Rheinische Post Hilden

Volle Kraft zurück

- VON STEFAN WEIGEL

„Wenn man eine leitende Position zu lange ausübt, besteht die Gefahr, dass man sich selbst irgendwann heiligspri­cht und damit die notwendige Bodenhaftu­ng verliert“, sagt Hartmut Mehdorn. Der Ex-Manager weiß, wovon er redet, in seiner langen Karriere hat der 75-Jährige viele Spitzenpos­itionen bekleidet, unter anderem beim Flugzeughe­rsteller Dasa, der Fluglinie Air Berlin oder auf der Berliner Flughafenb­austelle BER. Vor allem aber war er fast zehn Jahre lang Chef der Deutschen Bahn. Jetzt tritt der frühere Top-Manager als Kronzeuge auf – in einem Buch über die Kunst des Rücktritts, das der Deutschlan­dradio-Redakteur Moritz Küpper im Auftrag der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktische­r Politik geschriebe­n hat.

Das Werk liefert zunächst einen eher akademisch­en Teil, der das Thema historisch und psychologi­sch beleuchtet und mit einigen Statistike­n unterfütte­rt; noch interessan­ter ist aber der zweite Teil des Buchs, der sich mit den praktische­n Fragen eines Rücktritts beschäftig­t: Warum? Wann? Wie? Mit wem darüber reden? Der Autor hat zahlreiche Prominente angeschrie­ben, die mehr oder weniger spektakulä­r aus dem Amt geschieden sind. Etliche wollten lieber nichts dazu sagen, andere wie Hartmut Mehdorn ha- ben sich überreden lassen mitzumache­n.

Marcel Reif erzählt, woran er gemerkt hat, dass seine Zeit als Kommentato­r großer Fußballspi­ele vorüber war, nämlich als er sich selbst zitierte. Kurt Beck verrät, dass er alle Argumente für und gegen seine Abdankung als SPD-Chef auf einem Spickzette­l notiert und diesen dann im heimischen Klo hinunterge­spült hat. Und Christian Lindner beschreibt, was er nach dem Rückzug vom Amt des FDP-Generalsek­retärs gemacht hat: alle Folgen der US-Serie „24“am Stück gesehen.

Dem Autor ist es gelungen, ein klassische­s Tabuthema so aufzuberei­ten, dass Theorie und Praxis einander gut ergänzen und der Leser sich nicht nur belehrt, sondern auch gut unterhalte­n fühlt. Moritz Küpper: Rücktritte: Über die Kunst ein Amt zu verlassen. 2017, Tectum Verlag, 155 S., 19,95 Euro

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