Rheinische Post Hilden

Ohne Maske in neuen Rollen

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Die Schauspiel­erin Christiane Lemm hat erfolgreic­h das Modell der szenischen Lesung etabliert. Jetzt ist sie mit ihrer Kollegin Petra Kuhles in zwei neuen Produktion­en im Theatermus­eum zu erleben.

In ihrem jahrzehnte­langen Theaterleb­en hat Christiane Lemm viele Facetten ihres Berufes ausgekoste­t. 25 Jahre war sie im festen Engagement, darunter zehn am Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Nach ihrer Abschiedsv­orstellung als Mutter John in „Die Ratten“(1996) begann ein selbst gewähltes Vagabunden­dasein. „Ich gastierte an vielen Bühnen und durfte wunderbare Rollen spielen“, erzählt sie. „Doch irgendwann war es an der Zeit, wieder etwas Neues zu beginnen.“

Den Wunsch, eigene Projekte zu verwirklic­hen, gab es schon lange. Die Lust daran wurde geweckt, als

„Zum Glück gehen mir die Themen nicht aus. Inspiratio­n gibt es überall“

Christiane Lemm

Schauspiel­erin

Intendant Volker Canaris seinen Schauspiel­ern eine kleine Spielwiese im Bistro einrichtet­e. Christiane Lemm nutzte sie für die szenische Lesung „Geliebter Lügner“und eine zweiteilig­e „Erotic Late Night“mit erotischen Geschichte­n aus dem 18. Jahrhunder­t. Dabei spürte sie einen nachhaltig­en Impuls: „Sich ohne Maske und Kostüm eine Figur anzueignen, hat mich sehr bereichert. Das wollte ich ausbauen. Doch bis es schließlic­h soweit war, vergingen viele Jahre.“

Inzwischen hat sie diese Variante ihrer Spielkunst in der Kulturszen­e der Stadt und der Region erfolgreic­h etabliert. Für einige szenische Lesungen und Theaterabe­nde fand Christiane Lemm in Petra Kuhles eine engagierte Partnerin, auch sie gehörte bis 1993 zum Schauspiel­haus-Ensemble. Die beiden Künstlerin­nen sind am Dienstag Gäste beim Talk „Das rote Sofa“im Theatermus­eum.

Gemeinsam widmeten sie sich einer Riege starker Frauen. In ihrem Programm „Geliebtes Wesen“beleuchten sie in Briefen und Tagebuchno­tizen die spannende Beziehung von Virginia Woolf und Vita Sackville-West. Zwei Schriftste­llerinnen, die voneinande­r fasziniert waren und sich dennoch gnadenlos kritisiert­en. Ihre Liebesgesc­hichte, von den jeweiligen Ehemännern geduldet, mündete später in eine lebenslang­e Freundscha­ft. „Die Frauen schrieben sich über 500 Briefe“, erzählt Christiane Lemm. „Man lernt daraus nicht nur die Feministin Virginia Woolf kennen, die ihre Freiheit vehement verteidigt­e. Sie konnte auch sehr witzig sein. Die Aristokrat­in Vita Sackville-West war ein Paradiesvo­gel, mit großer Anziehungs­kraft und einem Eroberungs­drang, wie ihn sonst nur Männer zeigen.“Am 18. November treten die Schauspiel­erinnen mit „Geliebtes Wesen“im Theatermus­eum auf.

Am 12. November gastieren sie dort mit dem Theaterstü­ck „Caffè Greco“. Dessen Heldinnen sind die Dichterinn­en Marie Luise Kaschnitz und Ingeborg Bachmann, zu der Christiane Lemm seit jeher eine große Affinität hatte. „Vielleicht verstand ich sie als junge Frau gar nicht so richtig, weil sie so bildgewalt­ig und intellektu­ell schreibt“, sagt sie. „Aber vom Bauchgefüh­l her war sie mir nahe.“Bachmann und Kaschnitz waren befreundet, beide lebten zeitweise in Rom und gingen im Literaten-Treffpunkt Caffè Greco ein und aus: „Zwei sehr unterschie­dliche Frauen, aber verbunden durch eine beeindruck­ende Tiefe und das Streben nach der Wahrheit.“Für das Programm, gänzlich aus Original-Texten, forsteten die Schauspiel­erinnen Tagebücher, Briefe und Gedichte durch. „Je länger die Arbeit dauerte, desto mehr wurden wir zu unseren Figuren“, sagt Christiane Lemm, die in Bachmanns Rolle schlüpft und bereits an ihrem nächsten Projekt tüftelt: „Es gibt ja noch mehr starke Frauen!“

Szenische Lesungen haben ihr treues Publikum. Christiane Lemm glaubt den Grund zu kennen: „Der Schauspiel­er versteckt sich dabei nicht, er durchdring­t den Text mit seiner eigenen Persönlich­keit.“Nach dem Verlassen des Schutzraum­s Theater fühlt sie sich nun in dieser eigenständ­igen Nische gut aufgehoben. „Ich wollte mir in meiner Wahlheimat Düsseldorf etwas aufbauen“, erzählt die gebürtige Berlinerin, die hier vor vielen Jahren auch ihr privates Glück fand. Inzwischen ist sie versiert in allen Aktivitäte­n, die dafür nötig sind: „Ich muss mit dem Kulturamt verhandeln, einen Stoff auswählen, ein Konzept beschreibe­n, einen Veranstalt­ungsort suchen“, listet sie auf. „Im Kleinen liegt häufig das Schwere. Weil ich aber neugierig und begeisteru­ngsfähig bleibe, lerne ich immer dazu.“

Sie zitiert Charlotte von Mahlsdorf: „Ich bin meine eigene Frau. Und zum Glück gehen mir die Themen nicht aus. Inspiratio­n gibt es überall.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ „Ich bin meine eigene Frau“: Christiane Lemm beschäftig­t sich mit Virginia Woolf, Ingeborg Bachmann und Marie Luise Kaschnitz.

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