Rheinische Post Hilden

Seehofer ist Ministerpr­äsident auf Abruf

- VON MICHAEL BRÖCKER

Der CSU-Chef hofft, sich mit einem guten Ergebnis bei den Sondierung­en in Berlin zu retten. Doch selbst Parteifreu­nde sind skeptisch.

ERLANGEN Seit zehn Jahren ist Horst Seehofer Vorsitzend­er der CSU, seit neun Jahren Ministerpr­äsident des Freistaats Bayern. Doch dass der 68jährige Arbeiterso­hn aus Ingolstadt diese Rollen auch im kommenden Jahr noch ausfüllen darf, ist inzwischen so wahrschein­lich wie Schneefall auf Jamaika. Nach dem schlechtes­ten Ergebnis der CSU bei einer Bundestags­wahl seit 1949 gilt Seehofer als angeschlag­en.

Nun fordert die einflussre­iche Junge Union in Bayern mitten in den Sondierung­sverhandlu­ngen in Berlin öffentlich einen Neuanfang an der Spitze Bayerns. Beim Delegierte­ntreffen der Nachwuchso­rganisatio­n in Erlangen wurde eine Erklärung verabschie­det, die keine Zweifel lässt: „Für einen Erfolg bei der Landtagswa­hl im kommenden Jahr braucht es einen glaubwürdi­gen personelle­n Neuanfang.“

Und dann der Satz: „Bei allen Verdienste­n, die sich Horst Seehofer in vielen Jahrzehnte­n für die CSU, Bayern und Deutschlan­d erworben hat, muss er jetzt den Weg bahnen für einen geordneten Übergang an der Spitze der Staatsregi­erung.“Einige junge Konservati­ve hatten in den Beratungen zur Erklärung sogar gefordert, dass in dem Papier auch das CSU-Spitzenamt erwähnt werden sollte, das Seehofer noch innehat.

So kam es nicht. Seehofers Sessel als Parteivors­itzender wackelt dennoch. Sein wahrschein­licher Nachfolger in zumindest einem der beiden Ämter, der bayerische Finanzmini­ster Markus Söder, wurde bei der JU-Tagung gefeiert wie ein Heilsbring­er. Seehofer versucht seit der Bundestags­wahl, die Personalde­batte bis zum Parteitag Mitte De- zember unter der Decke zu halten. Am 24. September hatte die CSU nur noch 38,5 Prozent der Stimmen in Bayern geholt, vor vier Jahren waren es noch 49,3 Prozent gewesen.

In den Jamaika-Verhandlun­gen in Berlin sei Seehofer kämpferisc­h unterwegs, heißt es dort. Er hofft, sich mit einem guten Verhandlun­gsergebnis in Berlin noch retten zu können. Doch auch die Parteifreu­nde in Berlin sind skeptisch. Ein UnionsUnte­rhändler bezeichnet­e die Rolle des CSU-Chefs in den Sitzungen als „das Aufbäumen eines Halbtoten“. Niemand rechne bei den Jamaika- Sondierern damit, dass Seehofer im Amt bleibe.

CDU-Chefin und Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die seit zwei Jahren eine intensive Fehde mit dem CSU-Chef in der Flüchtling­spolitik austrägt, hat allerdings kein Interesse an einem Wechsel bei der Schwesterp­artei. Mit Söder, dem ehrgeizige­n und selbstbewu­ssten Scharfmach­er, könne sie noch weniger anfangen, heißt es im MerkelLage­r. Im politische­n Berlin zirkuliert seit Tagen ein gesichtswa­hrendes Szenario für Seehofer. Demnach verliert er zwar sein Ministerpr­äsi- dentenamt in München, darf aber als CSU-Chef im Bundeskabi­nett unter Merkel ein Ministeram­t bekleiden. So wie 2005 bis 2008, als Seehofer im ersten Kabinett Merkel Landwirtsc­haftsminis­ter war.

Heute gehen in Berlin die Jamaika-Sondierung­en in die entscheide­nde Phase. Unter anderem kommt Merkel mit Seehofer, den Grünen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sowie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki von der FDP zusammen – einige brisante Themen sind nur separat auf ChefEbene zu klären.

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