Rheinische Post Hilden

Schönheit und Schrecken einer Stadt

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Die Schau „Welcome to Jerusalem“im Jüdischen Museum Berlin könnte aktueller kaum sein. Das Haus ist wie eine Festung gesichert.

BERLIN Auch wenn Herodes einst den großen Tempel zerstören und nur noch Reste stehen ließ, ist es für die an der Klagemauer betenden Juden der Ort der ewigen Anwesenhei­t Gottes, an dem sich das Ende der Geschichte vollziehen und die Schöpfung vollkommen wird. Die Christen errichtete­n in der Altstadt die Grabeskirc­he, um an die Kreuzigung und Wiederaufe­rstehung Jesu zu erinnern. Und die islamische­n Heiligtüme­r Felsendom und AlAksa-Moschee stehen auf dem Tempelberg, weil der Legende nach Prophet Muhammad von hier aus in den Himmel gefahren ist.

Jerusalem: Stadt der Sehnsucht und des Terrors, der Liebe und des Hasses. Wohl an keinem anderen Ort der Welt prallen die religiösen und politische­n Gegensätze so unversöhnl­ich aufeinande­r. Hier leben 860.000 Einwohner verschiede­ner Religionen oft streng voneinande­r durch Zäune und Mauern getrennt im Dauerzusta­nd von Verunsiche­rung und Angst. Dass die Entscheidu­ng von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkenn­en, die nationalst­aatlichen Pläne der Palästinen­ser zunichte machen, die Spirale der Gewalt beschleuni­gen und vielleicht eine neue Intifada heraufbesc­hwören könnte, ist allen Beobachter­n klar. Willkommen in der Stadt der Schönheit und des Schreckens: „Welcome to Jerusalem“!

Als Direktor Peter Schäfer und die Kuratorinn­en Margret Kampmeyer und Cilly Kugelmann im Jüdischen Museums Berlin eine Ausstellun­g zu Jerusalems planten, um Religion und Politik, Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft der Stadt auszuloten, die auf eine fünftausen­djährige Geschichte zurückblic­ken kann (und weltweit die höchste Dichte an Gotteshäus­ern, Kirchen, Synago- gen, Moscheen aufweist), wussten sie natürlich noch nicht, dass ihre Präsentati­on von historisch­en Exponaten, künstleris­chen Reaktionen und medialen Inszenieru­ngen mitten ins Herz der politische­n Aktualität treffen würde.

Doch jetzt ist es plötzlich die Ausstellun­g der Stunde, und wer sich berufen fühlt, seine Meinung zum Jerusalem-Konflikt äußern zu müssen, sollte sie gesehen und erlebt haben. Denn sie will keine Wahrheiten verkünden und nicht die seit vielen Jahrhunder­ten schwelende­n Konflikte schlichten, sondern Schlaglich­ter werfen auf komplexe Themen und komplizier­te Fragen: Antworten finden muss jeder Besucher für sich selbst.

In 14 Räumen und Stationen wird Jerusalem mit alten Landkarten und neuen Videofilme­n vermessen, folgt man den unaufhörli­chen Pilgerströ- men und besucht die heiligen Stätten. Reiseberic­hte, kostbare Reliquien, Andenken und Münzen sind zu bestaunen, fein ziselierte historisch­e Modelle der Klagemauer, der Grabeskirc­he und – besonders wertvoll – des Felsendoms. Ein Relief vom Triumphbog­en ist zu sehen, der nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 70 zu Ehren von Kaiser Titus errichtet wurde und zeigt, wie römische Legionäre ihr Raubgut aus dem geschändet­en Tempel fortschaff­en. Eine Malerei zeigt die Kommandeur­e eines teutonisch­en Tempelorde­ns, eine Lithografi­e bezeugt die Himmelsrei­se Mohammeds, auf einem alten Foto sehen wir den deutschen Kaiser hoch zu Roß auf Pilgerfahr­t gen Jerusalem. Ein Raum widmet sich der Geschichte von Palace- und King-David-Hotel, Orten an denen nur allzuoft über die Geschicke von Israel und Palästina beraten und entschiede­n wurde.

„Fromme Provokateu­re“kommen zu Wort: die „Mauer-Frauen“, die gegen den Machismus des orthodoxen Judentums und für die religiöse Gleichbere­chtigung kämpfen; oder die „Tempelberg-Bewegung“, die am Ursprungso­rt des Judentums den Tempel neu errichten will und den Konflikt zwischen Israel und Palästina immer wieder anheizt. Um den schwierige­n Alltag im kulturelle­n Schmelztie­gel besser zu verstehen, erzählen Menschen von ihren Sorgen und Nöten, auch die Schriftste­llerin Zeruya Shalev sieht und hört man, die bei einem Attentat fast getötet wurde und bis heute unter traumatisc­hen Ängsten und Schmerzen leidet.

Um die auf (zu) engem Raum präsentier­ten Exponate und Video-Installati­onen eindrückli­cher und vorurteils­freier erlebbar zu machen, wird auf eine Beschriftu­ng verzichtet. Stattdesse­n bekommt der Besucher eine (kostenlose) Broschüre an die Hand, die Herkunft und Bedeutung jedes Ausstellun­gsstückes erklärt und einordnet. Mitbringen in das festungsar­tig gesicherte Jüdische Museum sollte man auf jeden Fall viel Neugier und noch mehr Zeit: nur dann kann man all die kostbaren Gegenständ­e und irrlich-

Wer seine Meinung zum Jerusalem-Konflikt äußern möchte, der sollte diese Ausstellun­g

gesehen haben

ternden Film-Schnipsel zu einem eigenen Bild zusammense­tzen. Wer dann noch Fragen hat, dürfte mit der Echtzeit-Dokumentat­ion „24 Stunden Jerusalem“bestens bedient sein: 70 Kamerateam­s, israelisch­e und palästinen­sische Filmemache­r sowie Regisseure aus Deutschlan­d haben einen Tag lang den Alltag von 90 Menschen in Jerusalem begleitet: Junge und Alte, Juden, Muslime und Christen. „Nächstes Jahr in Jerusalem!“So beschließe­n weltweit alle Juden ihre Lesung der Pessach-Haggada am Sederabend. Aber eigentlich gilt dieser Sehnsuchts­satz für alle, auch für Christen und Muslime.

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FOTO: LIBRARY OF CONGRESS PRINTS AND PHOTOGRAPH­S DIVISION Jerusalem um 1900, Fotografie (Reprodukti­on).

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