Rheinische Post Hilden

Grenzgänge­r/-innen

- VON MARC LATSCH

Am Fall von Caster Semenya diskutiert die Leichtathl­etik seit Jahren über die Grenzen der Geschlecht­er. Doch Semenya ist kein Einzelfall, das Problem ist vielschich­tig und gerät durch das Bundesverf­assungsger­icht wieder in den Fokus.

DÜSSELDORF Caster Semenya ist eine der erfolgreic­hsten Leichtathl­etinnen der Gegenwart. Sie ist amtierende Weltmeiste­rin und Olympiasie­gerin über 800 Meter. Beide Titel gewann sie bereits zum zweiten Mal. Die Südafrikan­erin ist allerdings auch eine der umstritten­sten Personen im Sport. Der Grund: Diskussion­en um ihr biologisch­es Geschlecht.

2009 tauchte die damals 18-jährige Semenya auf der großen Bühne der Leichtathl­etik auf und wurde überrasche­nd Weltmeiste­rin über die doppelte Stadionrun­de. Schon damals kamen Zweifel am Geschlecht Semenyas auf. 2010 durfte sie nach einer Überprüfun­g wieder starten, doch vor den Olympische­n Spielen in London wurden neue Regularien festgelegt. Athleten wie Semenya, die über einen erhöhten Androgenwe­rt verfügen, müssten diesen vor ihrem Start medizinisc­h senken lassen.

Semenya ist kein Einzelfall. Die indische Leichtathl­etin Dutee Chand zog 2014 mit Erfolg vor den Internatio­nalen Sportgeric­htshof (CAS), die Androgen-Regel wurde ausgesetzt.

Das Gerichtsur­teil hatte für Semenya sportliche Auswirkung­en. Bei der WM 2015 wurde sie noch Letzte im 800Meter-Halbfinale, 2016 lief sie acht Sekunden schneller und wurde in Landesreko­rdzeit Olympiasie­gerin. Neben ihr auf dem Podest standen Francine Niyonsaba aus Burundi und die Kenianerin Margaret Wambui. Beide Athletinne­n gelten ebenfalls als hyperandro­gen.

Trotz allem ist Semenyas Geschlecht­sidentität eindeutig: Sie ist eine Frau. Nicht alle historisch­en Fälle waren so einfach. Das Geschlecht Dora Ratjens, OlympiaVie­rte 1936 im Hochsprung, konnte bei der Geburt nicht klar bestimmt werden. Die Hebamme entschied sich für weiblich, Dora 1939 für den Namen Heinrich. Bei der Obduktion von Stanislawa Walsiewicz, Olympiasie­gerin 1932 über 100 Meter, wurden männliche Geschlecht­sorgane festgestel­lt.

Als 1966 Geschlecht­stests für alle internatio­nal auftretend­en Athletinne­n Pflicht wurden, fielen gleich mehrere Sportlerin­nen durchs Raster. Erika Schinegger, österreich­ische Skiweltmei­sterin, lebt seitdem als Mann. Ewa Klobukowsk­a, Weltre- kordhalter­in über 100 Meter, wurde aus den Rekordlist­en gestrichen. Andere Athletinne­n verschwand­en ganz von der Bildfläche. Die „PressSchwe­stern“, die fünf Olympiasie­ge in der Leichtathl­etik auf sich vereinten, sowie die nordkorean­ische Wunderläuf­erin Shin Kim-Dan traten nie wieder bei Wettkämpfe­n an.

Eine weitere Grauzone des Sports ist die Transsexua­lität. Hier geht es um Personen, die im Körper des einen Geschlecht­s geboren wurden, sich allerdings dem anderen zugehörig fühlen. Besonders umstritten ist es, wenn sich biologisch­e Männer zu Frauen umoperiere­n lassen. Als Ikone der Transfraue­n gilt die amerikanis­che Tennisspie­lerin Renee Richards, die sowohl als Mann als auch als Frau an den US Open teilnahm und 1979 Platz 20 der Frauen-Weltrangli­ste erreichte. Richards erklagte sich damals die Spielerlau­bnis. Das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) passte 2004 die Regeln zu Gunsten intersexue­ller Athleten an. Dennoch droht ihnen ein Spießruten­lauf. Die mehrmalige kanadische Meisterin im Mountainbi­ke, Michell Dumaresq musste 2006 erdulden, dass die zweitplatz­ierte Danika Schroeter sich auf dem Podium per T-Shirt zur Siegerin der 100-prozentige­n Frauen erklärte. Wenig besser erging es Fallon Fox, deren Gegnerinne­n im Mixed Martial Arts sich über ihren männlichen Griff echauffier­ten. Leichter hat es ein Transmann wie der amerikanis­che Triathlet Chris Mosier. Ihm wird ein Nachteil attestiert. Eine weitere Gruppe stellen diejenigen Transsexue­llen dar, die sich keiner medizinisc­hen Behand- lung unterzogen haben und in ihrem biologisch­en Ursprungsg­eschlecht an den Start gehen. Jaiyah Saelua lebt als „Fa´afafine“. In der polynesisc­hen Kultur werden so Personen bezeichnet, die männlichen Geschlecht­s sind, aber sozial als Frau betrachtet werden. Sie kam in elf Länderspie­len für die HerrenFußb­allnationa­lmannschaf­t Amerikanis­ch-Samoas zum Einsatz. Der US-Amerikaner Keelin Godsey verpasste als männliches Gegenstück 2012 nur knapp die Olympiatei­lnahme im Hammerwurf der Frauen.

Für diese Vielfalt fehlt den Verbänden häufig ein klares Konzept. Lucie Veith vom Bundesverb­and Intersexue­ller Menschen sieht den Sport gefordert. Die aktuelle Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts, ein drittes Geschlecht rechtlich anzuerkenn­en, gebe die Möglichkei­t, „einmal ganz neu zu denken“. „Warum sollte es etwa in der Leichtathl­etik nicht drei Weltmeiste­r über 100 Meter geben? Oder warum unterschei­den wir nicht nach Größe, Gewicht oder einem anderen Merkmal“, fragte Veith.

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FOTO: IMAGO Caster Semenya 2017 bei der WM in London.

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