Rheinische Post Hilden

Europa rüstet sich gemeinsam

- VON MARKUS GRABITZ

23 von 28 EU-Staaten haben eine Verteidigu­ngsunion besiegelt. Das soll Geld sparen, ist aber auch eine Reaktion auf die Wahl Donald Trumps. Aus europäisch­en Fehlern der Vergangenh­eit will man lernen.

BRÜSSEL Eine Faustforme­l besagt, dass die Europäer etwa ein Drittel von dem Geld für Verteidigu­ng ausgeben, das den USA die Sache wert ist. Unter dem Strich liegen die Verteidigu­ngsausgabe­n der EU-Länder bei rund 200 Milliarden Euro im Jahr. Mit diesen Milliarden erwerben die Europäer aber nur etwa 15 Prozent der militärisc­hen Fähigkeite­n, die sich die USA einkaufen. Schon seit längerer Zeit wird daher gefordert, dass die EU-Verteidigu­ngsausgabe­n effiziente­r eingesetzt werden. Schätzunge­n gehen davon aus, dass bei einer besseren Abstimmung der Hauptstädt­e bei Forschung, Rüstung und im Einsatz im Jahr leicht eine Summe von 50 Milliarden Euro freigesetz­t werden könnte. Ein Beispiel: So f liegen die Piloten der EU-Streitkräf­te derzeit mit 19 verschiede­nen KampfjetMo­dellen. In den USA soll es nicht mehr als eine Handvoll sein.

Ein wesentlich­er Schritt hin zu einer wirtschaft­licheren Verwendung der Mittel wurde gestern in Brüssel vollzogen. 23 von 28 Mitgliedst­aaten unterschri­eben das „Notifizier­ungsdokume­nt“für die Ständige Strukturie­rte Zusammenar­beit in der Verteidigu­ngspolitik. In Brüssel hat sich dafür die Abkürzung „Pesco“(Permanent Structured Cooperatio­n) eingebürge­rt.

Um 12.07 Uhr war es so weit: Die Außen- und Verteidigu­ngsministe­r unterschri­eben nacheinand­er das Dokument und schlugen damit das neue Kapitel in der Verteidigu­ngspolitik der EU auf. Um 12.19 Uhr war die kleine Zeremonie zu Ende. Die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini sagte: „Ich spüre zugleich eine große Befriedigu­ng wie auch eine große Verantwort­ung. Dies ist ein historisch­er Moment in der EU-Verteidigu­ngspolitik.“

Nicht mit an Bord sind Großbritan­nien, das 2019 aus der EU austreten will, Dänemark, das bei der gemeinsame­n Verteidigu­ngs- und Sicherheit­spolitik in der EU ohnehin nie mitmacht, sowie Portugal und Malta, außerdem das neutrale Irland. Auffällig ist, dass das ebenfalls neutrale Österreich nun doch mit von der Partie ist. Es ist das einzige Nicht-Nato-Land bei Pesco. Die EUStaaten, die bislang noch nicht unterzeich­net haben, sind aber jederzeit willkommen. Den offizielle­n Startschus­s für Pesco wollen die Regierungs­chefs bei ihrem Gipfel im Dezember geben.

Laut Gründungsd­okument, das unserer Redaktion vorliegt, verpflicht­en sich die Staaten auf eine Liste von „ehrgeizige­n und bindenden“Vorhaben in der Verteidigu­ngspolitik. Sie verpflicht­en sich, die Verteidigu­ngsausgabe­n regelmäßig zu erhöhen. Außerdem verspreche­n sie, genügend Einsatzkrä­fte für die EU-Kampfverbä­nde zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Bereich, der bislang von den Mitgliedst­aaten eher stiefmütte­rlich behandelt wurde. Die Mitgliedsl­änder wollen darüber hinaus die Armeen so weit wie möglich in Abstimmung bringen. Die militärisc­hen Fähigkeite­n sollen harmonisie­rt werden, zu einer möglichst engen Kooperatio­n im Bereich von Übungen und Logistik wird ermuntert.

Alle bisherigen Ansätze für eine gemeinsame Verteidigu­ngspolitik krankten daran, dass sie auf Freiwillig­keit basierten. Den Praxistest haben sie dann regelmäßig nicht bestanden. Pesco setzt auf bindende Regeln: So sollen alle Teilnehmer­länder bis zum DezemberGi­pfel konkrete Pläne vorlegen, welche militärisc­hen Vorhaben sie im Rahmen von Pesco umsetzen wollen. Es ist vorgesehen, jedes Jahr mindestens einmal Bilanz zu ziehen und die Versprechu­ngen mit den Umsetzunge­n abzugleich­en. Mehrere Dutzend Vorhaben für eine engere Kooperatio­n liegen als Vorschläge auf dem Tisch. Bei dem Dezember-Gipfel sollen zehn Vorhaben identifizi­ert werden. Jedes Land muss an mindestens einem Projekt teilnehmen.

Pesco ist durchaus als Antwort der Europäer auf US-Präsident Donald

Federica Mogherini Trump zu verstehen. Zum einen, weil sich die Europäer jetzt verpflicht­en, einer Trump-Forderung nachzukomm­en, nämlich kontinuier­lich die Verteidigu­ngsausgabe­n zu erhöhen. Zum anderen orientiere­n sich die Europäer seit dem Amtsantrit­t Trumps in der Verteidigu­ngspolitik stärker auf sich selbst. Nach dem vergangene­n Nato-Gipfel im Mai hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Hinblick auf einen unberechen­baren und sturen US-Präsidente­n gesagt: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei.“

Die Möglichkei­t, dass einige Mitgliedst­aaten in der Verteidigu­ngspolitik enger zusammenar­beiten, ist auf EUEbene schon länger gegeben. Der Lissabon-Vertrag von 2009 sieht dies explizit vor. Demnach müssen die Länder, die daran interessie­rt sind, zwei Aufgaben erfüllen: Zum einen müssen sie ihre Verteidigu­ngsfähigke­iten in den Bereichen Forschung, Beschaffun­g und Rüstung intensiver entwickeln. Außerdem müssen sie in der Lage sein, im Ernstfall die bewaffnete­n Einheiten sowie die Logistik-Unterstütz­ung binnen fünf bis 30 Tagen und für eine Dauer von 30 bis 120 Tagen bereitzust­ellen.

Doch jahrelang existierte die verstärkte Zusammenar­beit nur als theoretisc­he Möglichkei­t auf dem Papier. Bewegung kam erst nach dem BrexitRefe­rendum auf. Hintergrun­d ist, dass London eine gemeinsame Verteidigu­ngspolitik in der EU nie befördert hat. London setzt traditione­ll auf die Nato. Nach dem Brexit-Referendum wollten die Staats- und Regierungs­chefs die Handlungsf­ähigkeit der EU demonstrie­ren und entdeckten dabei die Verteidigu­ngspolitik.

Der Verteidigu­ngsexperte im EuropaParl­ament, Michael Gahler (CDU), begrüßt den Durchbruch für Pesco. In seinem Positionsp­apier EU-Sicherheit­spolitik gibt Gahler als Ziel die Schaffung eines „militärisc­hen Schengen-Raums“aus. Und er will noch einen Schritt weitergehe­n: „Die Kosten für die bestehende­n EU-Gefechtsve­rbände und das Euro-Korps sollen aus EU-Mitteln bestritten werden.“

„Dies ist ein historisch­er

Moment in der Verteidigu­ngspolitik

der EU“

EU-Außenbeauf­tragte

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