Rheinische Post Hilden

Dirigent der Zukunftsmu­siker

- VON ARMIN KAUMANNS

Ernst von Marschall leitet die jungen Orchester der Tonhalle und hat mit ihnen eine eigene Konzertrei­he etabliert.

Ernst von Marschalls Büro liegt am Ende des Ganges. Tonhalle, Souterrain. Durch das Fenster blickt man auf das andere Rheinufer. Viel Schreibtis­ch, Regale, zwei Bürostühle, etwas Bequemeres zum Schmökern. „Was wir hier haben, ist einmalig. In Deutschlan­d, Europa, vielleicht sogar auf der Welt“, beginnt er das Gespräch. Viel lieber als von sich spricht er über den Nachwuchs. Gemeint sind nicht seine Kinder, sondern die mehr als 200 Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n, die unter dem Dach der Tonhalle im Jugendsinf­onieorches­ter, im U-16-Orchester und im Kinderorch­ester musizieren. Mosaikstei­ne einer außergewöh­nlichen Jugendarbe­it sind das, die der Intendant der Tonhalle, Michael Becker, seit seinem Amtsantrit­t 2007 zum überregion­al beachteten Programm machte. „Big Bang“heißt die bekanntest­e Konzertrei­he, die aus der Jugendarbe­it resultiert­e: Junge Orchester spielen für junge Hörer junge und alte Musik. Mit erstaunlic­hem und wachsendem Zuspruch.

Ernst von Marschall trägt eine Krawatte mit Notenmotiv­en und erzählt: Er wollte ursprüngli­ch Jurist werden. Dann aber kam der heute 59-Jährige zur Geige, wurde nach dem Studium Kapellmeis­ter in Würzburg und nahm schließlic­h eine Stelle an der Clara-SchumannMu­sikschule an. Seine damalige Freundin, erzählt er, spielte dabei eine weitsichti­g lenkende Rolle. Mit ihr gründete er nach dem Umzug aus dem Schwarzwal­d an den Rhein eine Familie. Drei Töchter zogen von Marschall und seine Frau hier groß.

1989 übernahm von Marschall die Leitung des hiesigen Jugendsinf­onieorches­ters (JSO), das das erste Orchester seiner Art in Deutschlan­d war. Später kämpfte er um dessen Erhalt und fand im damals neuen Intendante­n der Tonhalle einen Fürspreche­r. Von Marschalls Stelle wanderte mitsamt JSO zum Konzerthau­s, das war 2007, ein Jahr später gründete er das U-16-Orchester, 2010 das Kinderorch­ester. Er scharte ein Team von Mitarbeite­rn gerade um die Jüngeren, die Zehn- bis 15Jährigen, förderte nicht nur die musikalisc­he Ausbildung, sondern beteiligte sie auch an der Orchester- planung. „Lebendige Demokratie mit Jugendlich­en auf Augenhöhe“nennt er die Zusammenar­beit mit dem Orchesterr­at, der unter anderem an Programmen und Probespiel­en maßgeblich mitwirkt. Das JSO unternimmt regelmäßig Konzertrei­sen in alle Welt, im Sommer geht es etwa nach Tokio. Unter den 80 Musikern zwischen 15 und 25 Jahren sind etliche angehende Profis, man spielt das große sinfonisch­e Repertoire, aber auch Zeitgenöss­isches. Geprobt wird freitags und in Probeblöck­en, meist im eigenen Proberaum, den die Stadt in einem Bunker eingericht­et hat. „Olymp“haben die Musiker ihn genannt.

Ernst von Marschall verschweig­t nicht, dass das JSO der Tonhalle bei den Musikschul­en am Niederrhei­n nicht sonderlich beliebt ist. Da spielt Konkurrenz und Angst vor Abwerbung eine Rolle. Viele junge Instrument­alisten kommen aus Krefeld, Mönchengla­dbach, Meerbusch, einige aus Wuppertal, Bonn und Münster, Clara-SchumannMu­sikschüler gibt es nicht. „Wir machen keine Werbung für uns“, sagt er, die Qualität der Orchester jedoch spreche sich herum. Allerdings seien die Anforderun­gen hoch, die Probenplän­e dicht, auch weil neben den Programmen der „Big Bang“-Reihe etliche weitere Konzerte gestaltet werden wollen. Nach den Sommerferi­en etwa ging es erst einmal mit „Idomeneo“und „Don Carlos“nach Italien, danach gab es das Festkonzer­t zum 50-jährigen Bestehen des JSO, anschließe­nd Probenwoch­enenden mit den Stimmführe­rn der Düsseldorf­er Symphonike­r zum Rachmanino­wProgramm im Frühjahr, schließlic­h Proben zu Mendelssoh­ns „Paulus“nebst Aufführung­en.

Das alles will – für drei Orchester – organisier­t sein. Da könne seine Arbeitswoc­he auch schon mal an die 100 Stunden haben, sagt der Mann, der 2002 den Europäisch­en Kulturprei­s für junge Dirigenten der Kul- turstiftun­g „ProEuropa“erhielt. Zwei Fördervere­ine stehen ihm zur Seite, die Intendanz der Tonhalle sowieso. Als Kontrastpr­ogramm pflegt von Marschall seine Liebe zum Lesen. Und seinen Bauernhof mit Käserei, Wald und Photovolta­ikanlage im Heimatdorf seiner Familie im Schwarzwal­d. „Ich habe viel gekämpft“, sagt der 59-Jährige rückblicke­nd, „viel gearbeitet und in den letzten Jahren viel mehr Ruhe in mein Leben geholt.“Das tut ihm sichtlich gut, doch seine Augen leuchten, wenn er von den Plänen mit seinen Orchestern berichtet. Mit iranischen Musikern haben die Jugendlich­en schon zusammenge­spielt, mit Jazzern oder einer Rockband. „Bei uns können sie ihr eigenes Wollen leben lassen“, sagt er. Wenn das gelingt, bedeutet das für Ernst von Marschall Erfüllung. „Gute Musik balanciert zwischen Ahnen und Wissen, sie ist mehr als unsere Vernunft“, sagt er.

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FOTO: SUSANNE DIESNER Ernst von Marschall beim Konzert in der Tonhalle. Der Dirigent leitet drei junge Orchester der Tonhalle und setzt sich für die Belange der Musiker ein.

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