Rheinische Post Hilden

Das Prestige der Kunst

- VON BERTRAM MÜLLER

Der Rekordprei­s von 450 Millionen Dollar für Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“beziffert nicht den künstleris­chen Wert dieses Gemäldes. Wer sich so etwas leistet, ist entweder geltungssü­chtig oder pessimisti­sch.

NEWYORK Jetzt reden wieder alle vom „teuersten Gemälde der Welt“. Doch Leonardo da Vincis mehr als 500 Jahre altes Bild „Salvator Mundi“, das Christus als „Heiland der Welt“mit zum Segen erhobener Rechten und einer Kristallku­gel in der linken Hand zeigt, ist lediglich dasjenige Gemälde, das bei einer Versteiger­ung den bislang höchsten Preis erzielt hat. Das teuerste Bild der Welt müsste man in den bedeutends­ten Museen des Globus suchen. Es wäre unverkäufl­ich, dem Markt auf Dauer entzogen und kaum zu taxieren.

Die Altmeister-Expertin des Auktionsha­uses Christie’s, in dessen New Yorker Niederlass­ung der „Salvator Mundi“jetzt einen neuen Besitzer fand, hat vor drei Jahren in einem Vortrag dennoch einmal den fiktiven Marktwert des ihrer Meinung nach kostbarste­n Gemäldes der Welt ermittelt: Leonardos „Mona Lisa“im Pariser Louvre. Ihr Ergebnis: Das Bild sei „bis zu einer Milliarde Euro“wert.

Diese Beurteilun­g und der jüngste Auktionsre­kord deuten darauf hin, dass Händler und betuchte Käufer mit einer hohen Summe nicht den künstleris­chen Wert eines Bildes honorieren, sondern dass andere Faktoren den Ausschlag geben. Denn weder ist „Mona Lisa“um so viel besser als weniger bekannte bedeutende Porträts der Renaissanc­e, noch ließe sich „Salvator Mundi“als das geborene Rekordgemä­lde bezeichnen. Beiden wohnen Werte jenseits des Künstleris­chen inne. Bei „Mona Lisa“ist es zunächst das Geheimnis, das dieses Werk umgibt: Wer war die Dargestell­te? Handelt es sich womöglich um das Gesicht eines jungen Mannes, an dem der mutmaßlich homosexuel­le da Vinci Gefallen fand?

An zweiter Stelle zählt die Geschichte des Bildes. Zeitweise hing es in der Sammlung Ludwigs XIV. in Versailles, nach der Revolution fand es eine neue Heimat im Louvre, dann hängte es Napoleon in sein Schlafzimm­er, schließ- lich kehrte es zurück in den Louvre – aus dem es 1911 gestohlen wurde. Die Anzahl der weltweit verbreitet­en Reprodukti­onen beläuft sich auf Millionen, eher noch Milliarden.

Bei „Salvator Mundi“spielen die außerkünst­lerischen Werte eine noch größere Rolle als bei der „Mona Lisa“. Denn in seinem heutigen Zustand weist das Bild erhebliche Mängel auf. Nicht nur, dass manche Experten nach wie vor Zweifel an seiner Echtheit hegen und es eher da Vincis Werkstatt oder einem Nachfolger als ihm selbst zuordnen – „Salvator Mundi“ist auch stark restaurier­t worden. Gesicht und Haare Christi, so heißt es, seien von Unbekannte­n mit solcher Aggressivi­tät gereinigt worden, dass viel davon abgerieben wurde. Und besonders charismati­sch wirkt Jesus in diesem Bildnis wirklich nicht.

Der hohe Marktwert, wie er sich jetzt bei der Auktion erwiesen hat, gründet sich wohl vor allem darauf, dass „Salvator Mundi“das einzige Bild da Vincis ist, das sich noch in Privatbesi­tz befand und deshalb dem Markt zur Verfügung stand. Kunsthändl­er wissen zu berichten, dass religiöse Kunst normalerwe­ise zu den Ladenhüter­n zählt. Nicht Privatleut­e, nur Museen erwerben so etwas. Dass es im Fall des „Salvator“anders war, deutet darauf, dass auch hier nicht die Kunst, sondern die Marke da Vinci den Ausschlag gab. Weniger als 20 Bilder lassen sich weltweit mit einiger Sicherheit als Werke da Vinci bestimmen, jedes ein Unikat. Wo gibt es in unserer Massengese­llschaft sonst noch Einzigarti­ges, das noch dazu fünf Jahrhunder­te alt ist? Je seltener, desto teurer – das gilt auch für den Kunstmarkt.

Allerdings mag man sich fragen, ob solch ein Unikat gleich 450 Millionen Dollar (umgerechne­t rund 380 Millionen Euro) kosten muss. Die Käufer solcher Schätze bleiben meistens wie im jüngsten Fall anonym. Doch man kann Schlüsse ziehen aus den Fällen, in denen der Name des Erwerbers bekannt wurde. 1987 ersteigert­e Yasuo Goto, Chef der japanische­n Versicheru­ngsgesells­chaft Yasuda, bei Christie’s in London eines der späteren Bilder aus Vincent van Goghs Sonnenblum­enserie. Der damalige Rekordprei­s betrug 27,58 Millionen Euro. Drei Jahre später zahlte der japanische Unternehme­r Saito Ryoei rund 70 Millionen Euro für die erste Version von van Goghs „Porträt des Dr. Gachet“, seines Arztes. In beiden Fällen zeigten japanische Wirtschaft­sbosse, dass nun auch Japaner in der Lage waren, sich die teuersten Gegenständ­e der Welt zuzulegen. Der 1996 gestorbene Saito soll gesagt haben: „Legt das Bild in meinen Sarg, wenn ich sterbe.“Zustand und Ort des Gemäldes sind zurzeit unbekannt.

Auch an diesem Beispiel erkennt man: Wer solch ein Bild erwirbt, möchte sich mit dessen Mythos verbandeln. Es geht um Prestige, weniger um Geldanlage und noch weniger um Wertsteige­rung. Denn wer bei einer Auktion das letzte Wort hatte, hat meist zu viel gezahlt. Auch auf dem Kunstmarkt wachsen die Preise nicht in den Himmel.

Eine finanziell­e Überlegung spielt dennoch meist eine Rolle: Sollte es nach der Lehman-Pleite erneut zu einem Einbruch der Weltwirtsc­haft kommen und sollten die Aktienkurs­e wieder jäh sinken, würde zwar auch der Kunstmarkt einbrechen, doch erfahrungs­gemäß nicht so stark wie Anlagen am Kapitalmar­kt. Zudem werden wirkliche Spitzenwer­ke unter Umständen nur wenig an Wert verlieren, weil der Markt immer kleiner wird. Die meisten kostbaren Kunstwerke weltweit befinden sich nun einmal in überwiegen­d staatliche­n Museen und sind dadurch dem Markt entzogen.

Ob man geltungssü­chtigen vermögende­n Privatleut­en raten sollte, in Spitzenkun­st zu investiere­n? Das jüngste Ereignis legt nahe, davon abzuraten: Der ursprüngli­ch auf einen hohen zweistelli­gen Millionenb­etrag geschätzte Malewitsch, den die Dr.-Harald-HackStiftu­ng der Düsseldorf­er Kunstsamml­ung NRW schenkte, hat sich letzten Endes als Fälschung erwiesen. Doch mancher Sammler braucht wohl den Nervenkitz­el.

Die meisten kostbaren Kunstwerke weltweit

befinden sich in staatliche­n Museen

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