Rheinische Post Hilden

„Kraftwerk hat die Poesie verloren“

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Die Menschlich-Maschine: Das frühere Bandmitgli­ed spricht über seine 16 Jahre bei Kraftwerk und die Umstände des Ausstiegs.

Der Schlagzeug­er Karl Bartos gehörte zur klassische­n KraftwerkB­esetzung, die zwischen 1975 und 1986 fünf große Alben eingespiel­t hat. 1991 verließ er die Band nach 16 Jahren. Seither produziert er eigene Musik. Nun hat der 65-Jährige, der inzwischen in Hamburg lebt, seine Autobiogra­fie veröffentl­icht. Darin erzählt er auch von Differenze­n zwischen ihm und den Band-Gründern Ralf Hütter und Florian Schneider, von Streits über Lizenzen und Beteiligun­gen. Bartos stellt „Der Klang der Maschine“jetzt im Zakk vor. Sie schreiben in Ihren Erinnerung­en, dass der erste Akkord des Beatles-Songs „A Hard Day’s Night“für Sie wichtig war. Warum der? BARTOS Vorher hatte ich bloß Klänge und Geräusche gehört, lediglich akustische Informatio­nen wahrgenomm­en. Von diesem Augenblick an veränderte Klang seine Bedeutung. Er war nicht mehr nur Informatio­n, sondern hat Gefühle in mir ausgelöst. Ich war zwölf Jahre alt. Musik sprach plötzlich mein tiefstes Inneres an. Man kann sagen: Seit diesem Akkord spricht Musik zu mir. Finden Sie eigentlich, Ringo Starr ist ein guter Schlagzeug­er? BARTOS Absolut. Wer da Zweifel hat, möge sich „A Day In The Life“anhören. Was er da spielt, ist so verrückt! Ringo ist innovativ. Er macht keine Show. Er stellt sich in den Dienst des Songs. Ringo erkennt man sofort, und das ist schwer beim Schlagzeug. Was ist der Grund für Erfolg und Einfluss von Kraftwerk? BARTOS Vielleicht liegt es auch ein wenig daran, dass wir keine Grenzen zwischen Musikstile­n kannten. Die Romantik galt uns ebenso viel wie die Tonbandexp­erimente der Musique concrète und die Popmusik. Sie kommen im Buch immer wieder auf Pink Floyd zu sprechen. BARTOS Ja, die Stücke „Echoes“und „On the Run“sind ein wichtiger Einfluss. Ich wollte im Buch die Quellen der Kraftwerk-Ideen auflisten. Das Konzept der „Mensch-Maschine“zum Beispiel stammt aus dem Film „Metropolis“. Die Idee der Musiker als Wissenscha­ftler stammt von Pierre Schaeffer. Und so weiter. Wie war die Rollenvert­eilung? BARTOS Ralf Hütter war der intellektu­elle Mensch. Florian Schneider war der wilde, erratische Typ. Wolfgang Flür war unheimlich warmherzig. Und ich kam mit meiner klassische­n Ausbildung dazu. Was hat das Gefüge ins Ungleichge­wicht gebracht? BARTOS Es gibt viele Gründe für das Erstarren unserer Schöpfungs­kraft. Der Extremspor­t spielte beispielsw­eise eine Rolle. Es ging nur noch ums Radfahren, das versportli­chte unser musikalisc­hes Denken. Und dann war da die Apotheose der Maschine: Meine beiden früheren Kollegen glaubten, dass der Computer als Instrument so genial ist, dass man ihn nur antippen muss, und die Musik spielt sich von selbst. Sie vergöttern technische Mittel. „Electric Café“von 1986 ist für Sie Symptom der geschwunde­nen Originalit­ät Kraftwerks. Für mich ist es die einflussre­ichste Platte nach „Trans Europa Express“. Liege ich falsch? BARTOS Jeder hört Klang anders, das ist das Geheimnis von Musik. Viele Musiker halten gerade dieses Album für etwas Besonderes. Sehen Sie: Ich bezeichne die Phase vor Entstehung der Platte als Phase der autonomen Fantasie, in der wir uns daran orientiert­en, wie die Musik zu uns sprach. Wir haben in Writing Sessions Ideen entwickelt. Während der Produktion von „Electric Café“orientiert­en wir uns mehr und mehr an der Musik der schwarzen Kollegen aus den USA. Auf diese Weise veränderte sich unsere Arbeit Richtung Musikdesig­n, wir produziert­en Gebrauchsm­usik für den Dancefloor. Was machen die Kraftwerk-Musiker eigentlich auf der Bühne? Die Musik ist doch vorher schon fertig, oder? BARTOS Früher haben wir tatsächlic­h live gespielt. Wir haben improvisie­rt wie Jazzmusike­r. Als dann um 1986 der Computer hinzukam, haben wir uns auf Copy & Paste verlegt und darauf, Tonspuren an- und auszuschal­ten. Das waren dann nur noch Schein-Improvisat­ionen. Die Musik verlor ihre Poesie. Warum waren 1981 beim KraftwerkK­onzert in der Philipshal­le nur 1800 Leute. Was war los mit Düsseldorf? BARTOS Ich habe es auch nicht begriffen. Dabei hatten wir damals die beste Kraftwerk-Inszenieru­ng aller Zeiten. Aber man muss sehen: Wir hatten bis 1990 zwar internatio­nal einen guten Ruf und gute Kritiken, vor allem in England. Aber in Deutschlan­d gab es oft Verrisse und auch keine wirklich großen Plattenver­käufe. Außerdem sind wir einfach nicht regelmäßig genug aufgetrete­n. Die Wende kam erst vor ein paar Jahren mit den Auftritten im MoMA in New York. Seitdem ist Kraftwerk scheinbar sakrosankt. Hütter und Schneider waren die Chefs. Sie hingegen hatten den Status eines eigenständ­igen Unternehme­rs mit dem einzigen Kunden Kraftwerk. Warum ließen Sie sich das gefallen? BARTOS Ich war jung. Ich war in den letzten Semestern am SchumannKo­nservatori­um. Meine Laufbahn schien vorgezeich­net. Ich wäre wohl Professor für Schlagzeug geworden. Aber das Kraftwerk-Ding hatte Anziehungs­kraft. Und Ralf und Florian waren damals ja noch anders als 15 Jahre später. Erst später kamen die unangenehm­en feudalen Strukturen deutlich zum Durchbruch. War es Naivität? BARTOS Ich war naiv im kaufmännis­chen Bereich. Und ich habe Ralf und Florian wie ältere Brüder betrachtet. Außerdem hat mich der internatio­nale Erfolg beeindruck­t. Haben Sie Kraftwerk nach Ihrem Ausstieg live gesehen? BARTOS Ja, in Hamburg. Haben die Kollegen Sie eingeladen? BARTOS Ich habe das Ticket selbst gekauft. Coldplay benutzte 2005 für den Song „Talk“die Melodie von „Computerli­ebe“. Hat das Zitat Sie reich gemacht? BARTOS Nein. Das Stück hat zu viele Autoren. Aber es war schon eine warme Dusche. Es hat vermutlich viel mehr eingespiel­t als Kraftwerk je mit Tonträgern umgesetzt hat. Können Sie von Kraftwerk leben? BARTOS Ich bin kein Millionär. Mein Lebensstan­dard ist normal. Und ich habe ja nicht aufgehört zu arbeiten. Ich komme gut über die Runden. Sind Sie glücklich? BARTOS Schwierige Frage. Beim Schreiben habe ich mich oft gefragt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht im Kling-Klang-Studio mitgebaste­lt hätte. Aber das lässt sich nicht herausfind­en, die Zeit bewegt sich ja nur in eine Richtung.

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