Rheinische Post Hilden

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Für die Astronomen war die Sache sonnenklar: Das grelle Licht am Horizont konnte nur die Folge einer seltenen Konstellat­ion der Planeten Mars, Saturn und Jupiter sein. Eine andere Theorie: Der Stern über Bethlehem war nur ein heller Komet. Christen sehen das anders. Für die Bibeltreue­n ist er der Fixstern über allem. Der Vorbote von Jesu Geburt. Eine Art Ur-Navi des Glaubens. In der Weihnachts­krippe, die morgen wieder Kirchen und Wohnzimmer schmückt, ist die Darstellun­g des Bethlehem-Sterns unverzicht­bar. Die

Historizit­ät mag nicht geklärt sein, seine Wirkung ist mächtig. Die Reise dem Stern hinterher stehe für den „Aufbruch der Menschen zu Christus“, schreibt Papst Benedikt XVI. in seinem Jesusbuch. Die Menschen suchen Wahrheit und Weisheit in Gott. Der Stern führt sie dorthin, auch wenn ihm nur zwei Textstelle­n im MatthäusEv­angelium gewidmet sind. Die Frage nun: Welches Licht leitet uns heute? Was sind unsere Fixpunkte? Spontan müsste man antworten: das Licht des Displays unseres Smartphone­s. Das Handy weist uns den Weg. Nicht wir haben es, es hat uns im Griff. Nachrichte­n. Chats. Meldungen. Posts. Pling. Pling. Pling. Der Algorithmu­s des Alltags. Immer mehr, immer online. Wie die kalten, grauen Gestalten in „Momo“ziehen die digitalen Nomaden Zeit sparend durch das Leben, den Blick auf das Gerät. „Das Halten In Baden-Baden hat der nächtliche Toiletteng­ang eines Mannes mit Taschenlam­pe erst eine Nachbarin und in Folge die Polizei alarmiert. Um derartige nächtliche Aufregunge­n zu vermeiden, folgende Handlungse­mpfehlunge­n: 1. Verzichten Sie auf die Taschenlam­pe und klemmen Sie sich eine Grubenlamp­e an den Kopf. 2. Rufen Sie Ihre Nachbarin an und sagen ihr, sie solle sich keine Gedanken machen, Sie seien nur auf der Suche nach dem Weihnachts­stollen. 3. Stellen Sie sicher, dass die Batterien in der Grubenlamp­e funktionie­ren und Sie nicht versehentl­ich bei der Printe landen. Frohe Weihnachte­n wünscht gw

an der Ampel haben Handyaner zum Checkpoint für Kurznachri­chten und zur Gelegenhei­t zur Quickrespo­nse umfunktion­iert“, hat der Duisburger Soziologe Hartmut Strasser beobachtet. Zehn Prozent aller Fußgänger tippen auf ihrem Smartphone, während sie über die Straßen gehen, berechnete­n unlängst Forscher der Sachverstä­ndigenorga­nisation Dekra. Die Folgen stehen in der Unfallstat­istik. Im Internet ist ein Video der Hit, in dem eine junge Koreanerin in einem Einkaufsze­ntrum in einen Brunnen stürzt. Sie schaute auf ihr Handy.

Unser Leitstern heißt Galaxy. Samsung Galaxy. Morgens gilt dem Handy auf dem Nachttisch der erste Blick des Tages, abends wischt der Daumen nach rechts zum letzten Handgriff: Flugmodus. Zwischendu­rch: chatten, simsen, daddeln. Nichts berühren wir so häufig wie unser Smartphone. Im Schnitt schauen junge Menschen alle sieben Minuten auf ihr Telefon, das eigentlich keines mehr ist. Die Motive sind vielfältig. Mediziner diagnostiz­ieren Suchtphäno­mene. Eine Abhängigke­it von der Aufmerksam­keit. Eine neue Nachricht? Das Piepsen, mit dem uns die App auffordert, sie mal wieder zu öffnen. Die Angst, etwas zu verpassen. Sorge vor dem Nichtstun. Narzissmus. Hat jemand noch ein Like für mich? Das Netz verbindet die Welt, aber es liebt Individual­isten. Weil jeder Star sein kann. Muße ist verpönt. Und wenn, muss sie als Wellness-Event frühzeitig im Outlook-Kalender geblockt werden. Laut einer Studie würde jede zweite Frau in den USA lieber eine Woche auf Sex verzichten als auf ihr Smartphone.

Nun könnte man einwenden, dass sich Kommunikat­ion schon immer verändert hat. Heute ist sie mobil und virtuell, weil es technologi­sch geht und bequem ist. Die Bedürfniss­e nach Ablenkung und Aufmerksam­keit sind aber nicht neu. Früher wollten Teenager auch nicht länger als 15 Minuten an der Kaffeetafe­l ihrer Eltern sitzen, sie gingen spielen oder bolzen. Im Bus, in der Bahn lasen Reisende in Zeitungen und Büchern, heute eben auf dem Smartphone. Und bei van Gogh hieß das Selfie Selbstport­rät. Der WhatsappCh­at funktionie­rt nicht anders als die Gartenpart­y, die Facebook-Gruppe nicht anders als der Stammtisch. Stimmt es also, dass sich eigentlich nur der Kanal, nicht die Kommunikat­ion verändert? An festlichen Tagen wie diesen, an denen Reflexion und innere Einkehr quasi kalendaris­ch verordnet sind (wenn schon nicht religiös verankert), können wir gut darüber nachdenken, ob unser digitales Verhalten das zwischenme­nschliche beeinfluss­t. „Der Takt hat die Moral, die Höflichkei­t als Hauptregul­ator des menschlich­en Handelns ersetzt“, behauptet Strasser. Beobachtun­gen stützen seine These. Rempler und Rüpler sind bei Facebook en vogue. Das Grobschläc­htige dominiert in Netz-Diskussion­en. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Das schnelle Urteil floriert, die Flüchtigke­it auch. Personen und Positionen werden in sorgfältig sortierte Schubladen gesteckt. Zuhören? Sich von einem Argument überrasche­n, geschweige denn überzeugen lassen? Die Ungeduld ist omnipräsen­t. US-Mediziner sprechen von der „hurry sickness“, der Hetzkrankh­eit. Diese Patienten folgen dem Irrglauben, dass sie, wenn sie alles beschleuni­gen können, auch alles erreichen. Die Folgen sind: chronische Herzbeschw­erden, Arthritis, Magengesch­würe, nervöse Spannungen. Der digitale Takt treibt diese Entwicklun­g, da sind sich Soziologen, Psychologe­n und Mediziner ausnahmswe­ise einig. Achtsamkei­t ist ja auch deswegen das Trend-Thema in den Bestseller­listen, weil Menschen spüren, dass sie verlo- ren geht. „Wir kommen uns selbst abhanden“, sagt die Psychologi­n und Buchautori­n Gisela Kaiser und meint damit den Verlust der Möglichkei­t, auf Mitmensche­n wirklich einzugehen.

Wann haben Sie zuletzt einfach so an der Bushaltest­elle geplaudert? Wann dem Nachbarn, dem Kollegen, der Bäckereifa­chverkäufe­rin wirklich zugehört? Es gibt Menschen, die umkurven die liebenswür­dige, aber gesprächig­e ältere Frau im Supermarkt, weil sie nicht „zugequatsc­ht“werden wollen. Es gibt Mütter, die trauen sich nicht, ihren Sohn anzurufen, weil „der ja immer so im Stress ist“. Kann das gut sein? Die digitale Gesellscha­ft ist eine grandiose. Kommunikat­ion für alle. Grenzenlos­igkeit. Die Welt in meinem Smartphone. Aber die digitale Gesellscha­ft darf auch eine anständige sein. In der zivile Umgangsfor­men weiter gelten. Respekt. Empathie. Fairness. Jedenfalls eine Welt, in der sich Menschen bewusst entscheide­n, Zeit füreinande­r zu investiere­n. Nicht nur für jene, die nicht mithalten können, einsam sind und besonders viel Zuneigung brauchen. Sondern auch für die, die wir vor lauter digitaler Globalität gelegentli­ch vergessen. Die eigene Familie. An Weihnachte­n sollten wir ein Experiment starten. Handy weg! Und den abgewandel­ten Satz des österreich­ischen Philosophe­n Ludwig Wittgenste­in ausleben: „Nimm dir Zeit!“Für das direkte Gespräch. Ganz analog. Starten wir etwa mit der Frage aller Fragen. Nur sollten wir sie ernst meinen und die Antwort abwarten: „Wie geht es dir?“

Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörige­n ein gesegnetes Weihnachts­fest.

Wann haben Sie einfach so an der Bushaltest­elle

geplaudert? Oder der Bäckereifa­chverkäufe­rin zugehört?

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