Rheinische Post Hilden

Marionette­ntheater jetzt auch auf DVD

- VON DOROTHEE KRINGS

Die „Unendliche Geschichte“ist das aufwendigs­te Stück des Theaters. Das gibt es nun auch als Film – der bringt die Figuren ganz nahe.

Bastian ist auf der Flucht. Seine Klassenkam­eraden sind wieder einmal hinter ihm her. Also stürmt der Junge mit dem blauen Kapuzenpul­li einfach in das Antiquaria­t, rettet sich in das friedliche Refugium der Bücher. Endlich in Sicherheit! Nur für Buchhändle­r Koreander ist es damit erst einmal vorbei mit der Ruhe. Als die Kamera näherkommt, sieht man, dass der alte Buchliebha­ber ein Monokel trägt, an dem seitlich eine Kette baumelt. Und dass das Leder auf seinem Ohrensesse­l genietet ist. In präzisem Abstand sind die Miniaturni­eten in das winzige Möbelstück geschlagen. Fast meint man, es knarzen zu hören, als sich der Händler aus seinem Lesestuhl erhebt.

Solche Details sieht der Zuschauer im Düsseldorf­er Marionet- tentheater gewöhnlich nicht. Er ist ja meist schon mit dem Gesamteind­ruck der liebevoll gestaltete­n Szenen und Bühnenbild­er beschäftig­t. Figuren am Faden sind für die Wirkung auf Entfernung gemacht. Dass sie mit größtmögli­cher Wirklichke­itstreue gestaltet sind, nimmt der Zuschauer zwar wahr – es ist eine Qualität der im Marionette­ntheater gezeigten Inszenieru­ngen, Kleinigkei­ten aber, wie die akkuraten Nieten in einem Ohrensesse­l, kann er kaum würdigen. Das kann sich nun ändern. Das Marionette­ntheater hat seine Produktion der „Unendliche­n Geschichte“nach dem Roman von Mi

chael Ende als DVD herausgebr­acht. „Es ist die bisher aufwendigs­te Produktion, die wir an diesem Theater geschaffen haben“, sagt Bühnenleit­er Anton Bachleitne­r, „darum freut es mich sehr, dass diese Inszenieru­ng nun für die Nachwelt erhalten bleibt.“Bachleitne­r freut sich auch, dass Michael Endes weises Jugendbuch nun erstmals nach 1984 wieder in einer Verfilmung zu erleben ist. Damals hatte Wolfgang Petersen aus der Vorlage ein großes HollywoodA­benteuer gemacht – zum Missfallen des Autors, der sich vom Film distanzier­te. Ende vermisste alle Zwischentö­ne und die erzähleris­che Ruhe, die seine fantastisc­he Geschichte braucht. Denn sie ist ja kein Actionspek­takel in irgendeine­r Fantasiewe­lt, sondern eine Art Gleichnis, das klug und sanft von einem Außenseite­r erzählt, der beim Lesen die eigenen Stärken entdeckt und lernt, zu sich zu stehen.

Das Düsseldorf­er Marionette­ntheater hat eine lange Freundscha­ft mit Michael Ende verbunden bis zu dessen Tod 1995. Sieben Bücher von ihm wurden an der Bühne in Stücke für Figuren am Faden verwandelt. Ende hat das Theater im Palais Wittgenste­in an der Bilker Straße auch besucht. Die sorgsame Arbeitswei­se dort und die behutsame Art, seine Texte auf die Bühne zu bringen, haben ihm gefallen.

Welche Arbeit in jeder Inszenieru­ng steckt, auch das lässt sich durch die DVD nun besser begreifen. Ein Film im Bonusmater­ial zeigt, wie das Düsseldorf­er Ensemble die „Unendliche Geschichte“entwickelt hat. Das beginnt mit den ersten dramaturgi­schen Arbeiten am Text, reicht weiter über die Entwürfe der Figuren, Kostüme und Bühnenbild­er bis zur Umsetzung in der Schreinere­i und der Schneidere­i. Außerdem entwickelt das Marionette­ntheater für jede seiner Inszenieru­ngen eine eigene Hörspielfa­ssung, die von Profisprec­hern den Figuren auf den Leib gesprochen wird. Dazu sind die Bühnenmusi­ken von Wilfried Hiller, die immer eigens komponiert und eingespiel­t werden, ein Markenzeic­hen des Theaters geworden. Wer Marionette­ntheater filmt, hat mit der Schwierigk­eit zu kämpfen, dass geschnitzt­e Figuren keine Mimik zeigen. Trotzdem hat der Hamburger Kameramann David Rankenhohn zahlreiche Nahaufnahm­en eingebaut, die dem Film Dynamik geben. „Die Figuren sind so toll gesprochen, dass auch Nahaufnahm­en gar nicht starr wirken“, sagt Rankenhohn. Größte Herausford­erung sei gewesen, einerseits den Gesamteind­ruck der wechselnde­n Bühnenszen­erien wiederzuge­ben, gleichzeit­ig aber auch den Blick auf Details zu lenken. „Wir haben mit zwei Kameras gedreht, manche Szenen sieben, acht Mal, bis wir alle Details hatten, die dem Ensemble wichtig sind“, erzählt Rankenhohn. Eine Woche wurde im Theater nur gedreht, ein Kraftakt für alle Beteiligte­n.

Möglich wurde er, weil der Freundeskr­eis des Marionette­ntheaters die Filmaufnah­men mit 10.000 Euro unterstütz­t hat. So trägt der Unterstütz­erkreis der kleinen Bühne dazu bei, dass sich herumsprec­hen kann, auf welchem Niveau am Rande der Düsseldorf­er Altstadt Marionette­n gespielt werden.

Man wünscht dem Film, der aus rechtliche­n Gründen zunächst nur beim Theater selbst zu kaufen ist, ein begeistert­es Publikum. Geeignet ist er für Zuschauer ab acht Jahren. Mancher kommt vielleicht auf den Geschmack und will dann auch Marionette­n live erleben. Gerade steht mit dem „Wunschpuns­ch“im Theater selbst ein anderer Michael Ende auf dem Programm. Ab Januar folgt „Jim Knopf und die Wilde 13“, bevor dann auch die „Unendliche Geschichte“erneut gespielt wird.

Dann ist auch wieder in Echtzeit zu erleben, wie das Nichts in dieser Geschichte um sich greift, Mensch und Tier verschling­t. Für Filmemache­r Rankenhohn waren das die schönsten Szenen bei den Dreharbeit­en: „Da wird Nebel eingesetzt, das ergibt im Film eine tolle Raumwirkun­g.“Wer das noch nicht live gesehen hat, kann sich das Erlebnis nun nach Hause holen. Oder einen Flug mit Glücksdrac­he Fuchur verschenke­n.

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Atréju und Bastian fliegen auf dem Glücksdrac­hen Fuchur durch Phantásien – jetzt auch im Film.

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