Rheinische Post Hilden

„Auf Kuba herrscht Stillstand“

- ALEXANDRA WEHRMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Die Künstlerin ist morgen mit ihrem neuen Solo-Tanzstück im FFT zu erleben. Darin beschäftig­t sie sich kritisch mit ihrer Heimat.

Die Tänzerin und Choreograf­in Maura Morales ist Kubanerin. In ihrem jüngsten Stück, einer Solo-Performanc­e mit dem Titel „Exceso de la nada“(„Überfluss des Nichts“), setzt sie sich kritisch mit dem Land auseinande­r, das sie 1996 verließ. Im Begleittex­t zu Ihrem neuen Stück werden Sie mit folgendem Satz zitiert: „Mit sechs Jahren habe ich gelernt zu tanzen, mit zehn Jahren, wie man eine Kalaschnik­ow benutzt, und mit 18 Jahren, dass die Geschichte meines Landes eine Lüge war.“Das mit der Kalaschnik­ow müssen Sie uns erklären! MORALES In Kuba hatten wir Militärübu­ngen als Schulfach. Uns Kindern wurde ständig eingetrich­tert, dass eine militärisc­he Bedrohung seitens der USA unmittelba­r bevorstünd­e, dass wir für den Ernstfall bereit sein müssten. Von daher mussten wir jeden Freitag eine Stunde lernen, wie man Dynamit zündet, Schießübun­gen machen und besagte Kalaschnik­ows zerlegen und zusammense­tzten. Bevor Sie mit Waffen in Kontakt kamen, lebten Sie in Nuevitas, einem Fischer-Dorf an der kubanische­n Küste. Wie kamen Sie zum Tanz? MORALES Während meine Freundinne­n aus der Nachbarsch­aft Prinzessin­nen werden wollten, wollte ich schon als Mädchen immer Tänzerin werden. Glückliche­rweise wurde ich mit sechs Jahren von den Talentscou­ts des kommunisti­schen Schulsyste­ms gesichtet und zum Vortanzen eingeladen. Ich wurde aufgenomme­n und verbrachte die nächsten Jahre im Ballett-Internat. Wie darf man sich Ihre tänzerisch­e Ausbildung vorstellen? MORALES Es war eine sehr harte Ausbildung, die viel Disziplin erforderte. Aber da es sich um das staatliche Internat der schönen Künste handelte, wurden neben der Sparte Tanz auch Musik, bildende Kunst und Schauspiel gelehrt. Es war wun- derbar und inspiriere­nd, mit anderen Kindern aufzuwachs­en, die unterschie­dliche Kunstricht­ungen verfolgten. Wir lernten viel voneinande­r und erlangten so auf natürliche Weise ein breites Wissen über Kunst. Sie haben Kuba 1996 verlassen. Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Kuba heute beschreibe­n? MORALES Es tut weh mitanzuseh­en, wie Kuba, das sich als revolution­äres Land bezeichnet, seit 1959 auf der Stelle tritt. Es hat sich so gut wie nichts verändert. Mich ärgert, wie ein System sich mit Lügen aufrecht hält und es seinen Bewohnern unmöglich macht, sich ein eigenes Bild von der Realität zu machen. Meine Beziehung zu Kuba ist am besten mit frustriere­nd umschriebe­n. Auf der anderen Seite bewundere ich die Belastbark­eit und Leidensfäh­igkeit meiner Landsleute. Wie entstand die Idee, Kuba ein eigenes Stück zu widmen? Hatten Sie die schon länger im Kopf? MORALES Gerade in letzter Zeit werde ich häufig auf Kuba angesproch­en. Man beglückwün­scht mich mit den Worten „Jetzt haben sich die Dinge auf Kuba doch endlich verändert“. Ja, es hat sich etwas verändert auf Kuba – nur leider nicht für die Kubaner, sondern nur für ausländisc­he Investoren. Solange die Kubaner nicht die Möglichkei­t haben, zu sagen, was sie denken, wird sich nichts verändern. Ich lebe hier in Deutschlan­d und weiß, dass es ein großes Glück ist, frei seine Meinung äußern zu können. Daher empfand ich es geradezu als Verantwort­ung, dieses Stück über Kuba zu machen. Ist Kuba ein von den Touristen missversta­ndenes Land? MORALES Es ist natürlich, dass die Touristen nicht den alltäglich­en Kampf ums Überleben der Kubaner mitbekomme­n. Wozu auch? Als Tourist möchte man sich den Urlaub mit den kulturelle­n und geographis­chen Vorzügen dieses Inselparad­ieses versüßen. Und da Kuba quasi von den ausländisc­hen Devisen lebt, zeigt es sich genau von der Seite, die die Touristen sehen wollen. Ich würde sagen, dass Kuba zur Zeit ein Land für die Touristen ist, nicht jedoch für die Kubaner selbst. In den letzten Produktion­en der Cooperativ­a Maura Morales waren immer mehrere Tänzer auf der Bühne. „Exceso de la nada“ist nun ein Solo, der Fokus ist also voll auf Ihnen. Was bedeutet das für die Entwicklun­g der Arbeit und die Bühnen-Performanc­e selber? MORALES Es ist ein autobiogra­phisches Stück. Von daher war es mir wichtig, die Verantwort­ung auf der Bühne alleine zu tragen. Das geht so weit, dass ich meinen Partner Michio, der bei allen Stücken live auf der Bühne zugegen ist, in eine Tonkabine verbannt habe.

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FOTO: KLAUS HANDNER/FFT Maura Morales mit ihrem künstleris­chen Partner Michio.

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