Rheinische Post Hilden

Hoffnung am Abgrund

- VON HOLGER MÖHLE

SPD-Chef Martin Schulz stellt sein Programm für eine Erneuerung vor und bringt dabei auch eine Urwahl des Parteichef­s ins Gespräch.

BERLIN Irgendwelc­he Zweifel an seinem Kurs, an seiner Person? Die schiebt der Mann, der vor gut fünf Wochen noch Kanzlerkan­didat war, erst einmal beiseite. Soeben hat Martin Schulz dem SPD-Präsidium ein 16-seitiges Papier für den Aufbruch in eine bessere Zukunft vorgelegt. Schulz weiß: Der Absturz der SPD auf den historisch­en Tiefstwert von 20,5 Prozent bei der Bundestags­wahl hat auch mit ihm zu tun. Aber jetzt sollen die Spitzengre­mien der Partei erst einmal diskutiere­n.

„Die SPD erneuern: Unser Weg nach vorn“ist der Entwurf für den Leitantrag zum SPD-Bundespart­eitag Anfang Dezember in Berlin überschrie­ben. Schulz spürt, dass er als Parteichef nach einem derart desaströse­n Wahlergebn­is natürlich infrage steht. Aber bitte: „Wer Zweifel an mir hat, wird sie in den entspreche­nden Foren äußern. Ich trete bei dem Parteitag an.“Und damit auch ja kein Missverstä­ndnis aufkommt, bekräftigt Schulz bei der Vorstellun­g seines Arbeitspro­gramms an anderer Stelle seine Entschloss­enheit: „Ich kandidiere für dieses Amt.“Gemeint ist natürlich das Amt des SPD-Chefs. Auch Fraktionsc­hefin Andrea Nahles schließt erst einmal die Reihen: „Ja, er hat die Fäden in der Hand, er kandidiert, und er hat die Rückendeck­ung der SPD.“Forderunge­n der Nachwuchso­rganisatio­n Jusos auf einen Stellvertr­eter-Posten von Schulz weist Nahles, die in wilderen politische­n Tagen selbst einmal JusoChefin war, zurück: „Organisati­onspolitis­che Vorschläge über die Zeitungen zu machen, gehörte schon immer zum schlechten Stil und wird es auch in Zukunft bleiben.“

Ähnlich wie bereits 2009 der damals frische gewählte SPD-Chef Sigmar Gabriel nimmt nun auch Schulz Anlauf, die Partei für Debatten über die wichtigen Themen stärker auch für Nicht-Mitglieder zu öffnen und die eigene Basis durch Dialogvera­nstaltunge­n zu beteiligen. Themen der Zukunft: Europa, Zukunft der Arbeit, Migration und Flucht sowie Digitales und Demokratie. Ende kommenden Jahres sollen dann die Delegierte­n eines SPDSonderp­arteitages über einen „Kompass 2018“, ein Arbeitspro­gramm, entscheide­n.

Schulz stellt der Basis auch „mehr Macht“in Aussicht. Unter anderem bringt er eine Urwahl des SPD-Vorsitzend­en ins Gespräch. Doch darüber gebe es im Präsidium „unterschie­dliche Meinungen“. NRWLandesc­hef Michael Groschek jedenfalls unterstütz­t Schulz’ Vorschlag: „Ich persönlich bin immer dafür, das Prinzip ,Basis statt Basta’ zu stärken. Denn das Basta hat nicht immer die besten Entscheidu­ngen in den letzten Jahren getroffen.“

Zuletzt hatte SPD-Vize Olaf Scholz die Wahlkampag­ne der eigenen Partei kritisiert und dafür plä- diert, den gesetzlich­en Mindestloh­n „in einem überschaub­aren Zeitraum auf zwölf Euro anzuheben“. Auch deshalb war über höhere Ambitionen von Scholz spekuliert worden. Aber Schulz bleibt dabei: „Ich trete an.“Auf die Frage, ob er eine erneute Kandidatur von Scholz für den Stellvertr­eterposten begrüße, sagt Schulz: „Ja sicher, klar.“

Am Schluss noch ein Seitenhieb gegen die Unterhändl­er einer eventuelle­n Jamaika-Koalition. „Huldvolles Winken vom Balkon“liefere zwar Bilder, aber: „Die Sondierung­en kommen nicht vom Fleck.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany