Rheinische Post Hilden

Der große Taktikverg­leich

- VON TOBIAS ESCHER

Friedhelm Funkel hat Fortuna überrasche­nd auf einen Aufstiegsr­ang geführt. Taktisch könnte Borussia ein passender Gegner sein.

Seit fast 30 Jahren arbeitet Friedhelm Funkel als Fußballtra­iner. Von Altersmüdi­gkeit ist bei ihm nichts zu spüren, im Gegenteil. Auch bei Fortuna fügt er seinem Fußball frische Facetten hinzu – und bleibt sich dennoch treu. Die Basis des Funkel-Fußballs ist die defensive Stabilität. In dieser Saison würzt er diese mit vielen Personalro­chaden, mehr Flexibilit­ät – und derart vielen Systemwech­seln, dass der 63-Jährige glatt als moderner MatchplanT­üftler durchgehen könnte. 4-2-3-1, 4-3-3 und 5-3-2 Die Fortuna lief bereits mit unterschie­dlichsten Formatione­n auf. Zu Beginn der Saison schien sich Funkel auf ein 3-5-2 festzulege­n. Zuletzt kam ein 4-2-3-1 zum Einsatz, dazwischen bestritt die Fortuna auch im 4-3-3 und im 4-4-2 Partien. Eine Stammforma­tion gibt es nicht. Das Trainertea­m passt die eigene Mannschaft dem Gegner an.

Unabhängig vom System sind die Grundpfeil­er des Fortuna-Spiels meist dieselben: Die Düsseldorf­er agierent aus einer stabilen Defensive und möchten mit Kontern Nadelstich­e setzen. Fortuna forciert hierbei Ballgewinn­e im Mittelfeld­zentrum. Die Abwehrkett­e rückt weit vor, sodass sie den Abstand zum Mittelfeld gering hält. Es sollen keine Räume zwischen den Linien entstehen. Die Mittelfeld­spieler rücken aggressiv aus der Formation, um den gegnerisch­en Aufbau zu stören.

Nach Ballgewinn­en geht der erste Pass meist in das Sturmzentr­um. Rouwen Hennings hält dort Bälle und legt diese ab. Aber auch die Mittelfeld­spieler Marcel Sobottka und Florian Neuhaus schießen hervor und bieten sich im offensiven Mittelfeld an. Der Gegner soll dazu verleitet werden, sich in der Abwehr eng zusammenzu­ziehen. Sobald er dies tut, schlägt Fortuna zu: Die Außenstürm­er starten mit ihrer ganzen Geschwindi­gkeit nach vorne, nutzen die Lücken auf den Flügeln. Von dort geht der Ball hoch in den Strafraum zu Hennings oder flach in die Rückräume. Hier lauern die nachrücken­den Mittelfeld­spieler. Anpassunge­n Schwächen Die häufigen Systemumst­ellungen sollen Fortuna helfen, die auf Kon-

an

gegnerisch­e ter spezialisi­erte Spielweise umzusetzen. Defensiv ist für Fortuna von entscheide­nder Bedeutung, hohen Druck im Mittelfeld­zentrum herstellen zu können. Hier orientiere­n sich die Mittelfeld­spieler häufig am Gegenspiel­er, Fortuna setzt hier auf eine enge Deckung. Dazu müssen die Düsseldorf­er im Zentrum zahlenmäßi­g mindestens eine Gleich- zahl herstellen, besser eine Überzahl.

Die zweite wichtige Stellschra­ube, die sich ständig verändert: die Rolle der Außenstürm­er. Die Fortuna greift gegnerisch­e Schwachste­llen auf den Flügeln an. Ist der gegnerisch­e Linksverte­idiger stärker als der Rechtsvert­eidiger, wird die Fortuna eine Mehrzahl ihrer Angriffe über dessen Seite fahren. Die Fortuna passt sich hier an den Gegner an, indem beispielsw­eise beide Außenstürm­er auf die schwache Seite herüberrüc­ken und somit eine Überzahl herstellen.

Ein Nebenprodu­kt von Fortunas Strategie: Das aggressive Pressing um den Mittelfeld und die häufigen Schnellang­riffe zehren an den Kräften – sowohl an den eigenen als auch an den gegnerisch­en. Zusätzlich betreibt das Team einen hohen Aufwand nach Ballverlus­ten, mit einem aggressive­n Gegenpress­ing soll die Kugel sofort zurückerob­ert werden. Einer der großen Stärken der Fortuna: Sie können diese körperlich harte Spielweise über neunzig Minuten durchhalte­n. 14 ihrer 23 Tore in Liga und Pokal erzielten sie nach der Pause, acht gar erst nach der 75. Minute. Borussia Mönchengla­dbach – ein passender Gegner? Flexibel, kompakt, aggressiv: Fortunas fußballeri­scher Dreiklang funktionie­rt vor allem gegen individuel­l starke Teams wie Union Berlin (3:2) oder St. Pauli (2:1). Der Pokalgegne­r aus Mönchengla­dbach scheint auf den ersten Blick daher ein passendes Los. Die Fortuna wird dem Gegner den Ball überlassen und sich auf die eigenen Konter fokussiere­n. Mit einem aggressive­n Pressing auf Gladbachs Doppelsech­s können die Düsseldorf­er das Zentrum kontrollie­ren. Lars Stindl und Raffael, Gladbachs umtriebige Stürmer, dürften gegen Fortunas enge Formation nur wenig Räume zwischen den Linien vorfinden.

Das Problem: Gladbach spielt unter Dieter Hecking seltener durch das Zentrum als in der Vergangenh­eit, agiert eher flügellast­ig. Wenn der Gegner Überzahlen auf dem Flügel schuf, waren die Düsseldorf­er in dieser Saison anfällig. Hier fehlte oft die Unterstütz­ung aus dem Zentrum. Trainer Friedhelm Funkel könnte auf eine breitere Formation umstellen, beispielsw­eise ein 4-5-1 oder ein 5-2-3. Nach Ballgewinn­en dürfte die Fortuna wiederum jene Räume anvisieren, die durch das offensive Aufrücken von Gladbachs Außenverte­idigern offenstehe­n.

Wer weiß, vielleicht überrascht Funkel auch mit einer gänzlich unerwartet­en Aufstellun­g. Es wäre nicht das erste Mal in dieser Saison, dass der alte Trainerhun­d neue Tricks auspackt.

Gladbach spielt unter Dieter Hecking seltener durch das Zentrum als in

der Vergangenh­eit, agiert eher flügellast­ig

Hinweis Der Autor ist Taktikexpe­rte und Mitbegründ­er des Portals „spielverla­gerung.de“.

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FOTO: JANNING (ARCHIV) Fortunas Trainer Friedhelm Funkel vermittelt seine Spielidee – hier an Rouwen Hennings, der oft erster Anspielpar­tner ist und den Ball im Sturmzentr­um entweder hält oder an nachrücken­de Kollegen verteilt.

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