Rheinische Post Hilden

„Das Ziel im Pokal muss immer Berlin sein“

- BERND JOLITZ UND THOMAS SCHULZE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Fortunas Trainer über das Derby am Dienstag, prägende Erlebnisse und über den Tag, als er fast Gladbacher Coach geworden wäre.

Bis zu Jupp Heynckes’ Comeback beim FC Bayern München war Friedhelm Funkel der älteste Trainer in den beiden höchsten deutschen Fußballlig­en. Wer daraus ableitet, der 63-Jährige sei womöglich nicht mehr erfolgshun­grig, liegt jedoch völlig daneben. So geht der gebürtige Neusser auch den Pokalgipfe­l ehrgeizig an. Geben Sie es zu, Herr Funkel: Sie mögen Gladbach nicht. FRIEDHELM FUNKEL Sie denn darauf?

Wie kommen Nun, Sie arbeiten bei Fortuna Düsseldorf, waren früher als Spieler und Trainer fast überall im Westen, in Neuss, Krefeld, Duisburg, Aachen, Bochum und sogar Köln. Machen Sie um Gladbach einen Bogen? FUNKEL Nein, ganz sicher nicht. Ich bin als Jugendlich­er oft auf dem Bökelberg gewesen, zum Beispiel beim berühmten 7:1 gegen Inter Mailand mit dem Büchsenwur­f auf Roberto Boninsegna. Und ich wäre sogar fast Borussia-Trainer geworden. Im Ernst? FUNKEL Ja, das kann ich Ihnen nach so vielen Jahren ja ruhig mal erzählen. Das war 1999, da hat der damalige Gladbacher Präsident Wilfried Jacobs mich in sein Büro bei der AOK in Grevenbroi­ch gebeten. Und er hat Ihnen ein Angebot gemacht? FUNKEL Genau, und ich wollte es auch annehmen. Ich habe meinen damaligen Klub MSV Duisburg, mit dem ich zweimal Achter in der Bundesliga geworden war, um die Freigabe gebeten. Der MSV hat sie jedoch nicht erteilt, und das habe ich akzeptiert. Ich fand es allerdings sehr reizvoll, Borussia zu trainieren. Sie haben uns überzeugt. FUNKEL Das ist schön, denn ich habe Sympathien für die Gladbacher – aber am 24. Oktober will ich sie schlagen. Sie gehen also optimistis­ch in das Pokalderby? FUNKEL Es ist klar, dass Borussia die individuel­l besseren Spieler hat, sie ist am Dienstag auch der Favorit. Aber sie hat sich schon in der ersten Pokalrunde bei Rot-Weiss Essen schwergeta­n, und wir wollen für dieses eine Spiel ein Gegner auf Augenhöhe sein. Welchen Stellenwer­t hat für Sie der Pokal insgesamt? FUNKEL Er hat für mich immer schon einen sehr hohen gehabt. Die großen K. o.-Spiele, die ich als Spieler und Trainer erlebt habe, kann ich noch heute von der ersten bis zur letzten Minute abrufen. Dazu gehören meine drei DFBPokalfi­nals, als Spieler mit Uerdingen 1985, als Trainer mit dem MSV 1996 und 2006 mit Frankfurt. Als Spieler habe ich gewonnen, als Trainer beide Male verloren – immer gegen die Bayern. Hat Berlin also eine besondere Bedeutung für Sie? FUNKEL Ja, aber nicht nur für mich. Ganz ehrlich, wenn eine Mannschaft im DFB-Pokal antritt, muss Berlin immer das Ziel sein. Gehen Sie so weit, dass die Pokalfinal­s die Höhepunkte Ihrer Karriere waren? FUNKEL Sie gehören dazu, aber natürlich auch das Wunder von der Grotenburg, als wir 1986 im Europapoka­l mit Bayer Uerdingen gegen Dynamo Dresden ein 0:2 aus dem Hinspiel und ein 1:3 zur Pause des Rückspiels wettmachte­n und noch 7:3 gewannen. Und das 5:0 mit dem 1. FC Kaiserslau­tern gegen Real Madrid 1982. Solche Partien sind unvergessl­iche Erlebnisse, sie tragen einen durch ein ganzes Leben. Ich hoffe, dass am Dienstag gegen Gladbach wieder eine hinzukommt. Kribbelt es denn vor diesem Niederrhei­n-Derby im DFB-Pokal selbst bei einem erfahrenen Fußball-Hasen wie Ihnen

noch?

FUNKEL Ja klar. Solche Spiele vor vollen Rängen bringen immer ein wenig mehr Anspannung. Wenn ich rausgehe, die Mannschaft­en laufen aufs Spielfeld und die Zuschauer springen auf, da bekomme ich auch heute noch Gänsehaut. Stichwort Zuschauer: Wie wichtig ist die Unterstütz­ung der Fans? FUNKEL Für Fortuna ist sie enorm wichtig. Es hat sich richtig was getan in Düsseldorf. In früheren Jahren, als ich privat als Zuschauer da war, wurde oft schnell gemurrt. Als Trainer habe ich es hier noch nie erlebt, dass die Mannschaft gnadenlos ausgepfiff­en wurde, und wir haben in der Vorsaison oft zu Hause verloren. Diese Zuschauer sind einfach großartig, stehen voll hinter uns und haben schon manchen Punkt gebracht. Ich finde es deshalb umso schöner, dass wir ihnen jetzt vieles zurückgebe­n. Stimmt, Fortuna hat den besten Saisonstar­t ihrer Geschichte hingelegt. Und nach dem 2:0 in Bielefeld waren sogar Sie einmal zufrieden. FUNKEL Für den Moment war ich es – aber dann war das schnell wieder Vergangenh­eit. Wir haben es in Bielefeld super gemacht, kompakt gestanden, wenig zugelassen und viele Chancen erspielt. So stelle ich mir das vor, aber es geht darum, solche Leistungen konstant abzurufen. Fortuna steht an der Tabellensp­itze. Als Sie nach dem Ende der Vorsaison im RP-Interview sagten, mit vier, fünf Verstärkun­gen könnte der Klub oben mitspielen, haben noch viele gelacht. Ist das eine Genugtuung? FUNKEL Nein, aber eine Bestätigun­g. Ich habe damals gesagt, wir bräuchten gezielte Verstärkun­gen, vor allem mehr Tempo im Kader. Spieler wie Davor Lovren, Benito Raman, Niko Gießelmann oder Takashi Usami haben dieses Tempo gebracht, Florian Neuhaus hilft uns spielerisc­h und durch seine Bereitscha­ft. Ebenso wichtig ist aber, dass ein Emir Kujovic großartig damit umgeht, als gestandene­r Erstligasp­ieler oft noch nicht erste Wahl zu sein. Wie steht es um die Balance im Kader? FUNKEL Sie ist das größte Plus gegenüber der Vorsaison. Da hatten wir auch eine gute erste Elf, aber dann kam ein gewisser Bruch. Jetzt sind die Positionen zwölf bis 17 viel leistungss­tärker, jeder kann jederzeit eingesetzt werden. Wie schwer wiegt denn der Verlust Ihres Vertrauten, Co-Trainer Peter Hermann, der zum FC Bayern ging? FUNKEL Sicher ist Peter ein Verlust, allein schon wegen seiner Art, mit Menschen umzugehen und wegen der Erfahrunge­n, die er gesammelt hat. Aber wir hatten uns ohnehin entschiede­n, unseren damaligen Hospitante­n Thomas Kleine zum Trainertea­m hinzuzuhol­en. Da war es logisch, ihn nun zu Peters Nachfolger zu machen. Und Axel Bellinghau­sen muss sich zwar erst einarbeite­n, kann aber auf der emotionale­n Seite schon jetzt viel helfen. Also: Jeder Mensch ist zu ersetzen. Doch trotz dieser Qualität und der bisherigen Ergebnisse haben Sie kürzlich gesagt, Fortuna sei kein Aufstiegsa­spirant. Warum nicht? FUNKEL Weil ich weiß, wie schnell so etwas umschlagen kann. Es ist noch nicht einmal ein Drittel der Saison vorbei – da steht es uns gut, Bescheiden­heit und Demut zu zeigen. Dann sprechen Sie Ihrer Mannschaft also nicht die sportliche Qualität für den Aufstieg ab, sondern wollen nur nicht darüber reden? FUNKEL Ich spreche meiner Mannschaft überhaupt keine Qualität ab. Sie gehört zu den Teams, die am Saisonende im oberen Tabellendr­ittel landen können. Aber im Fußball ist es wie im Leben: Wenn du großspurig bist, wirst du auf die Nase fallen. Wir haben eine richtig gute Mannschaft, aber was soll es bringen, jetzt dauernd über einen möglichen Aufstieg zu quatschen?

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FOTOS: IMAGO (3), DPA Dreimal Friedhelm Funkel als Spieler in legendären Fußballmat­ches (v. li.): 1982 bejubelt er mit Andy Brehme eines seiner beiden Tore beim 5:0 des 1. FC Kaiserslau­tern im Uefa-Pokal gegen Real Madrid, 1985 stülpt er sich nach dem 2:1 mit Bayer...
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