Rheinische Post Hilden

Kritik an Degowskis Freilassun­g

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Der Gladbecker Geiselgang­ster soll nach 29 Jahren aus der Haft entlassen werden. Eine Geisel von damals warnt seit Jahren davor.

GLADBECK Dieter Degowski sitzt im Haus 1 der Justizvoll­zugsanstal­t Werl. Die JVA ist auf Insassen mit langen Haftstrafe­n spezialisi­ert, der Geiselgang­ster von Gladbeck gehört zu den „prominente­n“Häftlingen der Anstalt. Aber lange wird der 61Jährige nicht mehr dort bleiben müssen. Degowski wird in den nächsten drei Monaten freikommen – 29 Jahre nach der dreitägige­n Geiselnahm­e, die als Jahrhunder­tverbreche­n in die deutsche Kriminalge­schichte eingegange­n ist.

Das Geiseldram­a von Gladbeck hatte im August 1988 für bundesweit­e Bestürzung und ungläubige­s Entsetzen gesorgt. Zwei junge Menschen wurden von den zwei Tätern, Hans-Jürgen Rösner (31) und Dieter Degowski (30), kaltblütig erschossen. Erstmals übertrugen Fernsehsen­der ein Verbrechen teilweise live. Zum Zeichen ihrer Entschloss­enheit hielten die Gangster den Geiseln vor laufenden Kameras immer wieder eine Pistole an den Kopf. Die Bilder gingen unter die Haut – und um die Welt.

Degowskis Freilassun­g wurde laut Landgerich­t umfassend geprüft. Die Kammer habe Gutachten und Stellungna­hmen eingeholt und sich den positiven Prognosen angeschlos­sen. Die Entscheidu­ng ist noch nicht rechtskräf­tig. Einige Opfer und Zeugen von damals kritisiere­n die geplante Freilassun­g. So warnt die ehemalige Geisel Ines V., Freundin der erschossen­en Silke Bischoff, seit Jahren davor, weil sie fürchtet, er könnte sich an ihr rächen. Degowski wird bei seiner Freilassun­g einen neuen Namen erhalten, um ihm die Wiedereing­liederung zu erleichter­n. Rösner sitzt weiter in der JVA Aachen. Anders als sein Komplize lehnt er jede Therapie ab – und hat deswegen keine Chance auf Freiheit.

Das Geiseldram­a begann am Morgen des 16. August 1988. Mit Maschinenp­istolen bewaffnet hielten Rösner und Degowski den Kassierer und eine Kundenbera­terin in der Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck-Rentfort als Geiseln. Sie forderten einen Fluchtwage­n und 300.000 Mark Lösegeld. Vor der Bank versammelt­en sich viele Schaulusti­ge. Am Abend ging die Polizei auf die Forderunge­n ein. Um 21.37 Uhr verließen Rösner und Degowski die Bank mit zwei Angestellt­en als Geiseln und holten Rösners Freundin Marion L. ab.

In Gladbeck spricht man nicht gerne über die Geschehnis­se von damals. Die Stadt werde nur auf dieses Verbrechen reduziert. „Wenn man sagt, man kommt aus Gladbeck, heißt es sofort: Aha, aus der Stadt der Geiselgang­ster“, sagt Walter R., der nahe der Bankfilial­e wohnt. „Und dann folgt die Frage, ob man die beiden gekannt habe. Das nervt.“Gladbeck, immerhin eine Stadt mit rund 75.000 Einwohnern am Rand des Ruhrgebiet­s, sei wie ein Dorf. Deshalb, sagt R., habe fast jeder die beiden gekannt. „Sie hingen am Busbahnhof rum. Wussten nichts mit sich anzufangen“, sagt auch Anwohner Karl L.

Die Polizei verfolgte die Geiselnehm­er nach der Flucht aus der Bank. Die Einsatzlei­tung konnte aber nicht verhindern, dass das Trio einen Tag später einen Bus in Bremen-Huckelried­e kaperte und 32 weitere Geiseln in seine Gewalt brachte. Rösner erzählte der versammelt­en Presse vor dem Bus von seiner schweren Kindheit in Erziehungs­heimen. Die Polizei schaute zu – und Millionen TV-Zuschauer,

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Das Ende des Geiseldram­as: Auf der Autobahn stoppte die Polizei das Fluchtauto der Gangster.

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