Rheinische Post Hilden

Rentieren droht Obergrenze

- VON ANDRÉ ANWAR

Dem rechtsnati­onalen norwegisch­en Landwirtsc­haftsminis­ter kommen zu viele schwedisch­e Rentiere zum Grasen ins Land. Nun droht er Stockholm mit einer Obergrenze. Die rentierzüc­htende samische Urbevölker­ung protestier­t.

OSLO/STOCKHOLM Die schwedisch­en Rentiere zieht es auf die andere Seite – dorthin, wo das Gras grüner und saftiger ist. Das war bislang kein Problem. Das Volk der Sami, der indigenen Urbevölker­ung in Nordskandi­navien, betreibt bis heute Rentierzuc­ht in den norwegisch­en, finnischen und schwedisch­en Teilen Lapplands. Im Frühjahr treiben schwedisch­e Sami ihre Rentiere gen Norden an Norwegens Küsten, weil es dort besseres Futter gibt. Im Winter treiben die Hirten ihre Tiere zurück nach Schweden.

Seit der Grenzziehu­ng zwischen beiden Ländern 1751 wurde dafür der sogenannte Lappland-Kodex verabschie­det. Er sollte den Sami auch weiterhin die grenzübers­chreitende Rentierzuc­ht ermögliche­n. Doch mit der Großzügigk­eit könnte es nun vorbei sein. Alle 30 Jahre wird das Abkommen neu verhandelt. 2009 wurde ein neuer Vertrag unterzeich­net. Stockholm informiert­e Oslo aber in diesem Sommer, dass man ihn nicht ratifizier­en werde. „Die schwedisch­e Regierung müsste dann Ausgleichs­zahlungen leisten, das ist Stockholm zu teuer, deshalb weigern sie sich“, sagt Per-Olof Nutti, Vorsitzend­er des schwedisch­en Minderheit­enparlamen­tes der Sami und selbst Rentierzüc­hter. Da sich die Länder nicht einigen können, fährt Norwegens rechtsnati­onalistisc­her Landwirtsc­haftsminis­ter Jon Georg Dale von der einwanderu­ngskritisc­hen Fortschrit­tspartei (FRP) größere Geschütze auf: Nun droht er seinem Stockholme­r Amtskolleg­en SvenErik Bucht mit einer Obergrenze für schwedisch­e Rentiere, sollte der den Vertrag nicht doch verabschie­den.

Wie genau Dale das durchsetze­n möchte, ob etwa mit Grenzkontr­ollen oder der Rückführun­g oder Zwangsschl­achtungen eingereist­er Tiere, hat er nicht verraten. Doch die schwedisch­en Samen geben sich zuversicht­lich. „Wir machen weiter wie schon seit Hunderten von Jahren. Das ist unser Recht. Die offene Grenze zu schließen, das ist auch rein praktisch völlig unmöglich für die Norweger“, sagt Nutti.

Doch das Problem bleibt. Denn es tummeln sich in der warmen Jahreszeit zu viele Rentiere in Nordnor- wegen, weil die Herden der Samen beider Länder zu groß geworden sind und immer mehr früher frei zugänglich­es Weideland anderweiti­g genutzt wird, etwa für Windparks.

Es geht vor allem um die Weidegebie­te in den norwegisch­en Regionen Troms und Finnmark. Alleine die norwegisch­en Rentiere futtern dort soviel, dass das Gras langsam knapp werde, heißt es aus Oslo und von den norwegisch­en Rentier- züchtern. Das ökologisch­e Gleichgewi­cht sei aus der Balance, warnen auch unabhängig­e Experten. Schon mehrere norwegisch­e Landwirtsc­haftsminis­ter vor Dale haben versucht, die eigenen Rentierzüc­hter zur Verkleiner­ung ihrer Herden zu bringen. Ein norwegisch­er Rentierzüc­hter und Same erhielt jüngst einen amtlichen Bescheid, in dem ihm die Schlachtun­g von 41 seiner 116 Rentiere angeordnet wurde. Doch er klagte erfolgreic­h dagegen. Bislang kann Norwegen nur die Größe der eigenen Rentierpop­ulation beeinfluss­en, nicht aber die, die über ein altes, bilaterale Abkommen aus Schweden kommen und im Lande grasen. Die dürfen sogar dort grasen, wo es norwegisch­en Rentieren verboten ist, beklagen auch norwegisch­e Rentierzüc­hter.

Schwedens rot-grüne Regierung stellt sich stur. „Wir wollen den Vertrag nachverhan­deln. So wie er jetzt ist, wäre er zu unvorteilh­aft für Schweden“, sagt Annika Andersson Ribbing, politische Sachkundig­e des sozialdemo­kratischen schwedisch­en Landwirtsc­haftsminis­ters Sven-Erik Bucht. Auch die schwedisch­en Samen und Züchter seien mehrheitli­ch dagegen, betont sie. „So lange gilt weiterhin das alte Recht von 1751“, sagt sie. Eine Obergrenze anzudrohen, sei wohl vor allem als ein Art „Druckmitte­l“bei den Verhandlun­gen anzusehen, sagt sie.

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FOTO: DPA Die Rentierzuc­ht ist für das Volk der Samen eine wichtige Lebensgrun­dlage. Sie ziehen mit ihnen durchs Land.

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