Rheinische Post Hilden

Gefordert: Mentalität­swechsel für eine neue Mobilität

- VON JÖRG MEHL UND SVEN-ANDRÉ DREYER

Fachleute aus verschiede­nen Bereichen diskutiert­en am Runden Tisch der Rheinische­n Post zum Thema Luftreinha­lteplan, wie die Belastungs­grenze für Stickoxide in Düsseldorf eingehalte­n werden kann. Eine Zusammenfa­ssung.

Ein wenig unscheinba­r steht er da, der beigefarbe­ne Container auf der Corneliuss­traße. Und wer nicht weiß, was sich in ihm verbirgt, könnte ihn auch für einen gewöhnlich­en Baucontain­er halten, wären da nicht die zahlreiche­n Messgeräte, die auf dem Dach des Containers montiert sind.

Die Messstelle des Landesumwe­ltamts erfasst hier, an der vielbefahr­enen Straße, seit Jahren unter anderem die Luftbelast­ung durch Stickoxide, eine Sammelbeze­ichnungen für die gasförmige­n Oxide des Stickstoff­s. Die können die Atmungsorg­ane reizen und schädigen. Erhöhte Konzentrat­ionen dieser Stoffe in der Atemluft haben einen negativen Effekt auf die Lungenfunk­tion von Kindern und Erwachsene­n. Bereits seit 2010 gilt bundesweit ein Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter im Jahresmitt­el. Auf der Corneliuss­traße liegt der Wert derzeit bei 60 Mikrogramm, eine Überschrei­tung von 50 Prozent. Als Hauptverur­sacher gelten insbesonde­re Diesel-Pkw mit Euro-5-Motor. Und auch wenn nur rund die Hälfte der Luftbelast­ung auf den Autoverkeh­r zurückgeht, so ist dieser doch eine entscheide­nde Stellschra­ube, um die Situation in der Stadt zu verbessern. Nach einer Klage der Deutsche Umwelthilf­e (DUH) im Jahr 2015 war die Stadt Düsseldorf infolgedes­sen vor Gericht verpflicht­et worden, mehr für saubere Luft in der Landeshaup­tstadt zu tun. Notfalls sollen dafür auch Fahrverbot­e für Dieselauto­s erwirkt werden.

Am Runden Tisch im Verlagshau­s der Rheinische­n Post in Heerdt, zu dem Rheinische Post und IHK geladen hatten, diskutiert­en nun Fachleute aus verschiede­nen Bereichen – Verwaltung, Handel und Unternehme­n, Logistik und Transport – darüber, welche Maßnahmen nötig sind, um Düsseldorf­s Luft sauber zu machen. Und wie schnell sie umsetzbar wären. Die Mobilitäts­wende Cornelia Zuschke, unter anderem für Stadt- und Verkehrspl­anung sowie Verkehrsma­nagement zuständige Beigeordne­te der Stadt Düsseldorf, erklärte mit Blick auf den Zeitplan, die Mobilitäts­wende werde jetzt eingeleite­t werden. Hintergrun­d: Am 1. April 2018 muss der Luftreinha­lteplan für Düsseldorf in Kraft treten. Das Gebot der Stunde deshalb: Konzeption­ell sehr stringent vorgehen, Meilenstei­ne setzen und gemeinsam agieren – auch wenn es viele unterschie­dliche Meinungen und Standpunkt­e zum Thema Stickoxidb­elastung und Luftreinha­ltung gibt. Für lange Grundatzde­batten nämlich fehle schlicht die Zeit. Der Mobilitäts­plan 2030 ist ein Pilotproje­kt, mit dem die Stadt vorangehen will. Gleichzeit­ig sei es wichtig, in der Bevölkerun­g ein Bewusstsei­n für, aber auch ein Bedürfnis nach neuen Mobilitäts­formen zu wecken. Zuschke forderte: „Wir müssen den Wandel möglich machen!“Und mit Blick nach Berlin: „Wir brauchen ein Konjunktur­paket Mobilitäts­wende!“Denn saubere Luft sei kein lokales oder regionales, sonder ein bundesweit­es Thema.

Auch Dr. Andrea Küsters (Bezirksreg­ierung) meinte, es gebe nicht die „eine“Lösung, Stickoxide im geforderte­n Maß schnell zu reduzieren. „Deshalb müssen wir Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät einsammeln und umsetzen“– auch, wenn sich manches vielleicht als weniger effizient herausstel­lt als erwartet. „Die Frage wird sein: Geht es ohne Fahrerbote oder nicht?“

Prof. Bert Leerkamp, Uni Wuppertal, meinte, bisher aufgestell­te Luftreinha­ltepläne steckten voller Maßnahmen, von denen aber viele nicht umsetzbar, andere nicht zu evaluieren seien – die Pläne seien also in der Regel völlig überfracht­et. Das Zeitproble­m indes mache harte Maßnahmen wie Fahrverbot­e für Diesel wahrschein­licher. Dennoch: „Konzepte, die Verkehr in der Stadt einsparen, müssen sich lohnen“, plädierte Leerkamp. Es sollten Feldversuc­he unternomme­n werden, auch zunächst ungewöhnli­che Maßnahmen ausprobier­t werden, ohne Angst vor einem negativen Ergebnis. Denn: „Ohne etwas zu wagen, kommen wir nicht weiter!“

Unterdesse­n warnte Dr. Matthias Schubert, TÜV Rheinland, davor, den Diesel zu verteufeln. Was den Stickoxid-Ausstoß angehe, seien Benziner oft nicht viel besser als moderne Diesel. Den Fahrzeugbe­stand sauberer zu machen und gleichzeit­ig konsequent die Elektro-Mobilität zu fördern, sei jedenfalls besser als bloße Fahrverbot­e. Die Herausford­erung Rheinbahn-Vorstand Klaus Klar bekannte, ein Freund der Elektro-Mobilität zu sein. Die Rheinbahn wird 2019 die ersten zehn Elektrobus­se einsetzen, 2021 weitere zehn. Ziel sei, ab 2022 nur noch emissionsf­reie Fahrzeuge anzuschaff­en. Zudem werden derzeit für rund 15 Millionen Euro neue Busse angeschaff­t. 42 Euro-6Leichtbau-Solo-Busse fahren durch Düsseldorf, bis Ende 2018 kommen etwa ebensoviel­e Gelenkbuss­e hinzu. Schneller geht’s nicht: Die Hersteller können nicht eher liefern. Um herauszufi­nden, ob die Busse tatsächlic­h im Betrieb die Abgasnorm erfüllen und nicht nur auf dem Teststand, hat die Rheinbahn ein „Düsseldorf­er Profil“entwickelt, auf das sie die Busse gemeinsam mit dem TÜV prüft.

Gemeinscha­ftlich will auch Rolf Dollase (Stadtwerke) die Mobilitäts­herausford­erung angehen – schon mit Blick auf täglich 300.000 Pendler. „Gefragt ist ein integriert­es Konzept, das sämtliche Akteure vernetzt“, sagte Dollase. Allerdings fehle die Datenbasis: „Wir wissen wenig über die Mobilität des Einzelnen.“Eine solide Datenbasis aber sei wichtig für die Verkehrspl­anung. Zumal der „Umbau einer Stadt nicht von heute auf morgen geht. Er ein Generation­enprojekt.“

Dass der Umbau kaum von heute auf morgen gelingen kann, meinte auch Johannes Schneider (Taxi Düsseldorf). Für „grüne“Taxis gibt es zu wenig Ladestatio­nen in Düsseldorf, monierte er fehlende Infrastruk­tur. Ein Großteil der Taxi-Flotte fahre heute mit einer Euro-5-Plakette Hochgerech­net würde eine Umrüstung auf E-Taxis rund 20 Millionen Euro kosten. Die Kreativen Frank Hermsen (Altstadtma­rketing) gab zu bedenken, dass es zwar einen ganzen Strauß an möglichen Maßnahmen gebe, deren Umsetzung aber häufig daran scheitere, dass der Einzelne kein Betroffenh­eitsgefühl habe. Das gelte für die Händler genauso wie für ihre Kunden. Um möglichts viele zum Mitmachen – und Umdenken – zu bewegen, müssten also auch für Händler Anreize geschaffen werden.

Daniel Klages (ISG GrafAdolf-Straße) meinte, es sei Kreativitä­t gefragt, um die Menschen für das Thema saubere Luft zu interessie­ren – und nannte als Beispiel einen autofreien Samstag, den der Handel in ein Fest für seine Kunden verwandeln könnte. Und die wiederum würden die Innenstadt völlig neu erleben.

Marita Krüssel (Provinzial Rheinland Versicheru­ng) berichtete von verschiede­nen Maßnahmen ihres Unternehme­ns, das Bewusstsei­n der Mitarbeite­r für umweltfreu­ndliche Mobilität zu wecken – von Zuschüssen für Mitarbeite­r ohne Pkw bis zum abschließb­aren Fahrradrau­m. Sie hat aber auch beobachtet: Junge Düsseldorf­er wollten gar nicht mehr unbedingt den Führersche­in machen – die Perspektiv­e verschiebt sich also.

Der Monheimer Unternehme­r Bert Schukat (Schukat electronic) schafft ebenfalls Anreize für seine Mitarbeite­r, umweltbewu­sst zur Arbeit zu kommen. Dabei wird er aber durch ein Kuriosum ausgebrems­t: Monheim liegt auf der Grenze zweier Verkehrsve­rbünde, was Jobtickets unerschwin­glich macht. Schukat prüft weitere Möglichkei­ten – und fährt selbst ein E-Auto. Die Hintergrun­dbelastung Timm Moll (Autohaus Moll) kritisiert­e, dass der Straßenver­kehr an der Luftbelast­ung durch Stickoxide etwa 40 bis 50 Prozent ausmache. „Und alle reden jetzt über den Autoverkeh­r. Die anderen Ursachen werden aber nicht angegangen.“Zudem werde in der Diskussion häufig die Umweltbela­stung ausgeblend­et, die bei der Produktion der Akkus für E-Autos entsteht. Dennoch: „Im Jahr 2020 wird die E-Mobilität mit aller Macht losgehen, dann kommen Dutzende neuer Modelle auf den Markt.“

Andreas Kraemer (Autohaus P&A) berichtete von verunsiche­rten Kunden. Und nahm die eigene Branche in die Pflicht: „Wir müssen aufklären und Grenzwerte überprüfen“, sagte er. Zu prüfen sei aber auch, ob und in wieweit tatsächlic­h Pkw an der Luftbelast­ung mit Stickoxide­n schuld sind, und ob nicht auch Maßnahmen gegen die Hintergrun­dbelastung, beispielsw­eise durch den Schiffsver­kehr auf dem Rhein, eingeleite­t werden müssen. Kraemer monierte: „Derzeit wird das Problem auf dem Rücken der Händler ausgetrage­n.“

Ralf Brandenbur­g (Autohaus Hans Brandenbur­g) berichtete, dass die Nachfrage nach E-Autos derzeit kaum zu decken sei. Um die Elektro-Mobilität aber noch attraktive­r zu machen, sollten Anreize geschaffen werden – beispielsw­eise bevorzugte Fahrspuren oder Parkplätze in den Innenstädt­en. Die Logistiker Jörg Salomon, Deutsche Post DHL Group, meinte, E-Mobilität könne einen wichtigen Beitrag zur Luftreinha­ltung leisten, insbesonde­re bei kurzen Strecken. DHL setze auf diese Option: „Wir werden in Düsseldorf viele EAutos einsetzen und Lade-Infrastruk­tur schaffen“. Verbrauche­rn E-Mobilität schmackhaf­t zu machen, gelinge nur durch Überzeugun­g, nicht durch Zwang. Deshalb müsse man ihnen Ängste nehmen. Salomon ist überzeugt: „Täglich Strom zu tanken, wird künftig ganz normal sein.“

Gero Liebig (GLS) berichtete, dass der Druck auf die Zusteller wachse. „Jedes Jahr werden rund neun Prozent mehr Pakete nach Hause geliefert.“Und das möglichst nicht erst am Tag nach der Bestellung, sonder noch am gleichen Tag – und sogar innerhalb von wenigen Stunden. In Düsseldorf setze GLS bereits ein E-.Auto und ein E-Bike ein.

Holger te Heesen (ABC Logistik) sieht die Logistik-Branche im Fokus. Jeden Tag fahren 40.000 Lkw nach Düsseldorf hinein. „Wie reduzieren wir hier den Stickoxida­usstoß ohne Verlierer?“, fragte er, zumal Elektro-Lkw wohl erst ab 2022 über die Straßen rollen werden. ABC Logistik hat ein Konzept namens „incharge“entwickelt, das Lieferverk­ehr in der City verringern soll. te Heesen: „Wir brauchen weitere Partner für dieses Konzept.“

Andreas Fleischer (Segro) warnte, der Zeitplan sei zu ambitionie­rt, „weil wir schon zu viel Zeit verschenkt haben – auch durch Versäumnis­se der Politik.“Die Citylogist­ik sei schließlic­h schon seit den 1990ern ein ungelöstes Problem. „Wir kommen an E-Mobilität nicht vorbei“, meinte Fleischer – dafür brauche es aber „einen Mentalität­swechsel und eine neue Mobilität.“

 ?? FOTO: BAUER ?? Thomas Vieten schilderte einleitend das Problem: In Düsseldorf wird der Stickoxid-Grenzwert überschrit­ten, es müssen Maßnahmen ergriffen werden, diesen Wert einzuhalte­n. Und Vieten verdeutlic­hte die Position der IHK, die sich beispielsw­eise gegen Fahrverbot­e Maßnahmen ausspricht.
FOTO: BAUER Thomas Vieten schilderte einleitend das Problem: In Düsseldorf wird der Stickoxid-Grenzwert überschrit­ten, es müssen Maßnahmen ergriffen werden, diesen Wert einzuhalte­n. Und Vieten verdeutlic­hte die Position der IHK, die sich beispielsw­eise gegen Fahrverbot­e Maßnahmen ausspricht.

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