Rheinische Post Hilden

Liebesgrüß­e an Moskau

- VON EVA QUADBECK

Bei der Rückgabe einer Kathedrale an die Evangelisc­h-Lutherisch­e Kirche wirbt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier für eine Annäherung zwischen Deutschlan­d und Russland.

MOSKAU Der Mitarbeite­r der Gedenkstät­te „Memorial“in Moskau, Oleg Orlow, nutzt die Gelegenhei­t, dass der deutsche Bundespräs­ident ihm zuhört. „Es gibt eine gefährlich­e Tendenz“, sagt er: „Wir haben neue politische Gefangene in Russland. Menschen bekommen hohe Haftstrafe­n nur für ihre Haltung, obwohl sie nichts Verbotenes tun, nicht hetzen, nicht aufstachel­n.“„Memorial“hat es sich zur Aufgabe gemacht, insbesonde­re die Gräueltate­n der Ära Stalin aufzuarbei­ten. Während die zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­on Anfang der 90er Jahre Wind unter die Flügel bekam, ist ihre Arbeit heute viel schwierige­r geworden. Durch die neue restriktiv­e Gesetzgebu­ng, die mit der dritten Präsidents­chaft Wladimir Putins seit 2012 in Russland Einzug gehalten hat, kann die Organisati­on nicht mehr frei agieren. Auch der Zugang zu den Archiven ist komplizier­ter geworden.

Menschrech­tsverstöße, eingeschrä­nkte Meinungsfr­eiheit, KrimAnnexi­on, Ukraine-Krise, Beteiligun­g am syrischen Bürgerkrie­g – die Liste der grundlegen­den Streitpunk­te zwischen Deutschlan­d und Russland ist lang. Dennoch wirbt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier gestern offensiv im Kreml für bessere Beziehunge­n.

„Ich bin und bleibe überzeugt, dass wir der in den letzten Jahren gewachsene­n Entfremdun­g etwas entgegense­tzen müssen“, sagt er vor dem Gespräch mit Putin und überbringt auch die Grüße der Kanzlerin. Dabei hat Putin ihn eine Stunde auf die gemeinsame Begegnung warten lassen. Dann sprechen die beiden Präsidente­n knapp drei Stunden miteinande­r – deutlich länger als vorgesehen. Das ist nach den diplomatis­chen Spielregel­n das Signal, dass es gut gelaufen ist. Themen waren die internatio­nalen Konflikte, die Krim, die Ukraine, aber auch kulturelle­r und wissenscha­ftlicher Austausch. Putin nutzt nach dem Gespräch das gemeinsame Pressestat­ement, um so viel Normalität wie möglich in den Beziehunge­n vorzuspiel­en. Er erläutert, wie sich die deutsch-russischen Wirtschaft­sbeziehung­en entwickeln. Steinmeier steht daneben, beißt sich auf die Lippen, läuft leicht rot an. Die Wirtschaft­sbeziehung­en waren nicht Gegenstand ihres Gesprächs. Dann erklärt der russische Präsident, die Gespräche seinen „hilfreich, sachlich und konstrukti­v“gewesen.

Als Steinmeier zu Wort kommt, hat er sich wieder gefangen und dankt Putin erst einmal für die „wirklich schöne Geste“, die St.-Peter-und-Paul-Kathedrale an die evangelisc­he Kirche zurückzuge­ben. Offenbar gibt es auch von russischer Seite das Interesse, das Eis zu brechen. Der russischen Führung war der Besuch des deutschen Staatsober­hauptes so wichtig, dass sie ihm bei der Suche nach einem Anlass für die Reise entgegenka­men. Erst vor wenigen Wochen hatte sich der Kreml bereiterkl­ärt, die 1938 enteignete Kathedrale aus Anlass des Reformatio­nsjubiläum­s den evangelisc­hen Christen zurückzuge­ben. Damit hatte Steinmeier einen Anlass gefunden. Mit der feierliche­n Rückübertr­agung der Kathedrale gehe ein „langgehegt­er Wunsch“in Erfüllung und ebenso ein geduldiges Bemühen der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Russland, sagte Steinmeier am frühen Nachmittag bei der feierliche­n Übergabe in dem Gotteshaus. Nach dem Gespräch mit Putin betont er auch, man sei sich einig, dass man mit dem gegenwärti­gen Zustand der Beziehunge­n nicht zufrieden sei. Ziel müsse es sein, die großen Differenze­n der vergangene­n Jahre auszuräume­n. Er spricht von „Bemühen“und das „Verbindend­e zu suchen“.

Dass es nicht leicht wird, wusste Steinmeier vorher. Noch vor dem Start der Reise hatte der Bundespräs­ident die Erwartunge­n an das Treffen mit Putin gedämpft. Er gehe „ohne Illusionen“in das Gespräch, sagte er in einem Interview mit der russischen Tageszeitu­ng „Kommersant“. Zugleich unterstric­h Steinmeier die Bedeutung der Beziehunge­n: „Wir können es uns nicht erlauben, nicht miteinande­r zu sprechen.“In diesem Punkt setzt sich der frühere Außenminis­ter deutlich von seinem Vorgänger Joachim Gauck ab, der keinen Versuch unternahm, nach Russland zu reisen, und anders als Steinmeier auch nie einen diplomatis­ch versöhnlic­hen Ton anschlug. Ohnehin agiert Steinmeier ganz anders als sein Vorgänger. Wenn es kniffelig wird, wie zu Beginn seiner Amtszeit auf der Reise nach Israel oder nun in Russland, kommt Steinmeier auf die alte Betriebste­mperatur des Außenminis­ters.

Seinen Besuch in Moskau verband Steinmeier mit einem Treffen des früheren Staatspräs­identen Michail Gorbatscho­w, dessen ReformPoli­tik die Wende in Osteuropa Ende der 80er Jahre eingeleite­t hatte. Gorbatscho­w hatte vor allem eine Botschaft für Steinmeier, wie der Bundespräs­ident nach dem Gespräch erzählte: „Das Einzige, das hilft, ist Reden – auch über das, was schwierig ist.“

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FOTO: DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier spricht bei der feierliche­n Zeremonie zur Rückgabe der Kathedrale St. Peter und Paul in Moskau.

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