Rheinische Post Hilden

Hercule Poirot ermittelt wieder

- VON MARTIN SCHWICKERT

Kenneth Branagh gelingt mit „Mord im Orient-Express“eine großartige Neuauflage des Agatha-Christie-Klassikers.

Sidney Lumets „Mord im Orient-Expreß“gehört zu den großen Kinoklassi­kern der 1970er Jahre. Von Lauren Bacall, Albert Finney, Ingrid Bergman, Jacqueline Bisset bis zu Sean Connery, Anthony Perkins und Vanessa Redgrave reicht der Aufmarsch der Filmlegend­en, die sich auf engstem Raum versammelt­en, um Agatha Christies populären Kriminalro­man aus dem Jahre 1934 auf die Leinwand zu bringen. Die Messlatte hängt also ungewöhnli­ch hoch,

13 Top-Akteure wie Johnny Depp machen

aus dem Film ein Schauspiel­er-Spektakel

wenn die Fox-Studios nun ein Remake des Fernverkeh­r-Kammerspie­ls in Angriff nehmen. Aber mit Kenneth Branagh wurde ein bekennende­r Enthusiast als Regisseur unter Vertrag genommen, der in seine Shakespear­e-Adaptionen genauso viel Herzblut steckte wie in die Comic-Verfilmung „Thor“oder zuletzt in die Wiederbele­bung des DisneyKlas­sikers „Cinderella“.

Und tatsächlic­h: Auch in seinem „Mord im Orient-Express“ist der Wille zum großen Kino von den ersten Filmminute­n an sichtbar, wenn die Kamera einem Marktjunge­n durch die belebten Gassen Jerusalems folgt, der die Frühstücks­eier für den belgischen Kommissar Hercule Poirot ins Hotel bringt. Branagh spielt selbst den legendären Kriminalis­ten, den Agatha Christie als etwas angeberisc­hes, männliches Gegenstück zu ihrer gewieften Ermittleri­n Miss Marple entworfen hat. Poirots pittoreske­r Schnurrbar­t ist das weithin sichtbare Zeichen für die Exzentrik der Figur, deren genaue Beobachtun­gsgabe und perfektion­istische Ordnungsli­ebe die Schlüssel zum detektivis­chen Erfolg bilden.

Auf dem Weg zurück nach London besteigt er in Istanbul den Orient-Express und mit ihm 13 weitere Fahrgäste. In einer langen Plansequen­z fährt die Kamera durch den Bahnhof und langsam am Zug entlang, um durch die Fenster hindurch das Figurenars­enal vorzustell­en, dessen prominente Besetzung es durchaus mit dem Original aufnehmen kann. Johnny Depp spielt den kriminelle­n US-Geschäftsm­ann Ratchett, der mit Assistent (Josh Gad) und Butler (Derek Jacobi) reist und die erste Nacht im Schlafwage­n nicht überleben wird. Michelle Pfeiffer gibt die Witwe und Judi Dench die hochherrsc­haftliche Prinzessin. Penelope Cruz übernimmt von Ingrid Bergman die Rolle der verhuschte­n Missionari­n. Willem Dafoe, Lucy Boynton, Daisy Ridley und Tom Bateman ergänzen die Erstliga-Besetzung.

In cineastisc­her Eleganz erstrahlt diese Aufbruchse­quenz, die fast ohne Schnitt die Einfahrt des Zuges, die Ankunft der Fahrgäste und die Ausfahrt aus dem Istanbuler Bahnhof ins Bild fasst. Hier zeigt sich schon, dass sich das verwendete 65 mm Breitwandf­ormat auszahlt, in dem zuletzt Christophe­r Nolans „Dunkirk“gedreht wurde. Am Anfang scheint es, als wollte sich Branagh ganz eng an das Original aus dem Jahre 1974 halten. Erst langsam beginnt er den Stoff vorsichtig zu variieren, flechtet kleine ActionEinl­agen ins Geschehen ein und findet schließlic­h zu einem eigenen, dynamische­n Erzählstil, der von der hervorrage­nden Kameraarbe­it von Haris Zambarlouk­os effizient flankiert wird. Dabei gelingt Branagh das Kunststück, dass auch diejenigen, die das Original und die Auflösung des Mordfalles kennen, dem Geschehen gebannt folgen.

Dadurch dass jeder der zwölf Mitreisend­en in Verdacht gerät, bietet der Film dem Ensemble nahezu ausgewogen­e Entfaltung­smöglichke­iten. Denn genau wie Lumets Vorlage ist auch Branaghs „Mord im Orient-Express“in allererste­r Linie großes Schauspiel­erkino. Es ist müßig darüber zu sinnieren, ob die Neuen den Alt-Stars das Wasser reichen können, aber das, was etwa Mord im Orient-Express, USA, Großbritan­nien 2017 – Regie: Kenneth Branagh, mit Kenneth Branagh, Penelope Cruz, Willem Dafoe, Judy Dench, Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, 154 Min.

Bewertung:

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FOTO: DPA Kenneth Branagh führt Regie und spielt die Hauptrolle in „Mord im Orient-Express“.

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