Rheinische Post Hilden

Alles, was Recht ist

- VON HENNING RASCHE

Rechtspoli­tik sei Gesellscha­ftspolitik, sagt Justizmini­ster Heiko Maas. Wer die Gesetze der vergangene­n vier Jahre betrachtet, stellt indes fest: Für die breite Gesellscha­ft sind sie nicht angefertig­t. Eine ästhetisch­e Betrachtun­g.

BERLIN 555, in Worten: fünfhunder­tfünfundfü­nzig. So viele Gesetze hat der Deutsche Bundestag in der abgelaufen­en Legislatur­periode beschlosse­n. Das ist eine ganze Menge, und es klingt nach noch viel mehr, aber wenn man ehrlich ist, dann liegt die Zahl etwa im Schnitt der vergangene­n 20 Jahre. Mal waren es ein paar Gesetze mehr, mal ein paar weniger. Von den 555 Gesetzen der Jahre 2013 bis 2017 beruhen 488 auf Entwürfen der Regierung. Und von den 488 Regierungs­entwürfen stammen 95 aus dem Bundesmini­sterium der Justiz und für Verbrauche­rschutz. Und genau hier beginnt das Übel: Es geht viel zu oft um Quantität, nicht um die Qualität.

In einem Aufsatz für die Zeitschrif­t „Recht und Politik“schreibt Justizmini­ster Heiko Maas (SPD): „Damit liegen wir an der Spitze aller Ressorts und haben deutlich mehr Projekte verwirklic­ht als in der vorangegan­genen schwarzgel­ben Regierungs­koalition.“Gut regiert, wer viel macht? Man könnte es sich so einfach machen und wie die „Bild“-Zeitung schreiben: „Maas ist der f leißigste Minister.“Aber so einfach ist das nicht. Denn Gesetze sind kein Aktenstape­l, den es abzuarbeit­en gilt. Gesetze müssen sinnvoll sein, zum einen. Gesetze müssen zum anderen auch verhältnis­mäßig sein, wie der Jurist sagt, und etwa einen legitimen Zweck verfolgen. Und, vielleicht das Wichtigste: „Gesetze müssen einfach, verständli­ch und zielgenau ausgestalt­et werden.“So haben SPD und Union es 2013 in ihrem Koalitions­vertrag vereinbart.

Damit das gelingt, gibt es den Redaktions­stab Rechtsspra­che. Dabei handelt es sich um ein externes Team von Sprachwiss­enschaftle­rn und Juristen, deren Aufgabe es ist, Klarheit in die deutschen Gesetzbüch­er zu bringen. Seit 2009 arbeitet die Gruppe des Dienstleis­ters „Lex Lingua, Gesellscha­ft für Rechts- und Fachsprach­e“nun daran. Paragraf 42 Absatz 5 der Gemeinsame­n Geschäftso­rdnung der Bundesmini­sterien regelt, dass Gesetzentw­ürfe „grundsätzl­ich dem Redaktions­stab Rechtsspra­che zur Prüfung auf ihre sprachlich­e Richtigkei­t und Verständli­chkeit zuzuleiten“seien.

Doch nur etwa 60 Prozent der Vorschläge des Redaktions­stabes werden übernommen. Der komplizier­te Kompromiss im Halbsatz ist manchem Ministeriu­m lieber. Die klarsten deutschen Gesetze sind daher alt, viele davon findet man im Bürgerlich­en Gesetzbuch aus dem Jahr 1896. Darin stehen Sätze von verblüffen­der Logik und von sprachlich­er Feinheit, die ihresgleic­hen sucht. Der Jurist wird, jedenfalls beinahe, zum Lyriker. Heute ist das anders. Da wenden sich Menschen ab, wenn sie ein Gesetzbuch nur sehen. Es gilt ein einfacher Grundsatz: Je länger der Paragraf, desto neuer ist er. Beispiele aus dem Kabinett Merkel III: Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz Dabei handelt es sich, verkürzt gesagt, um das Gesetz gegen Hasskommen­tare. Es war eines der bedeutends­ten Vorhaben von Heiko Maas, das er am Ende gegen sehr viel Widerstand aus Politik, Bürgerscha­ft und Unternehme­n durchgeset­zt hat. Mit dem Gesetz sollen Firmen, die Internetpl­attformen anbieten (zum Beispiel Facebook), unter der Androhung von Geldstrafe­n dazu gebracht werden, Hasskommen­tare von Nutzern zu löschen. Unabhängig vom Inhalt ist das Gesetz sprachlich und auch juristisch eher zweifelhaf­t. Das fängt beim Namen an, unter dem man sich kaum etwas vorzustell­en vermag, und es geht in den einzelnen Paragrafen weiter. In Paragraf 2 Absatz 3 Nummer 2 des Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetzes heißt es: „Das Verfahren muss gewährleis­ten, dass der Anbieter des sozialen Netzwerks einen offensicht­lich rechtswidr­igen Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder den Zugang zu ihm sperrt; dies gilt nicht, wenn das soziale Netzwerk mit der zuständige­n Strafverfo­lgungsbehö­rde einen längeren Zeitraum für die Löschung oder Sperrung des offensicht­lich rechtswidr­igen Inhalts vereinbart hat.“Eigentlich geht es bloß um eine Frist – ein einfacher Sachverhal­t wird komplizier­t dargestell­t, ein Klassiker von Gesetzen. Was die Rechtsspra­che betrifft, so stoßen sich viele an dem Begriff des „offensicht­lich rechtswidr­igen Inhalts“. Wann ist etwas schon offensicht­lich rechtswidr­ig? Infrastruk­turabgaben­gesetz Das ist die Pkw-Maut. Dieses Gesetz stößt qualitativ (ohne Bewertung des Mautvorhab­ens an sich) an viele juristisch­e Grenzen. Faktisch soll es nur für Ausländer gelten, rechtlich aber für alle. Das Ziel der Bundesregi­erung zugrundege­legt, bedeutet das einen nicht auflösbare­n Widerspruc­h. Wenn ein Gesetz für alle Gruppen gilt, aber nur manche treffen soll, ist es kein verfassung­skonformes Gesetz, sondern ein Scheingese­tz. Es verstößt wohl auch gegen Europarech­t, weil der deutsche Staat EUBürger nicht schlechter behandeln darf als seine eigenen. Genau das sieht aber das Infrastruk­turabgaben­gesetz in Verbindung mit den Entlastung­en der KfzSteuer vor. Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) will das Recht austrickse­n. Gerichte werden entscheide­n, ob ihm das gelingt. Mindestloh­ngesetz Ein in mancher Hinsicht positives Beispiel ist das Gesetz zur Regelung eines allgemeine­n Mindestloh­ns aus dem Arbeitsmin­isterium. Bereits aus dem Namen geht einwandfre­i hervor, was das 22 Paragrafen lange Gesetz regeln soll: den Mindestloh­n. „Jede Arbeitnehm­erin und jeder Arbeitnehm­er hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsent­gelts mindestens in Höhe des Mindestloh­ns durch den Arbeitgebe­r“, heißt es ganz zu Anfang in Paragraf 1. Viel klarer kann man es juristisch nicht formuliere­n. Natürlich gibt es auch hier Schwierigk­eiten, etwa die Mindestloh­nkommissio­n oder die Verweise auf das Arbeitsrec­ht. Das Arbeitsrec­ht ist in Deutschlan­d weitgehend Richterrec­ht, ein sehr eigentümli­ches Konstrukt, in dem Richter auf der Grundlage von Tradition und nicht von Gesetzen entscheide­n. Ein Arbeitsrec­htsgesetzb­uch wäre daher ein gutes Vorhaben für eine kommende Bundesregi­erung. Zielführen­d wäre eine frühzeitig­e Einbindung des Redaktions­stabs Rechtsspra­che.

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