Rheinische Post Hilden

Der letzte Tag: Bioladen sagt „Auf Wiedersehe­n“

- VON DANIELE FUNKE hilden@rheinische-post.de 02103 9591-10 facebook.com/rp.hilden rp-online.de/whatsapp 02103 9591-29

Wenn Yamina Merzougui heute Abend die Eingangstü­r zu ihrem Naturkostl­aden an der Heiligenst­raße abschließt, geht eine Ära zu Ende: 33 Jahre lang hat sie ihre unzähligen Stammkunde­n mit gesunder und frischer Ware versorgt. Vielleicht aber gibt es doch eine Möglichkei­t, den Laden zu retten.

HILDEN Behutsam packt Irmgard Nagel ihren Einkauf in den Stoffbeute­l: Hirse, Essig, Naturseife, Gesichtscr­eme und ein paar andere Dinge für den täglichen Bedarf. „29,65“, rechnet Yamina Merzougui auf dem alten Taschenrec­hner zusammen. Hermann Nagel streckt ihr einen 50 Euro-Schein entgegen. „Seit Jahrzehnte­n sind wir hergekomme­n, ich kann das alles nicht glauben“, sagt der Senior mit leiser Stimme, sein Blick richtet auf den bereits leergeräum­te hinteren Teil des kleinen Biolädchen­s, „wo sollen wir bloß in Zukunft hingehen?“. Auch seiner Frau versagt fast die Stimme, als Yamina Merzougui um die Ladentheke kommt, um sich von ihren beiden treuen Kunden mit einer festen und langen Umarmung zu verabschie­den. „Wenn ich nur an Dein Sonnenblum­enbrot von früher denke, Yamina“, schwärmt die alte Dame und kämpft mit den Tränen, „dieser Duft, der Geschmack, so ein leckeres Brot habe ich nie wieder irgendwo gefunden.“

Yamina Merzougui wirkt erstaunlic­h gefasst, zu viele Abschiede sind es vermutlich in den vergangene­n Tagen gewesen. „Ich habe es ja auch seit Januar gewusst, seit mir das Ladenlokal von meiner neuen Vermieteri­n gekündigt wurde“, erklärt die 56-Jährige, während sie den Boden fegt. Immer wieder kommen vertraute Gesichter herein, wollen sich beim günstigen Abverkauf mit Vorräten eindecken, nur einen Kaffee trinken oder Yamina Marzougui einfach mal drücken.

Irina Schäfer füllt einen leeren Eierkarton mit sechs Bioeiern und nimmt eine Zucchini aus einer Holzkiste, eine Flasche Bioapfelsa­ft. „Ich war schon mehrfach hier in den letzten Tagen und habe hier viel gekauft“, sagt die langjährig­e Stammkundi­n, während sie die Inhalte der verschiede­nen Müslisorte­n miteinande­r vergleicht. „In den Anfangsjah­ren lief das Geschäft eher schleppend“, erinnert sich Yamina Merzougui, während sie Irina Schäfer im Arm hält, „wenn wir da Geld brauchten und die hohen Zinsen der Banken nicht zahlen konnten, dann haben uns Stammkunde­n wie Irina Kleinkredi­te gegeben.“Die Kundin lacht verlegen. „Das ist doch klar, dass man aushilft, wenn es geht. Wir haben unser Geld dann in Form von Lebensmitt­eln und anderen Produkten zurückbeko­mmen.“

Hermann Nagel

Kaum ein zweites Einzelhand­elsgeschäf­t in Hilden hat solange Bestand gehabt, so viele Jahre nicht die Ladenräume gewechselt. „Dazu“, sagt Yamina Merzougui mit voller Überzeugun­g, „haben alle beigetrage­n: meine vielen lieben Stammkunde­n und meine stets wunderbare­n Mitarbeite­rinnen.“Eine von ihnen, der der Abschied besonders schwer fällt, ist Birgit Huismann, seit vielen Jahren als festangest­ellte Mitarbeite­rin an Yamina Merzouguis Seite. Ihr steht die Trauer ins Gesicht geschriebe­n, ihre Stimme klingt brüchig. „Ich fasse das alles nicht, ich will das nicht wahrhaben, dass es zu Ende sein soll, ich war hier so glücklich.“

Seit Januar haben sich beide Frauen nach anderen Räumlichke­iten umgeschaut, zwei Ladenlokal­e würden perfekt passen, um den Naturkostl­aden im Zentrum weiterzufü­hren. „Das Problem ist nur, dass die Mieten rund 1000 Euro teurer sind als hier, das ist für uns nicht zu stemmen“, erklärt Yamina Merzougui, fährt dann mit den Fingernäge­ln über die hölzerne Theke und atmet tief durch, „daher habe ich mich vor vier Wochen zu einem endgültige­n Aus entschiede­n.“Das aber will niemand wirklich glauben, denn wo ein Wille ist, ist bekanntlic­h ein Weg. „Ihr habt ja alle Recht“, seufzt die Ladeninhab­erin, während die anwesenden Stammkunde­n klar signalisie­ren: dich lassen wir nicht einfach gehen. „Rein theoretisc­h müsste ich ja nur 500 Förderer finden, die feste monatlich zwei Euro spenden- dann könnte es tatsächlic­h weitergehe­n“.

„Seit Jahrzehnte­n sind wir hergekomme­n, ich kann das alles nicht

glauben“

Wer zur Rettung des Naturkostl­adens „Guten Morgen“beitragen möchte, kann eine E-Mail schicken an „gutenmorge­n@merzougui.de“

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RP-FOTO: OLAF STASCHIK Yamina Merzougui hat vor vier Wochen entschiede­n, ihren Bioladen endgültig zu schließen. Hier ist sie im Gespräch mit Kundin Astrid Bösch.
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