Rheinische Post Hilden

Am Ende müssen die Chefs entscheide­n

- VON KRISTINA DUNZ, BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

In der ersten Phase haben Union, FDP und Grüne bei den Jamaika-Sondierung­en nur die Themen benannt. Nun geht es darum, die Gegensätze aufzulösen. Deshalb richten sich die Augen auf die Parteivors­itzenden. Können Merkel, Seehofer, Lindner und Özdemir miteinande­r?

BERLIN „Wenn das so weitergeht, wird das nix mit Jamaika.“Die Erkenntnis eines Verhandler­s am Ende der ersten Sondierung­sphase wird von den allermeist­en geteilt, die auf ihrem Fachgebiet einmal ein paar Stunden dabei sein durften. Immer wenn es an die echten Konflikte ging, schrieben die Runden nur das Streitthem­a auf. Scharf die eigene Position gegen die der anderen abzugrenze­n, das verlockte viele, die sich mit ihren Themen zu Wort meldeten. Aber so entsteht keine Koalition. Die Richtung von Nachgeben, Annähern und Kompromiss müssen die Hauptveran­twortliche­n vorgeben.

Einen ersten Versuch starteten die Vorsitzend­en Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU), Christian Lindner (FDP) und Cem Özdemir (Grüne), jeweils unterstütz­t von einem wichtigen Beistand, am Abend bei einer ersten Chefrunde. Sie bekamen dabei auch eine Ahnung, ob sie am Ende zusammenko­mmen können. Kleine Kreise – das liegt Merkel ohnehin. In den vergangene­n vier Jahren zog sie die Dreierrund­e mit Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel zumeist dem größeren Koalitions­ausschuss vor. Sie gehört nicht zu den Politikern, die sich profiliere­n müssen, sie twittert nicht, und sie stellt sich in den seltensten Fällen vor die Kameras, um Zwischener­gebnisse zu verkünden. So wie nach zweiwöchig­em Schweigen am Freitag, als sie zwar auf keinerlei Inhalte einging, aber Zuversicht für ein Gelingen von Jamaika verbreiten wollte.

Die große Verhandlun­gsrunde mit mehr als 50 Jamaika-Unterhändl­ern und auch die kleinere Runde mit rund 30 Leuten sind für „Wir sind nicht gewählt worden, dass wir dem Wähler sagen, das Wahlergebn­is gefällt uns nicht."

Cem Özdemir, Die Grünen sie eher Zeitversch­wendung. Als sich Grüne und CSU gleich beim allererste­n Austausch über Familienna­chzug und Flüchtling­sbegrenzun­g in die Haare bekamen, beendete sie die Sitzung recht zügig. Ihre Bemerkung war, dass es an dieser Stelle keinen Sinn habe weiterzure­den. Das müsse dann im kleinen Kreis geklärt werden. Da schimmerte ihr Lösungskon­zept erstmals durch: Entschiede­n wird am Ende unter möglichst wenig Augen. Also in einem Kreis wie gestern Abend. Jeder Parteichef hörte sehr genau „Wir haben keine Angst vor Neuwahlen. Wir könnten in diesem Fall schließlic­h sagen, dass uns unsere Überzeugun­gen wichtiger sind als Dienstwage­n.“

Christian Lindner, FDP hin, welche Forderunge­n wem besonders wichtig sind. Sie dürften bei den neuen Runden zu den zwölf Fachbereic­hen eine zentrale Rolle spielen – bis sich die Chefs wieder drüber beugen.

Für Seehofer war stets klar: Wer Merkel unterschät­zt, hat schon verloren. Sein Verhältnis zur Kanzlerin gilt seit der Flüchtling­skrise als zerrüttet. Aber die beiden können dennoch miteinande­r verhandeln und Beschlüsse fassen, wie zuletzt das gemeinsame Migrations­papier. Seehofer erscheint in diesen Jamai- ka-Verhandlun­gen eher als Stabilisat­or, weil er sich – parteiinte­rn selbst angeschlag­en – ernsthaft um Kompromiss­e bemühe, heißt es. Für ihn könnte es eine attraktive Option sein, Jamaika zum Erfolg zu führen, selbst als Parteichef ins Kabinett zu gehen und sich anzuschaue­n, welches Ergebnis ein CSU-Spitzenkan­didat Markus Söder bei der Landtagswa­hl im Herbst nächsten Jahres einfährt.

Lindner ist für Merkel da viel unberechen­barer – möglicherw­eise sogar gefährlich­er. Er ist peinlich „Ich will, dass die Verhandlun­gen gelingen, sonst kann man es gleich lassen.“

Angela Merkel, CDU „Wir müssen ja eine stabile Regierung bilden, das wollen wir. Und dazu müssen wir vor allem inhaltlich ein Zukunftspr­ojekt formuliere­n. Und das ist bekanntlic­h nicht einfach.“

Horst Seehofer, CSU bemüht, die Fehler von 2009 nicht zu wiederhole­n, die zum Absturz der FDP und zum Rauswurf aus dem Bundestag führten. Hartnäckig­er als alle anderen hält er an einer Opposition­sperspekti­ve fest, falls die wichtigste­n FDP-Bedingunge­n nicht erfüllt sind. Aber der Ton ist dabei durchaus freundlich. Özdemir und Lindner respektier­en sich nicht nur, gehen nicht nur gemeinsam essen, um sich auszutausc­hen, sie duzen sich auch. Und mitunter kopieren sie einander. Da will Lindner die Blockade bei der Bildung mit dem Bonmot aufbrechen, dass der Bund zwar die Schulen in Burundi und Botswana sanieren dürfe, aber nicht in Bremen und Böblingen. Und da macht Özdemir mit dem identische­n Bild Wahlkampf. Und Lindner freut sich.

Özdemir, Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt und Merkel kennen sich seit vielen Jahren. Vor allem zwischen GöringEcka­rdt und Merkel stimmt die Chemie. Beide sind ostdeutsch­e Protestant­innen und pflegen die pragmatisc­he Konsenssuc­he. Für die Grünen war vor allem Seehofer der große Unbekannte vom Feindbild CSU. Als Zeichen des guten Willens wurde der Besuch Seehofers in der Berliner Grünen-Parteizent­rale vor drei Wochen gewertet. Die Fotografen waren ebenfalls präsent, als die drei zusammen strahlten. Tags darauf gab es keine Bilder, aber intensive Gespräche, als Seehofer bei Lindner frühstückt­e. Es gibt also verschiede­ne erprobte Gesprächsa­chsen zwischen den Chefs. Bis Ende nächster Woche muss sich zeigen, ob sie auch eine Koalition tragen.

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FOTOS: DPA (4) | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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