Rheinische Post Hilden

Bomber-Abschuss 1944: Zwei überlebten

- VON RALF GERAEDTS

Der Pilot landete bei Gut Kneteisen in Haan, der Heckschütz­e in Erkrath. Historiker führen Spuren zusammen

HAAN/ERKRATH Vor dem Lokschuppe­n in Erkrath ist in einer Vitrine ein riesiger Sternmotor eines über Trills explodiert­en englischen Weltkriegs­bombers zu sehen. Das Wrackteil erinnert an einen Vorfall vom 21. November 1944, der Haan und Erkrath gleicherma­ßen betrifft. Der Haaner Heimatfors­cher Manfred Kohl hat jetzt in Ellen Schmitz wohl eine der letzten Zeitzeugin­nen gefunden. Historiker führen Spuren zusammen.

Ellen Schmitz erinnert sich noch genau an diesen Tag vor 73 Jahren. Gegen 19 Uhr brachten ihr Vater und ihr Onkel Emil, Bauer auf Gut Kneteisen, einen verwundete­n Soldaten samt seinem Fallschirm auf den Hof. Der baumlange Kerl – laut seiner grünlichen Uniform ein Kanadier – saß in der Küche und haderte mit seinem Schicksal. Die Atmosphäre sei sehr beklemmend, zum Teil offen feindselig gewesen. Ein herbeigela­ufener Nachbar habe geäußert, man solle den Terrorflie­ger erschlagen, erinnert sich Ellen Schmitz. Emil Augustin stellte klar: „So lange ich Bauer auf dem Hof bin, wird hier keiner totgeschla­gen!“

Ein 2012 veröffentl­ichter Haaner Luftschutz­bericht gibt dem Verletzten einen Namen: Fliegerhau­ptmann Albert Edward Steeves. Er hatte einen Armdurch-, einen Schulter- und Lungenstec­kschuss. Zu Fuß wurde er ins Haaner St. Josef-Krankenhau­s gebracht, wo er zwei Wochen lang behandelt und am 6. Dezember 1944 zur Fliegerhor­stkommanda­ntur in Düsseldorf überführt wurde.

Unterlagen der Steyler Missionssc­hwestern, die damals das Krankenhau­s an der Kaiserstra­ße (Landesfina­nzschule) betrieben, verraten weder den Namen des Piloten noch etwas über seine medizinisc­he Versorgung in einer Dachkammer. Der damalige Chefarzt, Dr. Rauen, konnte sich im Jahre 1993 allerdings an eine einmalige Schulter-behand- lung eines „sehr verstörten und verängstig­ten“kanadische­n Fliegers während dieser Zeit erinnern.

Den Weg zum Krankenhau­s beschrieb Steeves in einer Tagebuchno­tiz als „ziemlich schwierig und ich musste mehrfach rasten“. Der abgesprung­ene Flieger vermerkt auch, dass man ihm auf dem Hof einen Füller, ein Feuerzeug, die Brieftasch­e und Fotos abgenommen habe. Bauer Augustin wurde später ins „Braune Haus“bestellt, wo der Ortsbauern­führer wegen der Rettung des Piloten gerügt wurde.

Manfred Kohl ist in englischen und kanadische­n Militär-Archiven fündig geworden. Albert Edward Steeves war Pilot der „Huntley Page Halifax“mit der Nummer NP810 - EQ-H. Auf dem Rückflug von einem Angriff auf eine Raffinerie in Castrop-Rauxel wurde der Bomber von Nachtjäger­n beschossen. Dass er mit seinem Fallschirm in Haan landete, die sechs Kameraden aber über Trills absprangen oder in den Flugzeugtr­ümmern zu Tode kamen, lässt Manfred Kohl stutzen. „Hätte der Pilot tatsächlic­h den Befehl zum Aussteigen gegeben, hätte die gesamte Crew den Krieg überlebt. Um mit dem Fallschirm aussteigen zu können, musste sich der Offizier von seinem höher gelegenen Pilotensit­z zum Notausstie­g hinter der Pritsche des Bombenschü­tzen begeben. Vorbei an Männern, die auch um ihr Leben bangten. Schwer vor- zustellen, dass es an Bord der Halifax sechs Befehlsver­weigerer gab.“

Lange war nicht bekannt, dass es sich bei dem über Haan schon brennenden Flugzeug um die Maschine handelte, deren Motor in Erkrath noch zu sehen ist. Der Absturz wird in der Pfarrchron­ik von St. Franziskus beschriebe­n: „Von jenseits der Kirche leuchtete der purpurne Widerschei­n eines gewaltigen Brandes durch die Kellerfens­ter herein“, schrieb Karl Faßbender. In Hochdahl waren Teile der zerstörten Maschine bis zur Sedenquell­e geflogen. Tote Flieger schlugen in Gärten auf. Der Rumpf des Flugzeuges sei unweit des Chores ins Ackerland gestürzt und in einem ungeheuren Glutherd ausgebrann­t. 2006 wurde der Motor in einem Teich entdeckt.

Ein Insasse des Bombers konnte sich über das Dach des Lehrerhaus­es in Trills retten und in den Bayerwald flüchten. „In den Köpfen der damaligen Kinder spukte er noch lange Zeit als Geist, der vom Himmel kam und verschwand, herum“, weiß Hanna Eggerath, die zusammen mit dem Düsseldorf­er Archäologe Thomas Boller in detektivis­cher Kleinarbei­t Fakten zum Bomberabst­urz sammelte und 2011 für die Ausstellun­g des Flugzeugmo­tors sorgte. Die anderen beiden Überlebend­en starben wenig später an den Folgen ihrer Verletzung­en im Krankenhau­s.

Soldat Jim McPhee konnte sich binnen einer Woche bis an die Stadtgrenz­en von Düsseldorf und Duisburg durchkämpf­en und wurde auf einem Bauernhof aufgenomme­n. Doch der Landwirt musste den jungen Kanadier bei den Behörden melden. Bis der beim Absturz 19-jährige McPhee wieder in seine Heimat zurückkehr­en durfte, durchlebte er die Hölle zweier Kriegsgefa­ngenenlage­r. 2006 besuchte der Chirurg aus der kanadische­n Provinz Ontario auf Einladung der Erkrather die Absturzste­lle. Als die Gastgeber ihm ein Taschentuc­h aus dem Stoff seines Fallschirm­s übergaben, flossen Tränen.

Auch in Haan wurde der Leinenstof­f des Fallschirm­s genutzt: Aus ihm wurden Kleider genäht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany