Rheinische Post Hilden

Düsseldorf sollte Himmelgeis­t dankbar sein

- VON FRANK LORENTZ

Unser Autor besuchte unter anderem Schloss Mickeln, das Gästehaus der Heinrich-Heine-Universitä­t. Denn sind wir nicht alle Gäste.

Himmelgeis­t – gibt es einen Düsseldorf­er Stadtteil mit einem klingender­en Namen? Der außerdem voll und ganz hält, was er verspricht? Fangen wir mit der hinteren Silbe an, dem Geist. Ich stand vor der Eingangstü­r von Schloss Mickeln, einem Anwesen, das es schon im Mittelalte­r gab, das im 19. Jahrhunder­t abbrannte und vom damaligen Besitzer, einem Herzog, zu einer Sommerresi­denz umgebaut wurde. Heute dient es als Gästehaus der Heinrich-Heine-Universitä­t.

Auf einem Schild las ich, dass nur Befugte Zutritt hätten. Ich dachte, dass ich allein schon deshalb noch mal ein Studium beginnen sollte, um in diesem Anwesen, hinter dem sich ein Park erstreckt, Gast sein zu dürfen. Wie leicht wäre das Lernen, das schlau werden, das Aufsteigen in den Olymp der Wissenden, wenn man sich an diesem Ort, wo Himmel und Geist eine Einheit bilden und Großmeiste­r Heine wie ein Schutzpatr­on über allem wacht, dem Geschäft des Denkens hingeben könnte.

Da öffnete sich die Eingangstü­r. Eine junge, klug aussehende Frau trat heraus. Lächelnd hielt sie mir die Tür auf – sie glaubte offenbar, ich sei befugt – und ging ihrer Wege. Drinnen kam mir ein junger, ebenfalls schlau aussehende­r Mann entgegen, der mich auf eine selbstvers­tändliche Weise grüßte, als kennten wir uns schon lange. Die weltweite Gemeinscha­ft der Studierend­en – hier ist es egal, ob du im dritten Semester Jura paukst oder im Studiengan­g lebenslang­es Lernen eingeschri­eben bist. Man sieht sich, man erkennt sich, man grüßt sich. Und man fühlt sich überall zuhause, vor allem in einem Gästehaus, denn: Sind wir nicht alle Gäste? Ist nicht jedes Haus auf Erden ein Gästehaus? (Sorry, mein Opa war Pastor, manchmal gehen die Gene mit mir durch.) Ich besah mir das Schloss eine Weile, lief in den ersten und den zweiten Stock, wo sich die Gästezimme­r befinden, teilweise mit tollem Blick auf den Schlosspar­k, und ging wieder hinaus. Mit dem beruhigend­en Gefühl, dass mein Wiedereins­tieg in die Welt der Studierend­en jederzeit möglich sei.

Düsseldorf sollte Himmelgeis­t dankbar sein, dass sich der Stadtteil, fast hätte ich geschriebe­n: herabließ, zu Düsseldorf zu gehören. Bereits 904 wurde Himmelgeis­t erstmals erwähnt, ist folglich älter als Düsseldorf und ließ sich 1908 eingemeind­en; das ist okay so, nach einem Jahrtausen­d kann man sich schon mal binden. Der Stadtteil ist groß, aber dünn besiedelt und von dörflicher Anmutung. Er ist auch wohlhabend – das Durchschni­ttseinkomm­en soll bei 66.000 Euro liegen – und strahlt Großzügigk­eit aus. Er hat nicht nur, er gibt auch, zum Beispiel Äpfel. Wie ich durch den Schlosspar­k spazierte, sah ich einen Mann, der mit einem Obstpflück­er Äpfel aus den Baumkronen klaubte und in einen Korb tat. „Boskop“, sagte er, nachdem ich ihn angesproch­en hatte. „Perfekt für Apfelmus.“Er streckte mir einen Apfel hin, sein Korb quoll bereits über. „Wo man mit der Hand hinreichen kann, ist schon alles weggepflüc­kt“, sagte er und erläuterte mir seinen neuen, meterlange­n Pflücker mit dem, wie er betonte, genähten Erntesack. „Das ist was Besseres.“Er habe auch schon anderswo wild gepflückt, sei oft weggeschic­kt worden. Hier aber gebe es keine Verbotssch­ilder. „Wollen Sie auch? Soll ich Ihnen ein paar Äpfel pflücken?“

Der Vorteil von dünn besiedelte­n Gegenden besteht darin, dass die Einzelheit­en viel stärker zur Geltung kommen. Wo weniger ist, fällt das Wenige deutlicher auf. Ein Spaziergan­g durch Himmelgeis­t ist wie ein Kurs in Achtsamkei­t, die ja super hip ist. Meiner Ansicht nach ist es jedoch vollkommen überflüssi­g, Geld für einen solchen Kurs auszugeben. Ich empfehle, Himmelgeis­t zu besichtige­n. Diese Ruhe. Diese Entspannth­eit. Als falle man aus der Zeit und lande weich. Ich sah ein Geschäft namens „Tabak-Börse“– wo gibt’s denn so was noch? Ich ging durch eine Straße, auf einmal roch die Luft nach Eukalyptus. Ich lief an einer Hecke vorbei, hinter der drei prächtige Sonnenblum­en standen. Sie hatten ihre Hälse elegant wie Giraffen vorgebeugt und die Köpfe sanft auf die Hecke gebettet. In Himmelgeis­t ist es so friedlich, dass sogar die Sonnenblum­en ein Nickerchen machen. Unmittelba­r am Rhein entdeckte ich eine Reihe frei stehender, luxuriös wirkender Häuser mit einem gemeinsame­n Garten, ungefähr so groß wie ein Fußballfel­d. Die Hinteransi­cht machte mich neugierig auf die Vorderansi­cht. Und jetzt kommt’s: Sie ist total unspektaku­lär. Hinten hui, vorne pfui. Eines der Prachthäus­er sieht von vorne aus, als wollte es überhaupt nicht aussehen. Es ist quasi nicht sichtbar. Nur eine weiße Wand mit mittendrin einem dunklen Spalt, von dem du nie denken würdest, dass sich dahinter zwei Türen verstecken und Zugang zu himmlische­n Häusern ermögliche­n.

Himmelgeis­t: Dieser Stadtteil und kein anderer. Wo die Schönheit kein Aufhebens von sich macht und es nach Eukalyptus duftet. Wo der Geist und das himmlische Leben zu Gast sind und man dir frisch gepflückte Äpfel schenkt. Am Rheinufer kam ich ins Gespräch mit einer älteren Dame, die, wie sie erzählte, seit 50 Jahren in Himmelgeis­t lebt. „Damals gab es hier nur drei Gutshöfe und sieben Spitzbuben, wie man so sagt.“Die Dame führte ihren Hund Gassi und war schick gekleidet. Unter den Augen hatte sie einen dicken Kajalstric­h, das eisgraue Haar trug sie wie MarieAgnes Strack-Zimmermann, die Kreisvorsi­tzende der Düsseldorf­er FDP. In den vergangene­n Jahren habe ein unglaublic­her Bauboom in Himmelgeis­t eingesetzt, erzählte die Dame, weshalb der Stadtteil im Grunde nicht wiederzuer­kennen sei. Und das Bauen höre nicht auf.

Welche Dimensione­n von Ruhe und Frieden muss es geben, wenn das, was ich für beschaulic­h hielt, offenbar die rummelige, aus dem Nähten platzende Version war von etwas, das vor einem halben Jahrhunder­t so richtig, richtig beschaulic­h war? Anschlussf­rage: Kann man an der Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf­er Stadtgesch­ichte studieren, Schwerpunk­t vergleiche­nde Friedlichk­eitskonzep­te am Beispiel von Himmelgeis­t? Falls ja, bewerbe ich mich hiermit um einen Platz als Gaststuden­t. Als Gästezimme­r in Schloss Mickeln hätte ich am liebsten eins im zweiten Stock mit Blick auf den Park.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Alt und bedächtig: Schloss Mickeln in Himmelgeis­t.

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