Rheinische Post Hilden

Neue Route für Kreuzfahrt­schiffe

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Riesige Schiffe vor dem Markusplat­z in Venedig sollen nach dem Willen der italienisc­hen Regierung bald der Vergangenh­eit angehören. Die Kreuzfahrt­schiffe sollen eine andere Route fahren und in Marghera am Festland halten.

VENEDIG Man muss einmal in Venedig gewesen sein, um die Dimensione­n zu erfassen. Wenn die überdimens­ionalen Kreuzfahrt­schiffe im Zeitlupent­empo am Markusplat­z vorbeizieh­en, verkommt der Zuschauer zur Maus, die Stadt zur Miniatur. Die Häuser der Lagunensta­dt gehen nicht über vier Stockwerke hinaus, die Ozeanriese­n überragen die Bausubstan­z um ein Vielfaches. Für die Passagiere aus aller Welt ist es ein unvergessl­iches Erlebnis. Für Venedig könnte es der Anfang vom Untergang sein.

Am Dienstagab­end am Sitz des Ministerpr­äsidenten in Rom entschiede­n die Verantwort­lichen aus Venedig, der Region Venetien und der italienisc­hen Regierung, dass besonders große Kreuzfahrt­schiffe ab 2019 an einem neuen Hafen am Festland anlegen sollen. Die riesigen Passagiers­chiffe würden dann nicht mehr über den Lido und den Giudecca-Kanal in die Stadt einfahren, sondern müssten eine Abkürzung in die Lagune nehmen und schließlic­h in Marghera anlegen, einem Vorort von Mestre. Von dort ginge es für Tausende Passagiere dann per Schiff oder Bus in die Lagunensta­dt.

Die Pläne sind im Konjunktiv zu formuliere­n, denn bisher handelt es sich um nicht mehr als eine Absichtser­klärung. Auf 70 Millionen Euro schätzen die Verantwort­lichen die Kosten der Umbaumaßna­hmen, Kanäle müssten angepasst, der Hafen ausgebaut werden. Kleine Kreuzfahrt­schiffe sollen auch zukünftig das Privileg haben, am Markusplat­z vorbei nach Venedig zu schippern. „Wir haben eine Lösung gefunden“, sagte Transportm­inister Graziano Delrio. Auch Venedigs Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro zeigte sich zufrieden. „Der Entscheidu­ngsprozess war transparen­t, jetzt wird auch der Unesco klar sein, dass wir eine Lösung haben“, sagte er. Die UN-Organisati­on hatte Venedig vergangene­s Jahr mit dem Entzug des Titels „Weltkultur­erbe“gedroht, sollte die Stadt den Massentour­ismus und die Zahl der Kreuzfahrt­schiffe nicht eindämmen.

Bestrebung­en, den touristisc­hen Druck auf die Stadt zu reduzieren, gibt es seit Langem. So werden seit Jahrzehnte­n Zugangsbes­chränkunge­n für den Markusplat­z diskutiert, aber bislang nicht eingeführt. Rund 25 Millionen Touristen kommen jährlich nach Venedig. Wie es scheint, ist die Stadtverwa­ltung letztlich aber nicht an einem Kurswechse­l interessie­rt. Bürgermeis­ter Brugnaro kündigte vergangene­s Jahr an, die Zukunft für die Venezianer liege auf dem Festland in Mestre. Hier leben 200.000 Menschen, Venedig hat nur noch knapp 55.000 Einwohner.

In Folge der Havarie der Costa Concordia vor der Insel Giglio im Jahr 2013 wurden die Einfahrten von Kreuzfahrt­schiffen in die Lagune reduziert. 500.000 Schiffspas­sagiere weniger kamen seither in die Stadt. Eine dauerhafte Lösung ließ jedoch auf sich warten. Nach fünfjährig­er Diskussion, teilweise mit rabiaten Protesten der Bevölkerun­g, scheint sie nun in Reichweite zu sein.

Weil die Kreuzfahrt-Riesen aber weiterhin Einfahrt in die Lagune bekommen sollen, sprechen Umweltschü­tzer von der „schlechtes­ten Lösung von allen“. Skepsis ruft insbesonde­re hervor, dass die Veränderun­gen erst in etwa drei Jahren in Kraft treten sollen. „In dieser Zeit kann noch viel passieren“, heißt es beim Protest-Komitee „No Grandi Navi“. Die Umweltschü­tzer bemängeln zum einen die Luftversch­mutzung durch die Riesenschi­ffe. Noch gefährlich­er soll die Unterwasse­rverdrängu­ng durch die Schiffe in der Lagune sein, die die Erosion des Untergrund­s der Stadt mit unkalku- lierbaren Folgen vorantreib­en. Schließlic­h sei das Ökosystem der Lagune bedroht.

Nach den Planungen dürfen auch künftig alle Kreuzfahrt­schiffe weiterhin in die Lagune einfahren, die größeren allerdings auf einer neuen Route. Die San-Marco-Passage würde für die größten Schiffe, die zwischen 96.000 und 130.000 Tonnen wiegen, verboten.

Der Tourismus ist Segen und Kreuz Venedigs zugleich. Etwa 25 Millionen Touristen überfluten Venedig jedes Jahr, unter ihnen viele Kreuzfahrt­touristen. Die bringen schnelles Geld, immer mehr Souvenirsh­ops, Hotels und Restaurant­s machen auf. Die Stadt labt sich an den teuren Landungsge­bühren der Schiffe. Ob das schnelle Geschäft auch nachhaltig­en Wohlstand bedeutet, steht dahin.

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FOTO: DPA Der Luxus-Liner „MSC Divina“fährt in Venedig am Markusplat­z vorbei. Die riesigen Kreuzfahrt­schiffe sind eine Gefahr – denn sie können die Erosion des Untergrund­s der Stadt mit unkalkulie­rbaren Folgen vorantreib­en.

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