Rheinische Post Hilden

Jugendlich­e geben Opfern ein Gesicht

- VON ALEXANDER RIEDEL

Ein Sternmarsc­h zum Gedenkstei­n im Stadtpark erinnerte gestern an die Reichspogr­omnacht vom 9. November 1938.

HILDEN Eigentlich verfügte Josef Schmitz über eine deutsche Vorzeige-Biographie: Für seinen Einsatz als Frontkämpf­er im Ersten Weltkrieg war er ausgezeich­net worden. Und mit dem eigenen Warenhaus an der Hildener Mittelstra­ße hatte er sich eine bürgerlich­e Existenz aufgebaut. Doch auch diese Lebensleis­tung konnte ihn und seine Ehefrau Helene nicht vor dem Rassenwahn der Nationalso­zialisten bewahren: 1942 deportiert, wurde das jüdische Ehepaar vermutlich in Minsk ermordet.

Es ist eines von vielen Schicksale­n, an das Schüler gestern Nachmittag erinnerten: Zum Jahrestag der Reichspogr­omnacht vom 9. November 1938 zogen knapp 100 Jugendlich­e und erwachsene Begleiter in einem Sternmarsc­h in den Stadtpark. Halt machten die insgesamt sieben Gruppen dabei an den Stolperste­inen, die an die Opfer des Dritten Reiches erinnern. Denen widmeten die jungen Menschen – darunter Schüler von HelmholtzG­ymnasium und Theresiens­chule sowie Mitglieder des Jugendparl­aments – kurze Texte oder Gedichte, legten Rosen nieder und zündeten Kerzen an.

„Es berührt einen, zu wissen, was mit diesen Menschen passiert ist, nur weil sie eine andere Religion hatten“, sagte die 15-jährige Tatjana. Sie gehört seit einem Jahr dem Jugendparl­ament an. Ihr Weg begann gestern an der Kirchhofst­raße – am Gedenkstei­n vor dem ehemaligen Wohnhaus von Paul Levin, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Wenig später erinnerte Mitstreite­r Leon (16), bereits seit drei Jahren „Abgeordnet­er“in der Hildener Jugendvert­retung, an das Schicksal von Betty Schweriner, die einst an der Mittelstra­ße gelebt hatte. Für ihren Stolperste­in hat das Jugendparl­ament eine Patenschaf­t übernommen. „Wir finden es wichtig, uns der Bedeutung dieses Tages bewusst zu sein, auch wenn der Kreis noch so klein sein mag“, erklärte der Schüler. Initiiert von der katholisch­en und der evangelisc­hen Kirchenge- meinde, dem Arbeitskre­is Stolperste­ine, der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft, und der Stadt trafen sich die Teilnehmer des Sternmarsc­hes schließlic­h am Gedenkstei­n im Stadtpark, an dem Bürgermeis­terin Birgit Alkenings gemeinsam mit ihrem Stellvertr­eter Norbert Schreier einen Kranz niederlegt­e. Bei der Pogromnach­t 1938 wurden damals im gesamten Deutschen Reich tausende Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen zerstört und geschätzt rund 1400 Menschen ermordet. Sie markierte den Übergang von der Diskrimini­erung zur systematis­chen Vernichtun­g ganzer Bevölkerun­gsgruppen durch das NS-Regime. In Hilden mit seinen damals 22 000 Einwohnern seien die Folgen der Pogrome schlimmer als in anderen Städten gewesen, betonte die Bürgermeis­terin: Vier Bürger wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ermordet, einer erlag später seinen Verletzung­en und zwei Opfer der organisier­ten Menschenja­gd begingen Selbstmord. „Wir wollen gedenken, weil wir für Werte stehen, die unsere Gesellscha­ft zusammenha­lten“, bekräftigt­e Alkenings.

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RP-FOTO: STEFAN KÖHLEN Die Jugendparl­amentarier Tatjana (15) und Leon (16) halten am Stolperste­in für den von den Nationalso­zialisten ermordeten Hildener Paul Levin inne.

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