Rheinische Post Hilden

Ein Abend voller Güte

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Noch heute, fast 70 Jahre danach, ist Walter Rohleder aus Moers gerührt, wenn er an das Weihnachts­fest 1948 denkt. Erst Anfang Dezember war er nach fast fünf Jahren aus russischer Kriegsgefa­ngenschaft in Donezk entlassen worden, eine Rückkehr ins heimische Breslau war unmöglich. Ein Freund lebte in Düsseldorf, deshalb kam er ins Rheinland. Doch die Familie des Freundes war ausgebombt, dort konnte er nicht bleiben. So verschlug es ihn in ein Heimkehrer-Lazarett in VelbertLan­genberg. Da viele zu Weihnachte­n zu ihren Familien fuhren, blieb er mit anderen Heimatlose­n allein zurück. „Es war ein trostloser Heiligaben­d“, sagt er. Aber dann kam am ersten Feiertag eine Familie aus Wuppertal-Dönberg und lud ihn ein, den Abend mit ihr zu verbringen. Er saß an einem reich gedeckten Tisch, der Gastgeber war Lebensmitt­elhändler. „Das war ein großer Akt der Güte und Menschlich­keit“, betont der Moerser. „Ich wurde sehr freundlich aufgenomme­n, es wurden mir schöne Weihnachte­n geschenkt. Mir wurde viel Liebe entgegenge­bracht.“Ein Heim, eine Mahlzeit, der festliche Abend, die Gedanken an die verlorene Heimat – das alles habe ihn dann doch auch überwältig­t.„Ich bekam nichts runter, mein Magen hat gestreikt, mein Hals war wie zugeschnür­t“, so erinnert er sich. „Ich konnte mich auch gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal mit Messer und Gabel gegessen hatte.“Eindruck machte auf ihn auch die Schwester seines Gastgebers. „Es war bei uns beiden Liebe auf den ersten Blick, deshalb durfte ich dann an Silvester wiederkomm­en.“

Einige Zeit waren die beiden ein Paar, geheiratet hat Walter Rohleder dann aber eine andere. 48 Jahre war er mit seiner Edith verheirate­t, als sie starb. Das Weihnachts­fest verbringt der 94-Jährige mit den Familien seiner Töchter – und seinen Urenkeln, wie er stolz hinzufügt. Walter Rohleder (94) erlebte 1948 als Kriegsheim­kehrer ein Fest der Güte und Menschlich­keit.

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