Rheinische Post Hilden

Afrikas ewiges Trauma

- VON KRISTINA DUNZ

Berichte über den Verkauf junger Männer in Libyen entsetzen die EU von Merkel bis Macron. Für Menschenre­chtsorgani­sationen ist das Heuchelei. Aber die Kanzlerin hat ein Druckmitte­l beim EU-Afrika-Gipfel.

ABIDJAN Es erinnert an dunkelste Zeiten. Afrikaner werden als Sklaven verkauft, starke Männer als Arbeitskrä­fte für 400 US-Dollar (340 Euro), auf Hinterhöfe­n im nordafrika­nischen Libyen. Ein instabiles Land, in dem viele Menschen aus den verschiede­nsten Ländern Afrikas auf der Flucht vor politische­r Verfolgung, wirtschaft­licher Not oder den Folgen des Klimawande­ls stranden. Und auf dessen Hilfe in Form einer umstritten­en Küstenwach­e die Europäisch­e Union setzt, damit Flüchtling­e gar nicht erst über das Meer nach Italien kommen.

Ein Drama, das nur unter größten gemeinsame­n Anstrengun­gen beendet werden kann, vor allem aber mit der Einsicht und dem Geld Europas, wie es sich beim EU-Afrika-Gipfel in Abidjan, dem Regierungs­sitz der Elfenbeink­üste, zeigt.

Angela Merkel will etwas tun gegen diese schrecklic­hen Zustände in Libyen, das seit dem Sturz des Machthaber­s Muammar al Gaddafi 2011 weitgehend von Milizen kontrollie­rt wird. Nur, einen verlässlic­hen Ansprechpa­rtner hat die Europäisch­e Union dort nicht. Die Bundeskanz­lerin äußert sich gestern in Abidjan aber noch vor Gipfelbegi­nn empört über jüngste Berichte etwa von CNN über den Sklavenhan­del. Sie spricht von einer „hohen emotionale­n Bedeutung“und einer „flächendec­kenden Rolle der illegalen Migration“für den afrikanisc­hen Kontinent. Auch bei den Vereinten Nationen ist man entsetzt, für Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron ist es ein Verbrechen gegen die Menschlich­keit.

Alles Heuchelei, finden Menschenre­chtsorgani­sationen. Denn die dramatisch­en Missstände, der Menschenha­ndel, die Vergewalti­gungen, Schläge und Todesangst, seien schon seit langer Zeit bekannt. Und nichts sei geschehen. Vor wenigen Tagen erzählten am Flughafen von Abidjan aus Libyen zurückkehr­en- de Frauen wieder von libyschen Peinigern, Vergewalti­gungen, Schlägen, Hunger. Amnesty Internatio­nal bestätigt solche Berichte.

Sklavenhan­del aber trifft genau ins Herz der Afrikaner. Uralte Traumata leben wieder auf, heißt es auch auf den Fluren des Gipfels. Und reiche europäisch­e Staaten, die armen Ländern auf dem afrikanisc­hen Kontinent auch noch mit subvention­ierten Agrarprodu­kten Konkurrenz machen, können sich einer Mitverantw­ortung nicht länger entziehen. Merkel sagt bei dem noch bis heute andauernde­n Gipfel der Spitzen aus 80 Staaten, es gebe ein gemeinsame­s Interesse, Schleppern das Handwerk zu legen.

Die Vorsitzend­e der Christdemo­kraten hat sich die neuen Horrornach­richten aus Libyen nicht gewünscht. Aber auf makabre Weise könnten diese Bemühungen um die Bekämpfung von Fluchtursa­chen, mehr Investitio­nen und Rücknahmea­bkommen befördern. Am Tagungsort, dem SofitelHot­el mit dem Blick auf die Lagune von Abidjan, ist den Europäern sonnenklar, was von ihnen erwartet wird: dass sie Geld auf den Tisch legen.

In kleinem Kreis spricht Merkel mit den Präsidente­n der Elfenbeink­üste, von Guinea, Ghana, Nigeria, Tunesien und dem Senegal. Wohl kaum einer von ihnen denkt dabei darüber nach, dass die Kanzlerin derzeit nur geschäftsf­ührend im Amt und ihre politische Zukunft gar nicht absehbar ist. Es geht dann auch immer nur um das eine Thema: Mit staatlich abgesicher­ten privaten Investitio­nen soll die heimische Wirtschaft angekurbel­t, mit besseren Bildungsch­ancen die Jugend gefördert und Arbeitsplä­tze der Zukunft geschaffen werden. Derzeit leben in Afrika rund 1,3 Milliarden Menschen. Nach Schätzunge­n der Vereinten Nationen könnten es 2050 schon 2,5 Milliarden sein. Europa muss mehr Hilfe vor Ort leisten, wenn es Fluchtbewe­gungen abwenden will. Es braucht noch mehr

Günter Nooke Entwicklun­gshilfe. Seit Jahren bleibt auch Deutschlan­d hinter seinen selbstgest­eckten Zielen zurück.

Der DDR-Bürgerrech­tler und AfrikaBeau­ftragte der Kanzlerin, Günter Nooke, ist auch im heißen Abidjan. Er kritisiert die Ideologie der Welthandel­sorganisat­ion WTO scharf, nach der Europa für seine Öffnung der Märkte für Afrika umgekehrt freien Marktzugan­g zu dem Nachbarkon­tinent bekommen hat. Gestützt durch hohe Agrarsubve­ntionen wirft Europa dann etwa Milchpulve­r und Hähnchensc­henkel auf den afrikanisc­hen Markt und verhindert so, dass sich die ohnehin schwache Wirtschaft in armen Ländern überhaupt erst einmal entwickeln kann.

„Afrika braucht einen geschützte­n Raum“, fordert Nooke. Einen Freihandel, eine Integratio­n in den Welthandel, aber eben noch nicht mit der brutalen marktwirts­chaftliche­n Konkurrenz der stabilen und reichen Staaten. Aber Afrika trage auch selbst Verantwort­ung. Viele Staaten haben dort durchaus die Freiheit, Produkte für ihren Markt zu sperren. „Sie dürfen einfach keine Hähnchensc­henkel mehr liefern lassen“, sagt Nooke. Und in Europa müssten endlich die Agrarsubve­ntionen abgebaut werden.

Merkel hat mit ihrer Willkommen­skultur in der Flüchtling­skrise 2015 Deutschlan­d polarisier­t, die Union verlor viele Stimmen bei der Bundestags­wahl. Ihr Auftritt 5500 Kilometer von zu Hause entfernt ist eine Doppelbots­chaft an die eigenen Bürger: Zum einen soll die Zuwanderun­g gesteuert und geordnet werden. Mit den Herkunftsl­ändern soll es Rückführun­gsabkommen geben, damit sie abgelehnte Asylbewerb­er wieder aufnehmen und nicht immer wieder verschwund­ene Papiere das verhindern. Manche Staaten können sich dafür die Einführung biometrisc­her Pässe vorstellen. Aber auch das kostet Geld. Zum anderen will Merkel die Menschen davon überzeugen, dass an Investitio­nen in die Bekämpfung von Fluchtursa­chen kein Weg vorbeigeht, wenn Afrika ein stabiler Kontinent werden und es nie wieder Sklaverei geben soll.

„Entscheide­nd ist, dass die Produktion in

Afrika stattfinde­t, selbst wenn sie nicht weltmarktf­ähig ist“

Afrika-Beauftragt­er der Bundeskanz­lerin

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