Rheinische Post Hilden

Gutes (Vor-)Lesen will gelernt sein

- VON EIKE HÖVERMANN

Funktional­e Analphabet­en – um sie ging es bei einem Workshop, in dem das Vorlesen trainiert wurde. Es wurde klar, wie wichtig das ist.

HILDEN 7,5 Millionen gibt es von ihnen in ganz Deutschlan­d, es sind Erwachsene zwischen 18 und 65 Jahren. Die Hildener Lese-Trainerin Helga Schwarze will hier früh ansetzen und schon bei Kindern „die Lust aufs Lesen wecken“. Daher gibt sie im Rahmen einer Vorlese-Werkstatt wissenswer­te Tipps für richtiges Vorlesen. „Vorlesen ist vor allem heute ganz wichtig“, denn es werde nur noch in jeder dritten Familie vorgelesen – und das liege meistens an der fehlenden Zeit, erklärt die Bibliothek­arin. „Bereits Kinder stehen heute unter Zeitdruck, Kindergart­en oder Ganztag müssen mit Freizeitak­tivitäten unter einen Hut gebracht werden.“Das bedeute oft auch Freizeitst­ress. Eltern seien vor allem beruflich stark eingebunde­n.

Gut also, dass sich in der Stadtbibli­othek, Nove-Mesto-Platz 3, neun Teilnehmer in Schwarzes VorleseWer­kstatt zusammenge­funden haben, die bereit sind, in Zukunft das Vorlesen zu übernehmen. Ingrid Gärtner, noch Hochdahler­in und bald Haanerin, ist eine von ihnen. Sie kann sich ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen. „Als kleines Kind wollte ich als erstes Lesen lernen.“Heute liest die 63-Jährige zusammen mit Senioren im „Geschichts­schreiber-Projekt“in Düsseldorf und hofft zu lernen, worauf sie beim Lesen achten muss „damit es nicht langweilig wird.“Die Wünsche der Kursteilne­hmer sind vielfältig: Langsamer, deutlicher oder abwechslun­gsreicher Vorlesen – sie alle haben schon Erfahrung, sei es in Gruppen oder Zuhause mit Kindern und Enkeln.

Manche bringt die Suche nach einer neuen Vorlese-Gruppe und Norbert Blessing, einer von zwei Männern der Runde, möchte etwas „Handwerksz­eug“dazulernen, bevor er sich im Kindergart­en ehrenamtli­ch als Vorleser engagiert. „Ich habe schon in der Grundschul­e als Lernpate gearbeitet“, sagt der 66Jährige. Die Kursleiter­in freut sich über jeden Mann in ihrer Runde. „Männer haben beim Lesen eine wichtige Vorbildfun­ktion, gerade für Jungen. In Kindergärt­en und auch Grundschul­en sind es oft Frauen, die Vorlesen.“

Auf diese Weise entstehe bei Jungen schnell der Eindruck, Lesen sei weiblich und nur was für Frauen und Mädchen. Männern fehle auch im privaten Umfeld die Zeit oder auch die Lust zum Vorlesen, stellt Schwarze fest. In ihrer Werkstatt versucht sie jedem Wunsch der Teilnehmer nachzukomm­en und gibt viele Profi-Tipps, leitet zudem Übungen an. Die Auswahl des richtigen Textes, passend zur Zielgruppe, Schaffung von Rahmenbedi­ngungen, wie sollten Betonungen und Pausen gesetzt werden. In einer Übung bekommen die Teilnehmer einen Satz, den sie in einer ganz bestimmten Emotion vorlesen müssen.

Besonders wichtig sei es auch, Kinder in das Vorlesen einzubezie­hen, zum Beispiel, indem sie die Geräusche von Tieren in einer Geschichte übernehmen. „Die Kinder sind dann Teil der Geschichte, dürfen ihren Einsatz nicht verpassen und sind somit konzentrie­rter dabei“, erklärt Schwarze. „Und anstatt unruhige Kinder übertönen zu wollen, sollte man selber ruhiger werden“und nur lesen, wenn wirklich Ruhe herrscht.

Gegen die hohe Zahl funktional­er Analphabet­en hat die Bundesregi­erung 2016 das Programm „Nationale Dekade für Alphabetis­ierung und Grundbildu­ng 2016 bis 2026“ins Leben gerufen, in dessen Rahmen das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF) beispielsw­eise Projekte fördert, die Grundbildu­ng und berufliche Weiterbild­ung verbinden sollen. Weitere Informatio­nen hierzu gibt es unter www.alphadekad­e.de.

 ??  ?? Vorlesewor­kshop mit Helga Schwarze in der Stadtbüche­rei Hild
Vorlesewor­kshop mit Helga Schwarze in der Stadtbüche­rei Hild

Newspapers in German

Newspapers from Germany