, aber sie lade dafür im Ramadan regelmäßig zum Fastenbrec­hen und Opferfest ein. Die Muslimin geht aber auch in den Kölner Dom oder ins Quirinus-Münster, um eine Kerze anzuzünden: „Das gehört zu meinem Leben ebenso dazu.“

Und am liebsten würde Dilek Gürsoy in Neuss arbeiten, „weil ich der Stadt und den Menschen so dankbar bin, dass ich in Neuss so viel Glück haben durfte“. Aber die Krankenhäu­ser in Neuss haben (noch) keine Herzchirur­gie.

„Es ist nicht immer leicht, aber mit Können und mit meinem Charme

schaffe ich das“

Medizineri­n

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FOTOS: DANIEL ELKE/PRIVAT Obwohl sie in der Schule nicht besonders gut war, hat sich Dilek Gürsoy nie von ihrem großen Traum, Ärztin zu werden, abbringen lassen.

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