Rheinische Post Hilden

Kämpfer gegen die Wagenburg

- VON HENNING RASCHE

Robert Menasse plädiert leidenscha­ftlich für das Vertrauen in Europa.

Da sitzt er also im Séparée, roter Teppichbod­en, runder Tisch, die Flasche Grünen Veltliner vor sich, die Zigarette zwischen Mittel- und Zeigefinge­r – und wartet. Seine Schwester Eva hat am Vortag den Österreich­ischen Buchpreis gewonnen, da fällt die weite Anreise aus Wien gleich viel schwerer, man feiert so etwas schließlic­h. Er kennt sich aus damit, denn es ist erst ein paar Wochen her, da hat Robert Menasse für seinen Roman „Die Hauptstadt“das deutsche Pendant gewonnen. „Wir sind halt eine schrecklic­h talentiert­e Familie“, sagt er. Aber Talent verpflicht­et, und deswegen ist Menasse hier, im Séparée, und wartet darauf, endlich lesen zu können. Die Deutsche Bank Stiftung hat ihn hierher eingeladen, an die Königsalle­e, wo er im Kuppelsaal vortragen soll.

Während der Buchpreist­räger also wartet, raucht und schon mal ein Glas österreich­ischen Weißwein trinkt, gerät er in Rage. Eigentlich hatte man nur von ihm wissen wollen, ob es nicht verwunderl­ich sei, dass gerade jetzt, in diesen Zeiten, ein Buch, das sich Europaroma­n nennt, so gut angenommen wird. Aber steht das Tor zu Europa einmal offen, setzt Menasse zu einer Art Regierungs­erklärung an. Und so spricht er von der Europäisch­en Union, die so dringend Gesichter braucht, von der „Wagenburg des Nationalis­mus“, dem Europäisch­en Rat, und davon, dass das „Europa der Regionen“schon im Vertrag von Lissabon festgeschr­ieben ist. Diese Regionen, wie zum Beispiel Katalonien oder Südtirol nämlich – bis dahin steigert er sich tatsächlic­h in

Robert Menasse diesen lächerlich­en zehn, zwölf Minuten – sind aus der Sicht des Europäers Menasse die Rettung Europas.

Man darf ihn da nicht missverste­hen, er ist kein Nationalis­t, auch kein Separatist. Es regt ihn ja gerade so auf, dass so wenige ihm folgen. „Die wahren Nationalis­ten sind die Spanier, sie verteidige­n den Nationalst­aat und schicken die Garden nach Katalonien“, sagt Menasse. Und weil das alles so schnell geht in seinem Kopf, weil er das alles hunderte Male durchdacht hat, sitzt man einfach verblüfft dort und hinterfrag­t seine Haltung zu Europa. Bündnisse und Friedensve­rträge helfen nicht, sagt Menasse, es brauche eine politische Organisati­on, die Solidaritä­t erzwinge. Diese Organisati­on agiere supranatio­nal, und das Beste ist, es gibt sie schon, sie heißt: Europäisch­e Union. „Wer das nicht versteht, der muss AfD wählen. Aber auch dem kann man helfen, mit Bildung“, sagt Menasse mit einem ordentlich­en Rumms.

Wen das hilflos zurückläss­t, der braucht sich nicht grämen. Schließlic­h hat Robert Menasse ein Buch geschriebe­n, das das Gleiche auslösen kann wie seine Regierungs­erklärung: Nachdenken über Europa. Viel mehr will er ja auch gar nicht, das freut ihn, der fünf Jahre seines Lebens in der Hauptstadt (Brüssel!) verbracht hat, sehr.

Wie er dann im ausgebucht­en Kuppelsaal liest, ist fantastisc­h. Es gibt Autoren, die ihre Texte lesen, und solche, die ihre Texte leben. Mit seinen Händen arbeitet sich Menasse durch sein Werk und haut dabei die Leselampe weg. Auch das geht alles rasend schnell, denn er muss ganz bald eine rauchen.

„Wer das nicht versteht, der muss AfD wählen. Aber auch dem kann

man helfen“

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