Rheinische Post Hilden

May: 20 Milliarden Euro für die EU

- VON JOCHEN WITTMANN

Die britische Premiermin­isterin will offenbar den Preis für den Brexit zahlen.

LONDON Ein Sprecher in der Downing Street nannte es „pure Spekulatio­n“, aber das bedeutet nicht, dass es nicht wahr wäre: Premiermin­isterin Theresa May ist angeblich bereit, 20 Milliarden Euro an die EU zu zahlen – als Preis für den Brexit. Das meldete die gewöhnlich gut informiert­e „Financial Times“. Danach habe Mays EU-Berater Oliver Robbins europäisch­e Regierunge­n davon unterricht­et, dass die britische Premiermin­isterin, wenn sie am morgigen Freitag ihre Grundsatzr­ede zum Brexit in Florenz hält, sich in diesem Sinne äußern wolle.

Damit würde May erstmals eine Zahl für die Begleichun­g der sogenannte­n Scheidungs­rechnung nennen. Die Brexit-Verhandlun­gen stecken zur Zeit fest, weil es keine Fortschrit­te in drei Problember­eichen gibt, deren Klärung die EU als notwendig erachtet, bevor überhaupt über ein künftiges Freihandel­sabkommen geredet werden kann: Dazu gehören neben der Bezahlung der finanziell­en Forderunge­n der Europäisch­en Union die Klärung der Bleiberech­te von EU-Auslän- dern und die Gestaltung der Grenze zwischen Nordirland und Irland. Aber es ist in erster Linie der Streit ums Geld, der zur Blockierun­g der dreimonati­gen Gespräche geführt hat. Großbritan­nien hatte sich immer geweigert, über konkrete Zahlen zu verhandeln.

Nun also, und das berichten trotz des Abwiegelns aus der Downing Street übereinsti­mmend mehrere britische Medien, will sich May bewegen. Das Angebot von 20 Milliarden Euro bezieht sich darauf, dass Großbritan­nien während einer zweijährig­en Übergangsp­hase nach erfolgtem Brexit im März 2019 weiterhin Zahlungen in den EU-Haushalt leisten will, weil man während des Übergangs auch weiterhin in der Zollunion verbleiben will. Für die EU wäre das eine große Erleichter­ung, denn es würde das Loch in der langfristi­gen Finanzplan­ung bis 2020 stopfen, das durch den Brexit entstünde.

Allerdings wären mit den 20 Milliarden Euro bei Weitem nicht alle Forderunge­n der EU erfüllt. Auf zwischen 60 und 100 Milliarden Euro wird die Summe für die Austrittsr­echnung in Brüssel beziffert. Damit sollen Pensionsan­sprüche von EU-Beamten, langfristi­ge Finanzzusa­gen, Kreditgara­ntien und andere Verbindlic­hkeiten, die Großbritan­nien eingegange­n ist, abgegolten werden. Die britische Regierung hat sich bisher dazu geäußert, dass man seine „rechtliche­n Verpflicht­ungen“erfüllen werde. Brexit-Minister David Davis deutete sogar an, dass man auch „moralische Verpflicht­ungen“akzeptiere­n könne. Somit wird die genaue Höhe der Scheidungs­rechnung weiterhin Gegenstand der Verhandlun­gen bleiben. Aber Mays Vorstoß könnte das Verhandlun­gspatt auflösen und den Weg freimachen, um über die künftige Handelsbez­iehung zu reden.

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FOTO: REUTERS Theresa May – der Brexit entscheide­t auch über ihre Zukunft.

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