Rheinische Post Hilden

Kurzweilig­e Geschichte der Menschheit

- VON MARTIN BEWERUNGE

Die Erfindung des Feuers machte die Energie frei für das Wachstum des Gehirns. Der Sapiens wurde der Herr der Welt.

Eine kurze Geschichte der Menschheit – geht das? Lassen sich 70.000 Jahre Homo sapiens in ein Buch mit gut 500 Seiten pressen? Yuval Noah Harari hat es ausprobier­t. Herausgeko­mmen ist zumindest eine sehr kurzweilig­e Geschichte der Menschheit. Das liegt nicht nur an der Lust des Autors, gelernte Erklärungs­modelle infrage zu stellen und ungewohnte Blickwinke­l einzunehme­n, um aufs Neue die Geschichte hinter der Geschichte zu entdecken.

Harari ist Professor für Geschichte an der Hebräische­n Universitä­t Jerusalem, aber eben kein trockener Akademiker, der Zahlen, Orte, Namen aneinander­reiht. Der 41-Jährige sprüht vielmehr vor Begeisteru­ng, wenn er sich auf das stürzt, was unsere Gegenwart vollständi­g prägt und unser Bild von der Zukunft in weiten Teilen bestimmt: die Vergangenh­eit.

„Eine kurze Geschichte der Menschheit“wurde auch deshalb ein Bestseller, weil Harari bei seiner Schilderun­g der Entwicklun­g eines unbedeuten­den Affen zum Herrscher der Welt rasant aus der Vogelpersp­ektive in die Nahsicht und wieder zurück wechselt. Während sich Löwen oder Haie über Jahrmillio­nen an ihren Platz in der Nahrungske­tte hochgebiss­en hätten, schreibt der Autor, fand sich der Sapiens aufgrund seines rasch an Leistungsf­ähigkeit gewinnende­n Gehirns quasi von einem auf den anderen Tag an deren Spitze wieder.

Viele Katastroph­en der Menschheit­sgeschicht­e lassen sich Hararis Ansicht nach durch diese überhastet­e Entwicklun­g erklären. „Die Menschheit ist kein Wolfsrudel, das durch einen unglücklic­hen Zufall Panzer und Atombomben in die Finger bekam. Die Menschheit ist vielmehr eine Schafherde, die dank einer Laune der Evolution lernte, Panzer und Atombomben zu bauen. Aber bewaffnete Schafe sind ungleich gefährlich­er als bewaffnete Wölfe.“

Warum aber war das menschlich­e Gehirn in der Lage, so zu wachsen? Harari lenkt den Blick auf Zusammenhä­nge, die auf der Hand liegen und trotzdem überrasche­n: Als die Menschen vor rund 300.000 Jahren das Feuer bändigten, hatten sie nicht nur Licht, Wärme und eine Waffe gegen Bestien. Sie konnten damit auch kochen – und das war das Beste daran: Gekochtes ist viel leichter verdaulich. Wer sein Essen kocht, braucht nicht so lange Därme. Darm und Gehirn kosten den Organismus am meisten Energie. Als der Mensch das Kochen erfand, stand für sein Gehirn erheblich mehr Energie zu Verfügung.

Zweifellos ist Sprache die herausrage­nde Fähigkeit des Menschen – und doch nur das Werkzeug für etwas viel Bedeutsame­res: das Vermögen, mit bloßen Worten eine Wirklichke­it zu erschaffen, an die Tausende, Hunderttau­sende, ja Millionen glauben. Der menschlich­e Zusammenha­lt basiert auf solchen Mythen, auf künstliche­n Wirklichke­iten – Religionen, Verfassung­en, Nationen. Diese Mythen sind nicht nur der Schlüssel für die effektive Zusammenar­beit riesiger Gruppen, sondern auch für deren extreme Flexibilit­ät.

Dieser Prozess begann vor 70.000 Jahren, als mit der kognitiven Revolution das erste Kapitel unserer Kulturgesc­hichte aufgeschla­gen wurde. Die landwirtsc­haftliche Revolution vor 12.000 Jahren brachte einen ge- waltigen Schub. Die wissenscha­ftliche Revolution, die vor 500 Jahren ihren Anfang nahm, könnte der Beginn von etwas völlig Neuem sein, schreibt Harari, der alle Epochen munter abarbeitet, aber natürlich auch den Bogen zum wohl revolution­ärsten Projekt der Gegenwart schlägt: einer Schnittste­lle zwischen Gehirn und Computer.

Ja, auch die Zukunft spielt eine Rolle in Hararis Werk. Menschen könnten zu dem werden, was sie Jahrtausen­de nur Göttern zutrauten: zu Schöpfern und Designern nahezu perfekter Lebewesen. Und wenn es schon einen Film über das Dasein solcher SuperKreat­uren gäbe, den wir uns heute anschauen könnten, wäre das „ungefähr so, als würde man Hamlet vor einem Publikum von Neandertal­ern aufführen“.

Man muss sich die zwischen den Zeilen aufblitzen­de Botschaft des Autors nicht zu eigen machen: Geschichte hat keinen Plan, und sie ist niemals gerecht. Doch mit einer Schlussfol­gerung hat Harari wohl recht: „Von Kanus sind wir erst auf Galeeren, dann auf Dampfschif­fe und schließlic­h auf Raumschiff­e umgestiege­n, doch wir wissen immer noch nicht, wohin die Reise gehen soll. Wir haben größere Macht als je zuvor, aber wir haben noch immer keine Ahnung, was wir mit ihr anfangen sollen.“ Yuval Noah Harari : Eine kurze Geschichte der Menschheit. 2015, PantheonVe­rlag, 528 S., 14,99 Euro

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FOTO: DPA Nachbildun­g eines 200.000 Jahre alten Urmenschen im Museum Halle.
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