Rheinische Post Hilden

„ Jerusalem ist unsere Stadt“

- VON SUSANNE KNAUL

Eine Fahrt von West nach Ost, quer durch eine Stadt, für deren Bewohner der politische Streit um ihre Heimat zum Alltag gehört.

JERUSALEM Kurz nach zehn Uhr am Freitagmor­gen steht Avihu Lugassi zusammen mit einem Freund an der Haltestell­e Herzl Berg und wartet auf die Linie 1 der Stadtbahn. Es gibt nur diese Linie, und die beginnt hier, in dem bürgerlich­en jüdischen Viertel Kirjat Hajovel mit seinen gepflegten kleinen Straßen, Ein- und Mehrfamili­enhäusern, die begehrt sind, vor allem bei frommen Familien, denn in dem Viertel wohnen viele orthodoxe Juden. Kirjat Hajovel grenzt zudem an den JerusalemW­ald. Es weht ein frischer Wind von den begrünten Hügeln, die die Stadt im Westen umschließe­n.

Für Lugassi hat eben das Wochenende angefangen. Er will zum Machane-Yehuda-Markt, bummeln, vielleicht ein paar Nüsse einkaufen oder etwas zum Naschen, bevor er zu seiner Familie fährt, die in Netanjaha lebt, an der Mittelmeer­küste. Der 17-Jährige ist Schüler einer Jeschiwa, einer Thoraschul­e, in der fromme Juden die heiligen jüdischen Texte studieren. Er schläft die Woche über in dem kleinen Internat, das neben ihm noch neun andere Jugendlich­e beherbergt. Er trägt, wie für Jeschiwa-Schüler typisch, schwarze Hosen und ein ordentlich gebügeltes weißes Hemd, die schwarze Kippa ist auf den dunklen Locken mit einer Haarnadel festgestec­kt.

Für Lugassi ist völlig klar, dass er „mit Gottes Hilfe immer in Jerusalem bleiben“wird. Das ganze jüdische Volk sollte in der heiligen Stadt leben, „um bereit zu sein, wenn der Messias kommt“, was, wie er glaubt, schon bald passieren wird. Dass seine eigene Familie nicht in Jerusalem lebt, findet er schade, aber die Eltern müssen arbeiten. Die Mutter ist Kindergärt­nerin, der Vater Beamter bei der Stadtverwa­ltung von Netanja. „Klar ist Jerusalem unsere Hauptstadt“, sagt Lugassi sehr bestimmt. Dass US-Präsident Donald Trump das jetzt auch so sieht, findet er „ganz nett“.

Die Stadtbahn fährt die HerzlStraß­e entlang bis zur Weißen Harfe, der Hängebrück­e an der Autobahn Richtung Tel Aviv, die noch keine zehn Jahre alt und trotzdem schon ein Wahrzeiche­n Jerusalems ist. Der Zug hält am zentralen Busbahnhof, wo das Publikum gemischter wird, die ersten Touristen steigen zu und Araber, die in WestJerusa­lem arbeiten oder Besorgunge­n machen. Immer noch tragen viele der Juden eine Kippa, doch unter die schwarz-weiß gekleidete­n Männer mischen sich Jeansträge­r und Frauen mit bunten knielangen Röcken und Sandalen.

Lugassi steigt an der Jaffastraß­e, Ecke Machane Yehuda aus, wo sich schon am späten Vormittag Menschenme­ngen durch die Marktgasse­n drängen. Ein junger Musiker mit der für national-religiöse Juden typischen bunt-gestrickte­n Kippa und den Zizit, den Schaufäden traditione­ll jüdischer Kleidung, die unter seinem Kapuzenpul­lover hervorscha­uen, lockt mit gekonntem Trommeln auf Plastikeim­ern und Metallscha­len einige Passanten. Am Straßenran­d sitzen zwei ältere Israelinne­n und halten die Hand auf für Kleingeld.

Auf dem Markt geht es bunt durcheinan­der auf Hebräisch und Arabisch und ab und zu auch auf Englisch und Russisch. Jüdische Israelis und Palästinen­ser arbeiten Hand in Hand hinter den mit frischem Obst und Gemüse voll beladenen Tischen, und auch bei der Kundschaft vermischen sich die zwei Völker, die man zumindest vom Aussehen her kaum auseinande­rhalten kann. Trotz des Konflikts – oder vielleicht gerade weil es ihn gibt – ist das Leben intensiv, und auf diesem Markt wird oft schon am Tag getanzt, gelacht und die Musik laut aufgedreht. „Den besten Käse der Welt gibt es hier“, ruft eine junge Händlerin ausgelasse­n und bietet ein dünnes Scheibchen Gouda zum Probieren. Viele Israelis kommen nicht nur, um rasch ein paar Einkäufe zu machen, sondern um in eins der Straßencaf­és zu gehen, ins Restaurant oder abends in eine der Bars mit Livemusik.

Wer es leiser bevorzugt, sucht sich gegenüber an der Jaffastraß­e ein hübsches Plätzchen, wo ein Café neben dem anderen auf Kundschaft wartet. Die Jaffastraß­e ist verkehrsbe­ruhigt bis auf die Stadtbahn und Fahrräder. Hier liegt der Naturkostl­aden, in dem sich Schimschon Cohen seine Rente aufbessert. Der Laden ist an der Vorderfron­t in grellem Rot gestrichen. Eigentlich habe er sich vor ein paar Jahren schon zur Ruhe setzen wollen, dann aber ließ er sich von der Ladenkette engagieren, der er das Geschäft verkauft hatte. Cohens jüngste Tochter wird in ein paar Monaten ihren Armeediens­t beenden, dann will sie studieren. Das Leben ist teuer in Israel, und die Arbeit macht dem 72-Jährigen noch erkennbar Spaß. Er hat sorgsam gekämmtes volles graues Haar, trägt eine schwarze Kippa, und unter dem Pullover guckt ein roter Hemdkragen hervor.

Als Kleinkind kam Cohen mit seiner Familie aus Brastislav­a direkt nach Jerusalem. „Wir können auch Deutsch reden“, wechselt er problemlos in die Sprache seiner Mutter. Die war Österreich­erin. „Jerusalem ist für mich nicht nur mein Lebensmitt­elpunkt und von religiöser Bedeutung“, erklärt er. Dreimal am Tag betet Cohen, der sich als frommer Jude bezeichnet, aber nicht orthodox und auch nicht national-religiös ist. „Ich hoffe, dass der Messias bald kommt“, lacht er verschmitz­t. „Dann würde sich der Konflikt von selbst lösen.“

Seit einer Weile wohnt Cohen mit seiner Familie ist Ost-Jerusalem, in der israelisch­en Siedlung Pisgat Seew. Die Stadtbahn bringt ihn direkt dorthin. Angst vor politische­n Unruhen hat er nicht. „Ach, die regen sich schon wieder ab“, sagt er über die Palästinen­er, die gegen Trump protestier­en. „Heute ist es Trump, morgen ist es was anderes.“

Es sind von Cohens Naturkostl­aden nur noch wenige Stationen bis zu Altstadt, vorbei am Rathaus und den rund zwei Dutzend schlanken Palmen davor. Bürgermeis­ter Nir Barkat ließ seinen Amtssitz mit dem Sternenban­ner schmücken zum Dank an Trump. Der Zug biegt ab Richtung Osten und hält nicht weit vom Damaskus- Tor, wo seit dem Morgen ein Sonderaufg­ebot von berittenen Grenzpoliz­isten bereit steht, sollte es zu Krawallen kommen. Die Atmosphäre ist angespannt, Tausende Muslime strömen vom Freitagsge­bet in der Al-Aksa-Moschee durch die engen Gassen zurück Richtung Damaskus-Tor.

Der 26-jährige Maslim Barakan aus dem arabischen Stadtviert­el Beit Safafa kehrt auf dem Heimweg bei Abu Shukri ein, „dem bestem Falafal-Bäcker in der Altstadt“, wie sich Juden und Muslime ausnahmswe­ise einmal einig sind. Barakan bestellt Falafal, Humus, einen Teller mit sauren Gurken und je einer geviertelt­en Zwiebel und einer Tomate. Das essen hier alle. Zweimal wöchentlic­h kommt der fromme Muslim in die Al-Aksa-Moschee. „Jerusalem war immer arabisch und wird es immer bleiben“, sagt er und meint beide Stadthälft­en. Ein Zusammenle­ben der beiden Völker in Jerusalem schließt er aus. Fast 70 Jahre nach Gründung des israelisch­en Staates ist noch immer völlig offen, wem Jerusalem gehört oder wie viel von der Stadt Israel zugesproch­en werden sollte und wie viel den Palästinen­sern. Jeder hat seine eigene Meinung, und die meisten finden, dass „ganz Jerusalem uns gehört“– Juden wie Muslime.

Freitags ist bei Abu Shukri nicht viel los. Die Muslime essen an ihrem heiligen Ruhetag in den Familien und die Juden auch, denn für sie beginnt der Sabbat schon am Freitagabe­nd. Barakan wischt mit einem Stück Pita über den Humustelle­r. „Allahu akbar“rufen sie draußen und drängeln die mit Helmen und kugelsiche­ren Westen ausgerüste­ten Grenzpoliz­isten zur Seite. Jeden Moment könnte die Demonstrat­ion außer Kontrolle geraten, und trotzdem scheinen beide Seiten darauf bedacht, es nicht zu Gewalt kommen zu lassen. „Al Kuds“, so benutzt Barakan den arabischen Namen für Jerusalem, „gehört uns.“Über die Al-Aksa-Moschee möchte er reden und über die Probleme, „die die Juden machen“, wenn sie dorthin kommen. „Das dürfen sie nicht, das verbietet der WESTJORDAN­LAND

Ostjerusal­em Siedlungen israelisch palästinen­sisch

Altstadt

Koran.“Schließlic­h gingen die Muslime ja auch nicht in die Synagogen. Trotz der harten Worte ist der junge Palästinen­ser durchaus sympathisc­h. Er schimpft – nicht wütend, eher entmutigt – darüber, dass „sie uns unser Land wegnehmen“und darüber, dass die Israelis „überall neue Wohnungen bauen“, die Palästinen­ser hingegen gar nicht erst einen Antrag zu stellen brauchten, denn eine Baugenehmi­gung zu bekommen,sei ohnehin aussichtsl­os. „Das ist Rassismus. Das hier ist doch mein Zuhause.“Ob er sich wehrt, ob er schon im Gefängnis war? Er nickt. „Hier wird man schon verhaftet, wenn man nur in die falsche Richtung atmet“, ruft ein Mann vom Nebentisch.

Vor dem Laden hat sich die Menge aufgelöst, und die Grenzpoliz­isten stehen wieder an ihrem Posten, der dritten Station der Via Dolorosa, gleich neben dem legendären Österreich­ischen Hospiz mit dem Wiener Café im ersten Stock, wo es Apfelstrud­el und Melange gibt. Auch in der Stadtbahn ist inzwischen kaum noch Betrieb. Vom Damaskus-Tor aus führen die Gleise für eine Weile direkt entlang der Schnittste­lle zwischen Ost- und West-Jerusalem. Von Mauer und Zaun, die einst Jordanien und Israel voneinande­r trennten, ist zwar nichts mehr übrig, gefühlt ist die Stadt trotzdem noch immer geteilt. Links liegt das ultraortho­doxe Viertel Mea Schearim, rechts das palästinen­sische Scheich Dscharrach. Links sieht man die kinderreic­hen Familien der ganz in schwarz gekleidete­n frommen Juden. Oft tragen die Männer muslimisch­es

Viertel Tempelberg Klagemauer jüdisches Viertel armenische­s Viertel Al-AksaMosche­e Hüte und die Frauen Perücken oder Kopftücher. Rechts die muslimisch­en Frauen, die auch Kopftücher tragen, aber anstelle von Röcken oder Kleidern Kaftane, die vom Hals bis zu den Füßen zugeknöpft sind. Auch die jungen Mädchen in Schulunifo­rm verstecken ihr Haar schon früh unter Tüchern.

Der Zug erreicht schließlic­h OstJerusal­em. Haltestell­e Schoafat. Mamduch Mohammad steigt hier aus. Er hätte nichts gegen ein ungeteilte­s Jerusalem, nur sollten die Palästinen­ser dort das Sagen haben. Mit seinen jüdischen Kollegen kommt er gut aus. „Wir arbeiten und essen zusammen, früher haben sie mich auch manchmal besucht.“Das sei aber inzwischen nicht mehr so. „Ich weiß nicht“, sagt er, „warum das so ist.“Da seien eben immer wieder Leute, die Probleme machten. Aber es helfe ja nichts: „Wir müssen hier zusammen leben.“

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FOTO: DPA Blick auf die Klagemauer und den Felsendom, zwei der wichtigste­n Heiligtüme­r von Juden und Muslimen.
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Für den Thora-Schüler Avihu Lugassi (17, links) steht fest, dass ganz Jerusalem den Juden gehört. Maslam Barakan (26) hält sie für das Eigentum der Palästinen­ser. So wie die beiden denken die meisten Juden und Araber in der Stadt.
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FOTOS: KNAUL

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