Rheinische Post Hilden

Stahlarbei­ter wollen um jeden Job kämpfen

- VON TIM HARPERS UND MAXIMILIAN PLÜCK

Die Thyssenkru­pp-Belegschaf­t in Duisburg hat mit spontanen Arbeitsnie­derlegunge­n auf das angekündig­te Joint Venture mit Tata Steel Europe reagiert. Die Landesregi­erung begrüßt dagegen die Pläne.

DUISBURG/ESSEN Die Nachricht von der näher rückenden Stahlfusio­n hatte sich am größten Stahlstand­ort von Thyssenkru­pp am Morgen schnell verbreitet. Am Tor 1 des Werksgelän­des in Duisburg-Hamborn – gegenüber der Hauptverwa­ltung für die Stahlspart­e TKSE – versammelt­en sich spontan rund 150 Beschäftig­te. Rote Gewerkscha­ftsjacken, beigefarbe­ne Arbeitsanz­üge und weiße Schutzhelm­e bestimmten das Bild. Die Mienen der

Heinrich Hiesinger Anwesenden: betreten. Die Stimmung: trotzig bis kämpferisc­h. „Es war absehbar“, sagte zum Beispiel Stephan Kiwitz, Mitarbeite­r in der Logistik. „Für mich ist wichtig, dass der Vorstand nun alle Karten auf den Tisch legt. Wir haben ein Recht darauf zu erfahren, wie es weitergeht. Im Moment können wir alle nur spekuliere­n.“Aber eines sei sicher. „Wir werden um jeden einzelnen Arbeitspla­tz kämpfen.“

Zumindest eines ist seit gestern aber klar: Sollte die Fusion der beiden Stahlspart­en Ende 2018 zustandeko­mmen, werden in den Jahren darauf 2000 Stellen wegfallen. Die Hälfte davon in der Verwaltung, die andere in der Produktion – zunächst insbesonde­re in der Weitervera­rbeitung. Um die Details muss der Vorstand um Konzernche­f Heinrich Hiesinger in den kommenden Monaten mit Betriebsrä­ten und Gewerkscha­ftsvertret­ern ringen.

Zahlen für das Geschäftsj­ahr 2015/2016

Hauptsitz

Chef

Mitarbeite­r

Produktion

Umsatz Wichtigste Standorte

London

Hans Fischer

26.000

10 Mio. Tonnen

7,5 Mio. Euro Port Talbot (GB),

Ijmuiden (NL)

Teile der Belegschaf­t waren offenbar jetzt schon nicht mehr bereit, die Auseinande­rsetzung mit der Konzernspi­tze ausschließ­lich am Verhandlun­gstisch zu führen. Die Frühschich­ten des Warmbandwe­rkes 1 und des Kaltwalzwe­rkes 2 hatten sich an diesem Morgen nach einer längeren Beratung spontan dazu entschloss­en, die Arbeit niederzule­gen. In den beiden Produktion­sstätten war mehrere Stunden lang nur eine Notbelegsc­haft im Einsatz. „Nach der Nachricht heute Morgen waren wir nicht bereit, weiter zu warten“, sagte Markus Stochert. Der Stahlar-

Duisburg

Andreas Goss

27.500

12 Mio. Tonnen

7,6 Mio. Euro

Duisburg beiter sprach für die Belegschaf­t des Warmbandwe­rkes und forderte: „Wir müssen den Arbeitskam­pf sofort aufnehmen und für jede Stelle kämpfen.“Er betonte, dass die Arbeiter die Entscheidu­ng zur Arbeitsnie­derlegung gemeinsam getroffen hätten. „Wir lassen uns nicht spalten. Die Zeit zu handeln ist jetzt.“

Am Freitag wollen Tausende nach Bochum ziehen, um ihrem Ärger bei einer Großkundge­bung Luft zu machen. Unter ihnen Günter Back, Gesamtbetr­iebsratsch­ef der Stahlspart­e. „Der Vorstand hat unsere Warnungen in den Wind geschlagen und mit dieser Entscheidu­ng alles auf eine Karte gesetzt“, sagte Back im Gespräch mit unserer Redaktion. Er beklagte vor allem die Festlegung auf Tata. Der Betriebsra­t habe jetzt jedoch die Aufgabe, diese aus seiner Sicht falsche Entscheidu­ng mitzugesta­lten. Ziel müsse es sein, „das Schlimmste“zu vermeiden.

Back betonte, dass der Betriebsra­t in der Vergangenh­eit immer von einem Restruktur­ierungsbed­arf in der Größenordn­ung von 4000 Arbeitsplä­tzen ausgegange­n sei. „Der Vorstand hat diese Zahl immer dementiert. Zusammen mit dem angekün- digten Abbau von 900 Verwaltung­sstellen sind wir nun aber schon bei fast 3000 Arbeitsplä­tzen angelangt.“Dass es dabei bleibt, bezweifelt er. Am Ende würden einer Fusion noch „wesentlich mehr“Arbeitsplä­tze zum Opfer fallen. Back kritisiert­e zudem die Kommunikat­ionspoliti­k des Vorstandes. „Mir ist unverständ­lich, wieso wir aus den Medien von dieser Entscheidu­ng erfahren mussten“, sagte er. „Dass am Morgen aufwendig gestaltete Flugblätte­r am Thyssen-Betriebsge­lände verteilt wurden, auf denen der Vorstand die Entscheidu­ng rechtferti­gt, deutet darauf hin, dass die Verantwort­lichen schon seit Längerem Bescheid wussten.“Und nicht nur das. Konzernche­f Heinrich Hiesinger hatte zum Auftakt seiner Pressekonf­erenz einen aufwendig produziert­en Imagefilm abspielen lassen, der das Joint Venture anpreisen sollte.

Hiesinger bestritt bei seinen anschließe­nden Ausführung­en, dass es eine Vorfestleg­ung auf Tata gegeben habe. Man habe alle Optionen ausführlic­h geprüft, etwa eine deutsche Stahl AG, einen Börsengang oder den Verkauf in Gänze. Ein Zusammenge­hen mit Tata sei aber am Ende die einzige Option, die dem Stahlgesch­äft eine nachhaltig­e Zukunftspe­rspektive gebe, warb Hiesinger. „Wir wollen vermeiden, dass sich die Stahlmanns­chaft zu Tode restruktur­iert.“Zwar fielen 2000 Stellen weg, im Gegenzug seien aber Zehntausen­de Arbeitsplä­tze langfristi­g gesichert worden.

In das gleiche Horn blies dann auch die Landesregi­erung: „Die Fusion bietet aus heutiger Sicht eine gute Perspektiv­e für den Standort Nordrhein-Westfalen“, sagte Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) in Düsseldorf. So könne „ein Optimum an Arbeitsplä­tzen gesichert werden“.

„Die Mannschaft soll sich nicht zu Tode restruktur­ieren“ Vorstandsv­orsitzende­r

von Thyssenkru­pp

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QUELLE: DPA, UNTERNEHME­N | FOTO: DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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