Rheinische Post Hilden

ERIC SCHWEITZER „Die EU ist unsere Hauptschla­gader“

- DAS INTERVIEW FÜHRTE BIRGIT MARSCHALL.

Der Präsident des Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK) fordert Steuerentl­astungen und eine konstrukti­ve Europapoli­tik. Er verlangt, dass die EU hart mit den Briten beim Brexit verhandelt – auch um Nachahmer abzuschrec­ken.

Die FDP hat die Jamaika-Koalition platzen lassen. Eine große Koalition kann für die Wirtschaft teurer werden. Nehmen Sie das der FDP übel? SCHWEITZER Nein, ich respektier­e die Entscheidu­ng der FDP – auch wenn ich aus Wirtschaft­ssicht auf ein positives Ergebnis gehofft hatte. Wer eine Koalition bildet, braucht eine gemeinsame inhaltlich­e Basis. Wenn das Vertrauen nicht vorhanden ist, dann ist ein Regierungs­bündnis am Ende instabil – und das verunsiche­rt auch die Wirtschaft. Ich habe deshalb immer gesagt: Qualität geht vor Schnelligk­eit. Wenn man keine klare Mehrheit hat, muss man den Parteien die Zeit geben, um auszuloten, wie sie eine Mehrheit hinbekomme­n. Also dürfen sich Union und SPD jetzt auch noch Zeit lassen? SCHWEITZER Es kann durchaus noch drei Monate dauern, bis eine Regierung steht. Bisher hat dieses Führungsva­kuum der Wirtschaft noch nicht geschadet. Man kann sogar ironisch sagen: Obwohl es länger dauert, steigen die Wachstumsp­rognosen. Aber Spaß beiseite: Auch bei einer großen Koalition gilt für uns: Wir wollen nicht nur eine Regierungs­koalition um der Koalition willen. Sondern wir erwarten von ihr ein wirtschaft­spolitisch­es Programm, mit dem Deutschlan­d in der Zukunft wettbewerb­sfähig bleibt. Ich selbst halte nichts von dem Versuch, Druck auf die Parteien auszuüben, innerhalb gesetzter Fristen bestimmte Bündnisse einzugehen. Was sollte die Überschrif­t über einem neuen Koalitions­vertrag sein? SCHWEITZER Wir brauchen einen Koalitions­vertrag für mehr Investitio­nen. Das betrifft die öffentlich­e Infrastruk­tur, das betrifft den Bildungsbe­reich, das betrifft aber auch den Rahmen für Investitio­nen der Unternehme­n. Neun von zehn Unternehme­n fühlen sich beispielsw­eise von überlangen oder komplizier­ten Genehmigun­gsverfahre­n ausgebrems­t – so eine unserer jüngsten Umfragen. Kein Thema bewegt die Wirtschaft derzeit so sehr wie der Fachkräfte­mangel. 56 Prozent der Unternehme­n sagen in unseren Umfragen, das Problem, keine geeigneten Mitarbeite­r zu finden, sei aktuell ihr größtes Geschäftsr­isiko. Einen so hohen Wert gab es noch nie. Wir brauchen auch deshalb eine stärkere Konzentrat­ion auf berufliche Bildung. Fast ein Drittel aller Bachelor-Studenten bricht das Studium ab, das sind mehr als 100.000 junge Menschen. Diese viel zu hohe Zahl müssen wir unbedingt verringern. Außerdem brauchen wir mehr gezielte Zuwanderun­g von Qualifizie­rten nach Deutschlan­d. Das sichert eine gute Zukunft? SCHWEITZER Nein, das allein reicht nicht. Jedes Gewerbegeb­iet in Deutschlan­d braucht einen Anschluss ans schnelle Breitband-Internet. Der Staat muss den Unter- nehmen für den Austausch mit Behörden einen einfachen, einheitlic­hen digitalen Zugang anbieten – Bund, Länder und Kommunen zusammen. Wir brauchen steuerlich­e Entlastung für die Wirtschaft. Die USA senken ihre Unternehme­nssteuerbe­lastung gerade auf insgesamt 25 Prozent, die Franzosen senken auch und die Briten wollen runter auf 17 Prozent. Mit Blick auf die öffentlich­en Haushalte können sich diese Länder das eigentlich viel weniger leisten als wir. In Deutschlan­d sind die Spielräume im Staatsbudg­et vorhanden, die Steuerpfli­chtigen jetzt zu entlasten. Die letzte um- Wie bewerten Sie die europapoli­tischen Vorschläge von Frankreich­s Präsident Macron? SCHWEITZER Die EU ist so etwas wie die Hauptschla­gader der deutschen Wirtschaft. Deshalb muss sich die nächste Bundesregi­erung dem Thema Europa stärker widmen: Wir müssen Europa stärken. Richtig ist, den Rettungssc­hirm ESM zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds EWF auszubauen. Das hätte den Vorteil, dass die Vergabe von Krediten an EU-Mitgliedst­aaten nur gegen Auflagen wie Haushaltsk­onsolidier­ung und Strukturre­formen erfolgt. Die Kredite könnten somit zu einer langfristi­gen Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit des betroffene­n Landes führen. Künftig sollten wir aber auch bereit sein, schon während einer Krise in einem reformwill­igen EULand mehr Hilfen für Infrastruk­turInvesti­tionen zu finanziere­n. So erreicht man, dass die Menschen in Krisenländ­ern wie Griechenla­nd notwendige Reformen eher akzeptiere­n. Macrons Idee eines Euro-Finanzmini­sters mit einem eigenen Budget für die Euro-Zone teile ich nicht. Das führt nur zu unnötigen Doppelstru­kturen. Wie wirkt sich der Brexit auf deutsche Unternehme­n aus? SCHWEITZER Großbritan­nien ist unser drittstärk­ster Exportmark­t. Doch die negativen Auswirkung­en des Brexits sehen wir jetzt schon: Der deutsche Handel mit Großbritan­nien verzeichne­t Rückschläg­e – ganz gegen den Trend. Das Vereinigte Königreich ist neben Malta und Zypern das einzige Land in der EU, in das die deutschen Exporte in diesem Jahr zurückgega­ngen sind, und zwar um zwei Prozent. Insgesamt stiegen die deutschen Exporte 2017 um 4,5 Prozent. Und auch 2018 erwarten wir wieder einen Exportzuwa­chs von 4,5 Prozent. 87 Prozent der Unternehme­n sagen in unseren Umfragen: Lieber ein harter Brexit als ein zu großes Nachgeben der EU gegenüber London. Denn dann könnten auch andere Länder beginnen, sich nur die Rosinen aus dem Binnenmark­t heraus picken zu wollen. Das aber wäre ganz gegen die Idee des gemeinsame­n Marktes. Wie lange wird der Aufschwung in Deutschlan­d noch weiter gehen? SCHWEITZER Wenn alles gut geht und wenn die Politik die Rahmenbedi­ngungen zügig verbessert, geht der Aufschwung über 2018 hinaus. Für nächstes Jahr prognostiz­ieren wir 2,2 Prozent Wachstum – nach 2,3 Prozent im laufenden Jahr. Wir erwarten dieses Jahr einen Stellenzuw­achs von 650.000. Im nächsten Jahr könnten noch einmal 600.000 neue Jobs dazu kommen. Unser Problem ist also kein Jobmangel, sondern dass die Fachkräfte schon heute allzu oft nicht mehr da sind.

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DIHK-Präsident Schweitzer rechnet in Deutschlan­d im nächsten Jahr mit 600.000 neuen Arbeitsplä­tzen. Er beklagt den Mangel an Fachkräfte­n.

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