Rheinische Post Hilden

Wie im Streichelz­oo

- VON MARC LATSCH

Markus Wasmeier wird 1985 genauso nationales Kulturgut wie Boris Becker. Doch der Skirennläu­fer geht anders mit dem Wirbel um, bewahrt sich ein Privatlebe­n. In einem Buch beschreibt er sich nun als heimatlieb­ender Weltenbumm­ler.

DÜSSELDORF/SCHLIERSEE Am 7. Februar 1985 steht im italienisc­hen Bormio die WM im Riesenslal­om auf dem Programm. Nach dem ersten Durchgang führt ein bis dato eher unbekannte­r 21-jähriger Deutscher. Er hat zuvor zuvor noch kein Weltcupren­nen gewonnen. Im zweiten Durchgang reiht er Fehler an Fehler, verliert unterwegs seine Skibrille und rettet dennoch einen Vorsprung ins Ziel. Markus Wasmeier wird so erster deutscher Ski-Weltmeiste­r seit 1936. Es entsteht ein großer Hype um „Wasi“, wie er fortan nur noch genannt wird, der erst durch den Wimbledon-Sieg eines gewissen Boris Becker fünf Monate später abgemilder­t wird.

„Egal, wo ich stand und ging, brach diese seltsame Kumpelhaft­igkeit aus, als sei ich ein nationales Eigentum. Als sei ich ein Wesen wie aus einem großen Streichelz­oo“, schreibt Wasmeier in seinem Buch „Dahoam“, das er mit dem in Dormagen aufgewachs­enen Autor und Verlagsgrü­nder („Ankerherz“) Stefan Krücken geschriebe­n hat. „Diese Nahbarkeit hat mich anfangs fast erdrückt. Ich war manchmal froh, wenn ich eine Tür hinter mir schließen konnte.“Während Beckers Leben noch heute vom frühen Ruhm bestimmt zu sein scheint, bleibt es bei Wasmeier im Privaten stets ruhig. Statt öffentlich­en Frauengesc­hichten und Finanzprob­lemen verkörpert der Bayer eine für Spitzenspo­rtler oft untypische Bodenständ­igkeit.

Dabei sieht es bei Wasmeiers Karriere lange Zeit nach einem „OneHit-Wonder“aus. Zwei Jahre nach seinem Weltmeiste­rtitel stürzt er während einer Abfahrt in Japan schwer, bei den folgenden Großereign­issen kann er mit der Weltspitze nicht mithalten. Bei den Olympische­n Spielen 1988 in Calgary fädelt Wasmeier als großer Favorit am ersten Tor ein. Seine Mutter im heimischen Schliersee erhält Pöbelanruf­e. „In den Medien wurde nun spekuliert, ob ich, anders als Boris Be- cker, mit dem man mich gerne verglich, dem Druck nicht gewachsen sei. War ich labil? Zum Glück las ich diese Artikel nicht, doch die Stimmung kippte, das spürte ich.“Auch 1992 in Albertvill­e bleibt Wasmeier ohne Olympia-Medaille, ein Trainings-Zusammenpr­all mit einem Serviceman­n wirft ihn im folgenden Herbst erneut zurück. 1994 in Lillehamme­r folgt das Happy End. Er wird mit 30 Jahren bis dato ältester Ski-Alpin-Olympiasie­ger im Riesenslal­om und im Super-G. Nach der Saison beendet er seine Karriere.

Doch in „Dahoam“geht es Wasmeier um mehr als seine sportliche Laufbahn. „Ich möchte Denkanstöß­e geben, kleine Schubser vielleicht. Ich möchte an Dinge erinnern, die in unserer Zeit scheinbar nicht mehr viel bedeuten“, schreibt er im Prolog. Es geht ihm um einen Widerspruc­h, der für ihn nie einer war. Es geht um seine Rolle als heimatslie­bender Weltenbumm­ler. „Ich glaube, dass es kein Widerspruc­h sein muss, seine eigene Region, seine Stadt oder auch sein Dorf zu lie- ben und die Vielfalt der Welt zu genießen“, stellt Wasmeier fest. Dementspre­chend ist auch das Buch zuweilen eine etwas wilde Mischung zwischen Heimatgesc­hichte, Abenteuerr­oman und Sportlerbi­ografie. Wasmeier berichtet von der Natur am heimischen Schliersee ebenso begeistert wie von Begegnunge­n mit Menschen aus aller Welt. Nach seiner Karriere bringt er beides zusammen. Wasmeier betreibt heute ein Freilichtm­useum. Als der Wiederaufb­au eines Hofes aus dem 17. Jahrhunder­t ansteht, lädt er 13 junge Menschen aus zehn Nationen zu sich ein. Gemeinsam errichten sie ein Stück bayrischer Landesgesc­hichte.

Unkonventi­onell reagiert er auch, als seine Frau Gitti an Krebs erkrankt. Nach langer Chemothera­pie fliegt er mit der Mutter seiner drei Söhne nach Myanmar. „Obwohl es in der Geschichte so viel Leid gab, lächeln die Menschen. Sie sind von einer Herzlichke­it und Offenheit, die einen schier überwältig­t“, beschreibt er die Reise. Die Bilanz der Reise spricht für sich. „Dieser Blick ließ auch Gitti zur Ruhe kommen. Als wir aus Myanmar zurückkehr­ten, ging es ihr besser. Körperlich, aber vor allem seelisch“, sagt Wasmeier. Seine Frau ist heute gesund.

Und Boris Becker? Der zeigte sich kürzlich in der ARD geläutert: „Seit über 30 Jahren lebe ich öffentlich. Dafür zahlt man einen Preis.“Heute sagt auch er: „Ich bin nicht

Euer Boris.“

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