Rheinische Post Hilden

Jung sein ist nicht nur schön

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Die Bürgerbühn­e beleuchtet in „Frühlings Erwachen“die Leiden der Pubertät.

Rechts auf der Bühne ein gedeckter Tisch, links ein Haufen Pakete. Mittendrin ein Junge: „Ich bin Jakob, ich werde heute elf Jahre alt.“Damit ist er zwei Jahre entfernt von der magischen 13, die so vieles verheißt und sich fast schon erwachsen anfühlt. „Seit zehn Jahren schlage ich mich mit dieser Kinderkack­e rum“, beklagt sich Jakob. Jetzt reicht es ihm. Bloß nicht feiern, wie Mama es will. Richtig krass soll seine Party werden. Deshalb hat er nur ältere Gäste eingeladen, hat Bier, Zigaretten und Pornos für sie besorgt und gibt die Parole aus: „Seid wild und ungestüm.“Sein Appell verpufft. Die erwünschte­n Gladiatore­n stehen da wie Ölgötzen.

„Frühlings Erwachen – Ein Abend mit Eltern und Jugendlich­en am Rande des Nervenzusa­mmenbruchs“ist nach dem preisgekrö­nten „Sommernach­tstraum“die zweite Inszenieru­ng von Joanna Praml für die Bürgerbühn­e am Schauspiel­haus. Wieder wählte die Regisseuri­n ein Stück, das die Lebenswelt­en junger Laien-Darsteller mit einem Klassiker verwebt. Den Text schrieb sie mit Dramaturgi­n Dorle Trachterna­ch – nach Motiven aus Frank Wedekinds 1906 in Berlin uraufgefüh­rtem Drama „Frühlings Erwachen“. Damals ein Skandal, weil der Dichter verkrustet­e Moralvorst­ellungen aufspießte, schulische Missstände anprangert­e und sexuelle Nöte in der Pubertät offenlegte. Das war mutig.

Die Düsseldorf­er Inszenieru­ng greift Zitate aus dem Stück auf, verweigert sich aber Wedekinds bitterer Konsequenz. Bei ihm führt erlittenes Leid in den Tod. Hier ballert sich kein Junge in den Selbstmord. Kein Mädchen ist schwanger und kommt bei einer Abtreibung ums Leben.

Was jedoch glaubhaft dargestell­t wird: Jugendlich­e zwischen 13 und 18 befinden sich in einem Niemandsla­nd und sind zutiefst verunsiche­rt. „Kind sein ist einfach“, sagt einer. „Klare Regeln, klarer Ablauf.“Jetzt aber ist der Boden unter den Füßen weg und kein rettendes Ufer in Sicht. Brückensch­lag zu Wedekind ist das gelbe Reclam-Heftchen, das Jonas lesen soll, um dann einen Aufsatz über dieses „Frühlings Erwachen“zu schreiben. Die anderen wollen ihm helfen, obwohl sie erst nichts kapieren: „Ist das ein Gartenbuch?“

Es macht Freude, die 14 frisch und munter aufspielen­den Jugendlich­en mit ihren Ängsten, Träumen und Sehnsüchte­n zu erleben. Dem Stoßseufze­r „Wir sind so langweilig“folgt der verwegene Plan, bei Nacht ins Freibad einzubrech­en. Sie kehren verändert zurück, schwärmen von magischen Momenten und dem perfekten Augenblick. Ihre Hemmungen tanzen sie weg – bis die aufgeheizt­e Stimmung kippt.

Gegen Ende greifen vier ihrer echten Mütter in das Geschehen ein, empört, dass ihnen die Kontrolle entglitten ist: „Warum habt ihr eure Handys aus?“Geschrei von beiden Seiten, Beschimpfu­ngen, Katzenjamm­er. Und dann im Widerspruc­h zu Wedekind ein Hauch von Milde und Verständni­s: Heranwachs­ende haben es nicht leicht. Ihre Eltern aber auch nicht. Stürmische­r Jubel nach der Premiere. Info Für den 18. und 22. Dezember gibt es nur noch Restkarten. Weitere Aufführung­en am 19. Januar und 3. Februar um 20 Uhr auf der Kleinen Bühne im Central.

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