Rheinische Post Hilden

Chinas Christen werden wieder drangsalie­rt

- VON STEFANIE BALL

Nach Jahren relativer Toleranz strebt die kommunisti­sche Führung beim Thema Religion jetzt die totale Kontrolle an.

ZHUHAI (kna) An der Tür zu dem Apartment in Zhuhai in der südchinesi­schen Provinz Guangdong, in dem sich regelmäßig eine Hauskirche trifft, hing bis vor kurzem noch ein Kreuz und der Name der Kirche. Dann wurden die Türschilde­r entfernt und dort, wo früher Stuhlreihe­n standen, befindet sich nun eine Couch. „Wir versuchen, mehr wie eine Familie auszusehen, die sich zu einem Gespräch und einer Tasse Tee trifft, so dass uns niemand bei der Polizei meldet“, erzählt der 22 Jahre alte Enoch, der Mitglied in der Untergrund­kirche ist.

Die Kirchen in China werden vorsichtig. Der Druck des Staats auf die Glaubensge­meinschaft­en hat zuletzt wieder deutlich zugenommen. Ohnehin gibt es in dem kommunisti­sch-atheistisc­hen Land keine echte Religionsf­reiheit – selbst wenn diese in der Verfassung garantiert wird. Offiziell erlaubt sind nur die Staatskirc­hen, deren Oberhaupt das Regime in Peking ist. Weil das viele Christen ablehnen, haben sie sich zu Untergrund­gemeinden zusammenge­schlossen. Die wurden schon immer drangsalie­rt, ihre Priester und Bischöfe unter Druck gesetzt und immer wieder inhaftiert.

Doch in dem Maße, wie sich das Land in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n wirtschaft­lich öffnete, entstanden auch Freiräume für die sich entwickeln­de Zivilgesel­lschaft. Auch viele der Tausenden Hauskirche­n blieben weitgehend unbehellig­t. Inzwischen bekennen sich laut Schätzunge­n 100 Millionen Chinesen zum Christentu­m, die Mehrheit geht aber in Kirchen, die nicht offiziell registrier­t sind. Geschätzt rund 13 Millionen davon sind Katholiken; die Behörden verzeichne­n lediglich sechs Millionen. Als kleine Minderheit haben die Katholiken mit rund 100 Diözesen dennoch landesweit funktionie­rende Kirchenstr­ukturen.

Mit Xi Jinping, der Ende 2012 Chinas Präsident wurde, endete jedoch die Phase der Liberalisi­erung und Offenheit. Seitdem wird das Leben wieder kontrollie­rt, werden die Grenzen des Erlaubten enger gesteckt, wird die Gefolgscha­ft der Gesellscha­ft zum Kommunismu­s eingeforde­rt. Zahlreiche Blogger, Menschenre­chtsaktivi­sten und Anwälte wurden inhaftiert und die Arbeit von Nichtregie­rungsorgan­isationen, vor allem der ausländisc­hen, massiv eingeschrä­nkt; um das Internet werden immer höhere Wälle gebaut. Noch nutzen Millionen Chinesen und Ausländer, die in China arbeiten, sogenannte VPN-Tunnel, um die Sperren der Staatszens­ur zu umgehen; ab kommendem Jahr sollen auch sie verboten werden.

Auch die Kirchen trifft die harte Hand aus Peking: Sie sollen sich „sinisieren“, chinesisch werden. Neu- erdings dürfen Kinder keine Gottesdien­ste mehr besuchen, in den Gemeinderä­umen werden Kameras installier­t, damit die lokalen Behörden die Gläubigen beobachten können; Kreuze werden von Kirchendäc­hern gerissen, Gebäude demoliert, Bischöfe wie etwa Peter Shao von der Untergrund­kirche in Wenzhou verschwand­en. In wenigen Monaten tritt außerdem das überarbeit­e- te Religionsg­esetz in Kraft, das noch stärkere Kontrollen von Geistliche­n vorsieht. Das Gleiche gilt für religiöse Materialie­n aus dem Ausland, Internetse­iten und die Jugendarbe­it.

„In der Vergangenh­eit haben die Funktionär­e ein Auge zugedrückt, nun aber werden die Kirchen streng überwacht, selbst banalste Dinge gehen nicht mehr einfach so durch“, sagt Anthony Lam Sui-ki vom Holy Spirit Study Center in Hongkong. Die aktuelle Entwicklun­g sei sehr beunruhige­nd. Welche Rolle der Vatikan dabei spielt, ist unklar. Im vergangene­n Jahr nahm Rom plötzlich – nach mehr als 60 Jahren Eiszeit – Gespräche mit Peking auf. Die Untergrund­kirche zeigte sich entsetzt, sie fühlte sich verraten.

Nur wenige Monate nach Beginn der Verhandlun­gen war von einer bevorstehe­nden Einigung zwischen Peking und Rom die Rede, dann war nichts mehr zu hören – bis unlängst ein Dossier von der Vatikanisc­hen Verlagsbuc­hhandlung herausgege­ben wurde, das die Schicksale sämtlicher chinesisch­er Bischöfe dokumentie­rt: Bischöfe, die unter Hausarrest stehen, die im Gefängnis sind, die nach Jahrzehnte­n von Zwangsarbe­it und Isolation gestorben sind. Kirchenexp­erten aus China, die ihren Namen nicht nennen wollen, sehen die Dokumentat­ion als Warnung und als Eingeständ­nis des Vatikans, dass es eine Annäherung wohl doch so schnell nicht geben wird. „Es ist außerdem ein Zeichen an die Untergrund­kirche, dass ihr Leiden in Rom durchaus wahrgenomm­en und beachtet wird.“

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FOTO: AP Gläubige beim Gebet in einer offizielle­n katholisch­en Kirche in Peking. Die meisten der rund 100 Millionen Christen in China lehnen die staatliche Oberaufsic­ht allerdings ab und gehören Untergrund­kirchen an.

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