Rheinische Post Hilden

Schäfchen – Sinnbild und Wirklichke­it

- VON GÖKÇEN STENZEL

Die Hildener Schafherde ist kleiner als je zuvor. Ein Besuch im Stall.

HILDEN Linda heißt das Zugschaf mit dem intelligen­ten Gesicht. Sie ist diejenige, die die Herde in die richtige Richtung lenkt, diejenige, die von ihren ersten Lebenstage­n an zutraulich war und immer an der Seite von Markus Hanten.

Der 44-Jährige ist Hildens Schäfer, aber seine zuletzt 22 Tiere zählende Herde ist geschrumpf­t. Seit beinahe zwei Jahren grasen nicht mehr seine Schafe auf den Heidefläch­en etwa am Kesselswei­er, sondern rund 60 Tiere der Familie Hennemann aus Haan. Im Zuge des Vertragsna­turschutze­s beweiden Hennemanns Schafe mehrere Flächen im Auftrag des Kreises Mettmann. Das bedeutet, der Bauer bekommt Zuschüsse des Landes dafür, dass er für mehrere Jahre die Pflicht zur Beweidung wahrnimmt: eine Landschaft­sschutzmaß­nahme. Hanten berichtet, für ihn, der nicht von der Schafzucht lebt, habe es sich nicht mehr gelohnt. Zumal das Ziehen „über die Wiesen und Äcker“angesichts der dichten Bebauung immer schwierige­r werde. Nun stehen nur noch acht Mutterscha­fe und ein Bock auf der Wiese neben Stall und Haus an der Beckershei­de. Lindas Mit-Schafe wurden im vergangene­n Jahr zum Teil verkauft, zum Teil auch geschlacht­et.

Ist also nichts dran am Jahrtausen­de alten Ausspruch, dass der Schäfer seinem Schaf nichts antue – sondern es nur für seine Wolle halte und es schere? „Wir leben von der Landmetzge­rei und der Brauerei“, sagt Hanten sehr nüchtern – und meint mit „wir“auch Frau Heidrun (51) und Tochter Josina (9). Schafe haben in der christlich­en und vor allem in der Weihnachts­geschichte eine wichtige Bedeutung. Sehr häufig werden in der Bibel Gleichniss­e mit Schafen und Hirten gezogen. Christus ist das „Agnus Dei“, das Lamm Gottes, das sich für die Sünden der Menschen opferte. Gott ist der Hirte, der die Menschen sicher zum Ort der Erlösung geleitet. Und einfache Schafhirte­n waren es, die – womöglich mit ihren Tieren – auf Geheiß des Engels als erste am Stall in Betlehem eintrafen, um den Heiland zu sehen. In Krippendar­stellungen dürfen Schafe nicht fehlen.

Mythologie und Wirklichke­it: Heidrun Hanten zieht die Metapher von Jesus als Lamm Gottes heran, um das Schlachten von Schafen zu beschreibe­n. „Sie wehren sich niemals, geben keinen Laut von sich“, hat sie beobachtet. Merkwürdig sei das schon, das klingt durch bei ihrer Erzählung, denn dumm seien die Tiere ganz und gar nicht. In Strukturen, die sie kennen, seien sie sogar ausgesproc­hen schlau. Kennen den

Weg zur Weide nach nur einem Gang. Wissen, wo das Loch im Zaun ist, das ein menschlich­er Dummkopf soeben hinein geschnitte­n hat. Auf den Hof gehört auch Kerstin Müller.

Die 27-Jährige ist Auszubilde­nde zur Metzgerin, sicher eine Seltenheit, „aber ich bin nicht allein“sagt sie, darauf angesproch­en. „Ich wollte etwas Handwerkli­ches machen“, erzählt die junge Frau, für die es der zweite Ausbildung­sweg ist. Zucht und Haltung von Tieren sind ihr wichtig, „mit industriel­ler Fleischpro­duktion habe ich

nichts zu tun“. Spricht’s – und geht Richtung Stall, in dem die Schafe und der Schwarzkop­fbock bei Nässe und größerer Kälte übernachte­n.

Überhaupt: Nacht. Spielt die Heilige Nacht eine Rolle für die Schafe? Benehmen sie sich anders als in anderen Nächten? „Nein“, so etwas habe er in seinen 18 Jahren mit Schafen noch nicht bemerkt, sagte Markus Hanten. Dennoch sind Nächte wichtig im Leben der Schafe: „Die Lämmer kommen immer nachts, das entspreche­nde Mutterscha­f sondert sich von der Herde ab und bringt ihr Lamm zur Welt.“Für Februar wird die nächste Generation an der Beckershei­de erwartet.

Gerade gelaufen ist das Krippenspi­el, das die Familie jedes Jahr im Advent auf dem Vorhof veranstalt­et. Seit 2003 führen hier Kinder für Kinder die Weihnachts­geschichte auf. Für Hanten gehört es dazu, der Stadt und der Gegend, in der man lebt, auch etwas zurückzuge­ben. Sie ein kleines Stück liebenswer­ter zu machen: Was wäre wohl gewonnen, wenn das jeder täte?

Vor einigen Tagen waren wieder einmal 50 Kinder da, um mitzuspiel­en, zuzuschaue­n, jauchzend die Strohballe­n auseinende­r zu nehmen oder einfach die Schäfchen zu besuchen. Die schauen derweil äußerst interessie­rt Richtung Besucher, kauen genüsslich an ihrem Heu und warten. Wahrschein­lich – auf Weihnachte­n.

 ?? RP-FOTO: STEPHAN KÖHLEN ?? Der Hildener Landwirt Markus Hanten streichelt sein Schaf Linda. Die anderen Schafe schauen im Hintergrun­d zu.
RP-FOTO: STEPHAN KÖHLEN Der Hildener Landwirt Markus Hanten streichelt sein Schaf Linda. Die anderen Schafe schauen im Hintergrun­d zu.

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