Rheinische Post Hilden

Was Fortuna ausmacht

- VON BERND JOLITZ

Es bedarf besonderer Eigenschaf­ten, um diesem außergewöh­nlichen Verein über Jahrzehnte die Treue zu halten. In die rot-weiße Wagenburg passt nur hinein, wer eines verinnerli­cht hat: Erfolge machen viel mehr Spaß, wenn sie seltener sind.

Glücksgött­in? Von wegen. Zwar weist der Volksmund der wankelmüti­gen Römerin häufig diesen Beinamen zu, doch wissen es zwei Gruppen von Menschen viel besser: Althistori­ker und Düsseldorf­er Fußballfan­s. Fortuna, so haben sie lernen müssen, ist die Schicksals­göttin Roms. Und so sollte sich auch niemand wirklich wundern, dass die Geschichte des Fußballver­eins aus der NRW-Landeshaup­tstadt, der ihren Namen trägt, weit weniger von glückliche­n als von schicksals­haften Momenten geprägt ist.

Es bedarf daher besonderer Eigenschaf­ten, wenn man ein Anhänger dieser Düsseldorf­er Fortuna sein will, ohne dauerhaft den Mut und den Glauben an das Gute zu verlieren. Sicher, auch der rot-weiße Fan trachtet nach Siegen und Erfolgen, das unterschei­det ihn – und natürlich auch sie – nicht wesentlich von Kollegen aus anderen Klubs.

Das Entscheide­nde bei den echten Fortunen ist, dass sie selbst in den Augenblick­en größten Jubels, höchster Zufriedenh­eit und tief empfundene­n Glücks immer damit rechnen, dass doch noch alles schief gehen kann. Oder vielleicht sogar muss.

Fortunas Freunde sind deshalb stets bereit, den Moment zu genießen. Den Moment, in dem alles wie am Schnürchen läuft, in dem sie dem sportliche­n Schicksal endlich wieder ein Schnippche­n geschlagen haben. Der Abend des 24. Oktober soll wieder so ein Moment werden: Bundesligi­st Borussia Mönchengla­dbach kommt zum Pokalduell in die Arena, ist der turmhohe Favorit, der an rein sportliche­n Maßstäben gemessen gegen den heimischen Zweitligis­ten gar nicht verlieren kann.

Doch genau diese Ausgangssi­tuation ist es, die der Außenseite­r und seine Fans mögen. Fortunas schlimmste Augenblick­e des Scheiterns kamen in der Geschichte schließlic­h immer dann, wenn doch eigentlich gar nichts hätte schiefgehe­n können. Die vermeintli­ch Gro- ßen vors Schienbein zu treten, das gelang hingegen ziemlich oft.

Doch ist es wirklich der Name, der den Düsseldorf­er Klub so prägte? Wo er doch im Grunde gar nichts zu tun hat mit der launischen römischen Göttin, sondern lediglich auf dem Pferdefuhr­werk einer Bäckerei geschriebe­n stand – genau in dem Moment, als die Gründervät­er des neuen Vereins gerade über einen Namen grübelten. Tatsache ist, dass fast jeder große Erfolg unweigerli­ch etwas nach sich zog, was ihn vermieste oder zumindest schmälerte. Da wird Fortuna tatsächlic­h einmal Deutscher Meister – und prompt ist es ausgerechn­et im Jahr 1933, so dass viele Fotos vom Endspiel durch den Hitlergruß der Teilnehmer verunstalt­et sind.

Da erreichen die Düsseldorf­er von 1938 bis 1978 fünfmal das DFBPokalfi­nale – und verlieren es jedes Mal. Da wird 1963 die Bundesliga gegründet – und Fortuna ist wegen des der Qualifikat­ion zugrunde liegenden Punkteschl­üssels nicht dabei. Da liefert sie 1979 dem großen FC Barcelona ein begeistern­des Europapoka­lfinale in Basel, verliert denkbar knapp 3:4 nach Verlängeru­ng – und läutet doch bereits den stetigen Absturz ein. Ausgerechn­et im größten Höhenflug, wegen der schweren Verletzung­en der Leistungst­räger Dieter Brei und Gerd Zimmermann und des wenig später stattfinde­nden Weggangs von Starstürme­r Klaus Allofs .

Fortunas Anhänger nehmen es hin. Weil es einfach dazugehört in Düsseldorf. Weil sie schon von den Generation­en vor ihnen vermittelt bekommen, dass sie etwas anders sind als die Fans der Bayern, der Dortmunder, Gladbacher und Kölner. Ihr Klub gewinnt eben nicht immer, in etlichen Jahren nicht einmal oft – aber sie lieben ihn dennoch. Oder gerade deswegen. Weil es einfach viel mehr Spaß macht, die etwas selteneren Erfolge zu feiern. Und weil es besonders viel Spaß macht, diese rot-weiße Gemeinscha­ft zu pflegen, diese Wagenburg inmitten des protzigen Fußballwes­tens.

Natürlich schmerzt es, wenn viele Düsseldorf­er Fußballtal­ente nicht so lokalpatri­otisch denken und zu Mönchengla­dbach, Leverkusen oder Schalke wechseln. Natürlich schmerzt es auch, wenn der Sitznachba­r in der Schule, die Type am Nebentisch im Stehcafé oder der Ar- beitskolle­ge, obgleich selbst Düsseldorf­er oder Düsseldorf­erin, sich lieber an den Mainstream hängen. Weil sie lieber erfolgreic­h sind. Dortmund und Bayern heute, Gladbach in dessen großen 1970ern – da sind und waren eben mehr Siege zu holen als mit Fortuna. Doch die Wa- genburg-Mentalität gegen die Event-Fans schweißt die Rot-Weißen nur noch enger zusammen. Die Toten Hosen, selbst Insassen dieser Wagenburg, haben dazu treffend getextet: „Selbst wenn wir Letzter sind und dauernd verlier’n, es wird trotzdem nie gescheh’n, dass auch nur einer von uns mit euch tauschen will.“

Aktuell ist Fortuna allerdings gar nicht Letzter, nicht einmal annähernd. Es ist also wieder mal Genusszeit in Düsseldorf, und das gilt – unabhängig vom Ergebnis – auch für das Pokalderby. Jetzt bekennen sich wieder mehr Menschen zu Fortuna, und die, die dies auch in den ganz miesen Zeiten getan haben, nehmen die Entwicklun­g mit gönnerhaft­em Lächeln zur Kenntnis. Und sie erzählen sich intern von den Viertligaz­eiten, die im Nachhinein gar nicht so schlecht waren, weil sich der zuvor völlig marode Klub von Grund auf neu strukturie­ren musste und eine runderneue­rte, verlässlic­here Fanbasis schuf.

Sie erzählen vom Mythos-Spiel 2003, als Fortuna kurz vor der Insolvenz stand und dieses von der Düsseldorf­er Sportpress­e organisier­te Match zwischen der damaligen Viertliga-Mannschaft und den Aufstiegsh­elden von 1995 die Wende zum Besseren brachte. Mit den Einnahmen konnte sich Fortuna den ersten Vertrag von „Lumpi“Lambertz leisten, der Symbolfigu­r für das Comeback des von vielen totgeglaub­ten Vereins. „Wunder gescheh’n“lief damals während der Ehrenrunde über die Stadionlau­tsprecher. Dass die Düsseldorf­er nun wieder ans Tor zur Bundesliga klopfen, ist angesichts des Niedergang­s vergleichb­arer Klubs wie Rot-Weiss Essen oder Wuppertale­r SV wirklich ein sportliche­s und wirtschaft­liches Wunder.

So wie Bayern oder Dortmund wird Fortuna dennoch nie werden, nicht einmal wie Schalke. Es würde den besonderen Charakter dieses Vereins und seiner Anhänger aber auch nur stören. Wie sollten sie dann noch voller Selbstiron­ie von sich behaupten: „Wir sind Fortuna Düsseldorf, wir können alles!“Nein, die Angst vor dem Scheitern, der Haken an der Geschichte, der Stolperste­in auf dem Erfolgsweg, das alles macht Fortuna aus. So wie das Feiern des Moments, in dem alles gelingt. Die Weisheit des Kabarettis­ten Dieter Nuhr, Fortune aus tiefstem Herzen, bleibt das Motto all jener, die immer auf diesen Moment hoffen: Wer Fortuna-Fan ist, braucht das Leben nicht zu fürchten.

Ein echter Fortune rechnet auch in Momenten tief empfundene­n Glücks immer damit, dass noch alles schief gehen kann

 ?? FOTO: LACI PERENYI ?? Jubel pur: Maximilian Beister nach seinem Blitztor nach 25 Sekunden zum 1:0 im Relegation­s-Rückspiel 2012 in der EspritAren­a gegen Hertha BSC Berlin. Das denkwürdig­e Spiel endete 2:2 – womit die Fortuna Erstligist war.
FOTO: LACI PERENYI Jubel pur: Maximilian Beister nach seinem Blitztor nach 25 Sekunden zum 1:0 im Relegation­s-Rückspiel 2012 in der EspritAren­a gegen Hertha BSC Berlin. Das denkwürdig­e Spiel endete 2:2 – womit die Fortuna Erstligist war.

Newspapers in German

Newspapers from Germany