Rheinische Post Hilden

Der Konflikt um Katalonien eskaliert

- VON MARTIN KESSLER

Katalonien ist der Wirtschaft­smotor Spaniens. Die Region will unbedingt unabhängig werden. Doch kurz vor dem einseitig angesetzte­n Referendum schlägt Madrid zurück.

BARCELONA Es kommt nicht alle Tage vor, dass im Rechtsstaa­t Spanien ein Vizeminist­er festgenomm­en wird. Dem stellvertr­etenden Chef des Wirtschaft­sressorts der Region Katalonien, Josep Maria Jove, ist es passiert. Die Guardia Civil hat ihn verhaftet. „Wir befinden uns in einem Belagerung­szustand. Eine Schande!“, twitterte die katalanisc­he Arbeitsmin­isterin Dolors Bassa. Auch der Fußball-Topclub FC Barcelona, bei dem der argentinis­che Superstar Lionel Messi und der deutsche Nationalto­rwart MarcAndré ter Stegen spielen, schloss sich den Protesten an. Barcelonas Fußball-Nationalsp­ieler Gerard Piqué kritisiert­e die Polizeiakt­ionen auf Twitter.

Was war passiert, dass der militärisc­he Arm der Polizei, die Guardia Civil, 14 katalanisc­he Politiker festnahmen und unzählige Wohnungen und Büros durchsucht­en? Die Sicherheit­sbehörden werfen den Betroffene­n die Vorbereitu­ng eines illegalen Referendum­s über die Un- abhängigke­it vor. Bei ihrer Aktion beschlagna­hmten sie neun Millionen Wahlzettel, die zur Durchführu­ng der geplanten Abstimmung gedruckt worden waren. Schon zuvor hatten sie Wahlunterl­agen und Drucker sichergest­ellt. Der Chef der Regionalre­gierung, Carles Puigdemont, will die Katalanen am 1. Oktober befragen, ob sie die Loslösung von Spanien wollen. Im Falle eines positiven Votums soll schon am 3. Oktober die Unabhängig­keit Katalonien­s ausgerufen werden. Ein Gesetz, das die Voraussetz­ungen für einen unabhängig­en Staat geschaffen hat, wurde vom Regionalpa­rlament Anfang September verabschie­det.

Pech für die Katalanen, dass die Zentralreg­ierung in Madrid und vor allem das spanische Verfassung­sgericht die Beschlüsse der separatist­ischen Region zum Unabhängig­keitsrefer­endum und zum neuen Staat nicht anerkennen. Sie widerspräc­hen dem in der Verfassung Spaniens verankerte­n Einheitsgr­undsatz. Den wollen die konservati­ve Regierung unter Ministerpr­äsident Mariano Rajoy und die anderen Verfassung­sorgane mit aller Macht durchsetze­n. Früher war es vor allem das franquisti­sche Militär, das über die Einheit des Landes wachte. Doch dessen Eingreifen steht nicht zu befürchten.

Nach dem ge- scheiterte­n Putsch vom 23. Februar 1981 sind die Generäle unpolitisc­h geworden.

Trotzdem droht nach den gestrigen Festnahmen die Situation zu eskalieren. Tausende von Menschen gingen in Barcelona spontan auf die Straße, um lautstark zu

protes-

tieren. Die Demonstran­ten trugen katalanisc­he Fahnen und sperrten mehrere Straßen, darunter die mehrspurig­e Verkehrsad­er Gran Vía. Sie versammelt­en sich auch vor Ministe- riums- und Parteigebä­uden, die zuvor von der Guardia Civil durchsucht worden waren. „No pasarán!“(Sie werden nicht durchkomme­n!), „Raus mit der spanischen Polizei!“und „Unabhängig­keit“skandierte­n die Menschen.

Es steht zu befürchten, dass die Frage des Referendum­s auf ein dramatisch­es Finale hinausläuf­t. Der katalanisc­he Regierungs­chef Puigdemont gehört zu den radikalen Separatist­en, die im Parlament in Barcelona über eine knappe Mehrheit der Stimmen verfügen. Er will die Abstimmung definitiv durchführe­n. Umgekehrt könnte die Madrider Zentralreg­ierung die katalanisc­he Regierung nach Artikel 155 der Verfassung des Amtes entheben. Dann wäre die Verfassung­skrise da. Unklar ist auch, wie sich die Sicherheit­skräfte der Region verhalten. Die Guardia Civil ist strikt zentralist­isch ausgericht­et und dürfte auf Madrid hören. Die katalanisc­he Polizeitru­ppe Mossos d’Esquadra ist dagegen der Regionalre­gierung unterstell­t.

Die weitere Eskalation könnte vor allem die Wirtschaft des Landes empfindlic­h treffen. Katalonien stellt zwar nur 16 Prozent der spanischen Bevölkerun­g, aber knapp 20 Prozent der Wirtschaft­sleistung. „Die Unternehme­n wollen Rechtssich­erheit“, sagte Salvador Guillermo vom katalanisc­hen Arbeitgebe­rverband dem „Handelsbla­tt“. Spanien erholt sich gerade von einer der schwersten Wirtschaft­s- und Bankenkris­en des Landes und wächst zurzeit schneller als alle anderen EU-Staaten. Diese Erholung ist bei einer anhaltende­n Verfassung­skrise gefährdet. Eine Lösung setzt Einsicht auf beiden Seiten voraus, und die ist nicht absehbar.

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FOTO: IMAGO Ein Demonstran­t hält einen Schal mit der Aufschrift „Katalonien“in die Luft. Er trägt ein Trikot des FC Barcelona.

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