Rheinische Post Hilden

„Wenn ich das kurz noch sagen darf“

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Das politische Berlin lernt gerade einen langen Namen. Zwei Vor- und zwei Nachnamen hat die Frau, die ab Dienstag für die FDP im Bundestag sitzt und die jetzt häufiger im Fernsehen auftaucht. Teile des politische­n Düsseldorf­s atmen gerade auf. Mal nicht angebrüllt worden, mal nicht Platz zwei in einer verbalen Auseinande­rsetzung belegt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist zwar weiterhin Mitglied des Stadtrates, aber sie muss sich das Austeilen jetzt einteilen. Sie hat neue Gegner. Und Opfer. Die 59Jährige ist im Oktober in zwei großen ARD-Talkshows zu Gast gewesen, bei Anne Will und Sandra Maischberg­er, und hat dort jene Mischung aus Härte und Unterhaltu­ngswert präsentier­t, die sie in Düsseldorf geschätzt-gefürchtet gemacht hat. Erster Auftritt, Anne Will, Thema Jamaika-Koalition: Es dauert fünf Minuten, bis die Düsseldorf­erin in die Runde findet, und knapp 18 Minuten, bis sie den ersten Teilnehmer schwer erwischt. Bei der Vorstellru­nde kann der Zuschauer die Unerfahren­heit noch sehen. Der linke Mundwinkel kämpft um ein Lächeln, der Rest des Gesichts mit dem Frontalang­riff der Kamera. Als Markus Söder versucht, das Ergebnis seiner CSU als das bundesweit­stärkste Partei-Resultat schön zu reden, fällt sie ihm ins Wort. „Sie haben sechs Prozent deutschlan­dweit. Da müssen wir aber mal die Kirche im Dorf lassen.“Söder reagiert mit dem lahmsten aller Debatten-Stilmittel, sagt, er wolle bitte auch mal ausreden und man müsse doch ei- nen ordentlich­en Stil pflegen. „Man sollte bei der Wahrheit bleiben, dann ist ja gut, dann dürfen Sie weiterrede­n“, sagt die Liberale. Söder hebt den Zeigefinge­r und sagt „gnädige Frau“, weil er sich offensicht­lich den langen Namen nicht gemerkt hat. Marie-Agnes Strack-Zimmermann beherrscht oder besser erreicht ein Kunststück: Man muss ihre Meinung nicht teilen, man kann sogar komplett gegenteili­ger Auffassung sein, und doch hinterläss­t sie Spuren. Das Kunststück ist eine Art umgekehrte Überzeugun­gskraft. Strack-Zimmermann überzeugt nicht mit Inhalten, sondern mit der Kraft, mit der sie sie vertritt. Sie scheint die Ideale, von denen sie spricht, wirklich zu haben. Und sie hat diese nicht von politische­n Gepflogenh­eiten oder Karrierezw­ängen weichspüle­n lassen – mit Ausnahme ihrer eigenwilli­gen Definition von Schuldenfr­eiheit. Zweiter Auftritt, Sandra Maischberg­er, Thema Einwanderu­ngsgesetz: Der Söder heißt in dieser Sendung Bosbach, Strack-Zimmermann agiert erkennbar ruhiger als bei Anne Will. In der ersten Sendung schlug sie ständig die Beine neu übereinand­er, stützte die Arme auf die Lehnen und suchte eine neue Position, setzte sich immer wieder nach vorne auf die Sesselkant­e. Nun wackelt mal die Fußspitze, einmal rutscht sie auch, ansonsten aber fällt vor allem der Blick auf Bosbach auf: Kopf schräg, das vordere Auge weit geöffnet, das andere kleingekni­ffen. Der hätte in den meisten Saloons des Wilden Westens Eindruck hinterlass­en. Sie schlägt Bosbach mit dessen eigenem Innenmi- nister, spottet nebenbei über die Grünen („Darüber könnte man eine eigene Sendung machen, die wäre dann aber vielleicht auch schnell vorüber“) und rasiert Rechnungen, in denen Flüchtling­e und Zuwanderer vermengt werden: „Das ist natürlich völlig Banane.“Will, Maischberg­er, Morgenmaga­zin, zwei Phoenix-Sendungen, „Westpol“– die Fernsehmac­her nehmen nach den ersten Auftritten der Liberalen im Moment die extrabreit­e Bauchbinde gerne in Kauf. Die Anfragen werden nicht allgemein an die Partei gerichtet, die dann einen Repräsenta­nten ernennt, sondern es wurde direkt die Düsseldorf­er FDP-Chefin und stellvertr­etende Bundesvors­itzende eingeladen, teilte der WDR mit. Strack-Zimmermann nimmt gerne an und schätzt die neuen Erfahrunge­n. „Ich gucke zwar immer sehr ernst, mir macht das aber dennoch Freude.“Sie hat sich die Auftritte im Nachhinein angeschaut und gelernt. „Ich habe mich in der zweiten Sendung mehr zusammenge­rissen. Man muss lernen, seinen Drang dazwischen­zugehen in den Griff zu kriegen.“Freunde wie Gegner der Düsseldorf­er FDP-Chefin betonen, sie sei rhetorisch stark. Das stimmt nur zum Teil. In den beiden Sendungen bildete sie viele Nebensätze oder reihte zahlreiche Hauptsätze nahtlos aneinander („Wenn ich das noch kurz sagen darf“), und nicht immer passte das Verb am Ende noch zum Anfang. Das eigentlich­e Talent zeigte sich, wenn sie keine Zeit hatte nachzudenk­en. Sie ist etwas im doppelten Wortsinne: schlagfert­ig.

Christian Herrendorf

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FOTO: DPA Marie-Agnes Strack-Zimmermann hatte ihren ersten Auftritt in einer großen Talkshow bei Anne Will, diese Woche war sie bei Sandra Maischberg­er.

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