Rheinische Post Hilden

SO WOHNT DÜSSELDORF Leben und arbeiten in der Künstlersi­edlung

- VON UTE RASCH (TEXT) UND ANDREAS ENDERMANN (FOTOS)

Der 93-jährige Hermann Focke fühlt sich in seinem Wohnatelie­r in Golzheim „vollkommen frei“.

Die Kunst braucht Platz, beanspruch­t den Raum – bis unter die Decke. Der Mensch braucht wenig: ein Zimmer zum Essen, Lesen, Fernsehen, zum Ausruhen, um wieder neue Kraft zu schöpfen. Darüber ein kleiner Schlafraum, über eine Wendeltrep­pe zu erreichen. Das muss genügen. Das Leben von Hermann Focke, 93-jähriger Künstler, ist eh vom Rhythmus der Arbeit bestimmt. Beides vereint er in seinem Wohnatelie­r in der Künstlersi­edlung Golzheim. Was Luxus ist, davon hat er eine ganz eigene Vorstellun­g, Designer-Möbel gehören gewiss nicht dazu. Eher eine Erkenntnis: „Ich bin vollkommen frei.“

Das Atelierhau­s an der Franz-Jürgens-Straße markiert den Eckpfeiler der Künstlersi­edlung. In diesem weiß-geschlämmt­en Gebäude sind 14 Ateliers untergebra­cht, eines der größeren über zwei Etagen bewohnt Hermann Focke seit fast 40 Jahren. „Ich habe lange darauf gewartet hierher ziehen zu können, die Ateliers waren immer schon begehrt.“Und die Fluktuatio­n ist eher gering: Wer hier – zu günstigen Mieten – wohnt und arbeitet, will nicht wieder weg.

Focke kam 1953 nach Düsseldorf, studierte an der Kunstakade­mie, war schließlic­h Meistersch­üler von Ewald Mataré. Seine frühen Arbeiten sind noch stark von dessen Tierplasti­ken beeinfluss­t, später wandte er sich religiösen Motiven zu, schuf Kirchentür­en und Altarkreuz­e. „Es war mir nicht in die Wiege gelegt worden, dass ich Künstler würde“, sagt Focke, der mit acht Geschwiste­rn „in bescheiden­en Verhältnis­sen“aufwuchs. Die frühen Jahre prägen seine Ansprüche bis heute: „Ich brauch’ nicht viel.“

Dass in diesem Wohnatelie­r ein Bildhauer lebt, ist schon vor dem Eingang sichtbar: Dort weist eine große Skulptur aus Zinkblech den Weg – und doch in die Irre. Denn Hermann Focke ist (eigentlich) nicht der Mann fürs Monumental­e, sondern eher für filigrane Faltarbeit­en aus Papier. Sie sind seine Spezialitä­t, seine Erfindung. Wie das anfing? „Das war 1986, da kam ich irgendwie nicht weiter, steckte in einer Sackgasse.“Er begann zu experiment­ieren, zeichnete ein Gespinst aus Linien auf Papier, vervielfäl­tigte die Vier-, Sechs-, Zehnecke und schuf daraus Skulpturen von starker Eigenart. „Plötzlich f lutschte es“, sagt er lächelnd, „ich war ganz high, als ich das spürte.“

Heute präsentier­t er seine poetischen Gebilde – jedes ein Unikat – in Kunststoff­kästen, damit das zarte Papier vor Staub geschützt ist. Im zentralen Raum seines Ateliers, der gleichzeit­ig Arbeits- und Ausstellun­gsraum ist, sind sie bis unter die Decke gestapelt. Eine Kunst mit Ecken und Kanten. „Ich bin Geometrike­r.“Und wenn er heute mal nicht weiter weiß, wenn es mal nicht „flutscht“, dann zeichnet oder malt er – wie früher. Für sein Lebenswerk wurde er in diesem Jahr bei der Großen Kunstausst­ellung mit dem „Kunstpreis der Künstler“ausgezeich­net – späte Anerkennun­g und Zeichen der Wertschätz­ung.

Wer Hermann Focke in seinem Wohnatelie­r besucht, sieht schon in der Diele (von dort führen zwei Türen in eine kleine Küche und ein bescheiden­es Bad) die ersten Kunststück­e – und ein Fahrrad, mit dem radelt der 93-Jährige am Wochenende zum Boulespiel­en in den na- hen Nordpark. Gelegentli­ch sitzt er in seinem Gärtchen, im Innenhof des Atelierhau­ses. Dort kann er zuschauen, wie das Sonnenlich­t seine Skulpturen, die den Sprung vom Papier zum Stahl geschafft haben, zum Leuchten bringt. Dieser Innenhof war früher ein Ort ausgelasse­ner Sommerfest­e, bei denen die Künstler am Bassin mit der schönen Nackten (einer Skulptur von Robert Ittermann) saßen. „Heute lebt und arbeitet jeder mehr für sich“, sagt Hermann Focke und geht zurück in seinen Wohnraum, wo der Kaffee längst kalt geworden ist. Hier wird aufgehoben, was irgendwann im Leben wichtig war: Bücher, Zeitschrif­ten, Briefe, Ausstellun­gskataloge, Einladunge­n – und ein längst vertrockne­ter Rosenstrau­ß. Über sein altes Sofa ist achtlos eine Decke geworfen. „Ich käme nicht auf die Idee, mir ein neues zu kaufen.“

 ??  ?? Bei der täglichen Arbeit: Hermann Focke hat sich auf filigrane Faltarbeit­en aus Papier spezialisi­ert. In seinem Wohnatelie­r sind sie bis unter die Decke gestapelt.
Bei der täglichen Arbeit: Hermann Focke hat sich auf filigrane Faltarbeit­en aus Papier spezialisi­ert. In seinem Wohnatelie­r sind sie bis unter die Decke gestapelt.
 ??  ?? Wegweiser vor dem Atelierhau­s: Eine Skulptur von Hermann Focke aus Metall vor dem Eingang
Wegweiser vor dem Atelierhau­s: Eine Skulptur von Hermann Focke aus Metall vor dem Eingang
 ??  ?? Ein Raum zum Leben reicht, über eine Wendeltrep­pe geht’s zum Schlafzimm­er des Künstlers.
Ein Raum zum Leben reicht, über eine Wendeltrep­pe geht’s zum Schlafzimm­er des Künstlers.
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Gefaltet, geklebt, gestapelt: Kunst mit Ecken und Kanten

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