Rheinische Post Hilden

Anarchie für die Generation Merkel

- VON HENNING RASCHE

Das ist politische­r HipHop aus Deutschlan­d: Die Düsseldorf­er Antilopen Gang feiert im Stahlwerk ein eigenwilli­ges „Fest der Liebe“.

Noch hat es gar nicht richtig angefangen, aber der Mann in Schwarz zieht sich bereits aus. Auf seiner Stirn klebt der Schweiß von höchstens einer halben Stunde, die Augen hat er – besser ist das – geschlosse­n, als er sein T-Shirt wegwirft. Darunter: ein Bärenbauch, ein paar Brusthaare und unfassbare Energie. Der Mann tanzt, springt und schubst sich durch diesen unheiligen Abend, als bereite er sich auf einen existenzie­llen Kampf vor.

Wahrschein­lich ist es auch genau dies: ein Kampf zwischen Gut und Böse. Nun, eigentlich ist es bloß das Heimkonzer­t der Düsseldorf­er Rapper, die sich Antilopen Gang nennen. „Fest der Liebe“ist das Motto, weil ja Weihnachte­n ist und an Weihnachte­n die Liebe regiert. Aber in Wahrheit vergewisse­rn sich hier Zuschauer und Musiker im „Stahlwerk“ein letztes Mal im Jahr, dass sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Und diese Seite liegt hier eindeutig links.

Die Antilopen Gang ist im Deutsch-Rap der Aufsteiger des Jahres. Drei Jungs aus Düsseldorf und Aachen, die mit ihrer dritten Platte „Anarchie und Alltag“sechs Wochen lang auf Platz eins der Albumchart­s verweilten. Endlich ist deutscher HipHop wieder politisch, jubelte das Feuilleton des „Spiegel“. Die Ansprüche sind dort nach Jahren der Entwöhnung offenbar gesunken.

Als der Mann in Schwarz sein TShirt wegpfeffer­t, spielt die Vorband, eine Punkgruppe aus Köln. Sie macht doofe Köln-Düsseldorf­Witze, die kein Mensch mehr hören kann. Man weiß heute natürlich nie so ganz genau, was ironisch gebrochen ist, und was nicht. Aber Panik Panzer von den Antilopen wird sein Publikum später anschreien: „Was seid ihr für Scheiß-Lokalpatri­oten, dass euch das wichtig ist?“Jubel. Das ist wohl die richtige Seite.

Im Grunde ist all das ja auch absolut verständli­ch und menschlich. Das ganze Leben sucht der Mensch nach Orientieru­ng, und wenn Rap- per, die ihren eigenen Erfolg gar nicht recht glauben wollen, dabei helfen, dann ist das völlig okay. Aber es ist auch ein wenig einfach. Dass sich im Publikum niemand findet, der sich als Nazi outet, darf nicht überrasche­n. Es ist schließlic­h der einfachste Weg, eine Gruppe zu bilden. Hinter dem Slogan „Gegen Nazis“kann sich fast jeder vereinen. Jedenfalls jeder, der zur Antilopen Gang geht. Natürlich ist das gut so.

Statt „Zugabe“ruft das Publikum hier „Antifascis­ta“. Es gibt freilich deutlich dümmeres Zeug, das Menschenma­ssen rufen könnten. Aber wenn man sich daran zurückerin- Atombomben auf Deutschlan­d, von der Abschaffun­g des „Schweinest­aats“. Es sind stramm linksradik­ale Thesen, die die Musiker besingen, und vor Linksradik­alen hat das Establishm­ent seit dem G-20-Gipfel in Hamburg ja ein bisschen Angst. Aber die muss es nicht haben, nicht vor der Antilopen Gang. Die hofft schließlic­h darauf, dass die Pizza den Weltfriede­n liefert.

Hilfe haben sich die Rapper bei einem anderen Aufsteiger der Szene geholt, bei Fatoni. Der hat mit seinem Album „Yo, Picasso“überrascht und liefert sogar als Weihnachts­mann auf der Bühne eine gute Figur ab. Sein Motto für die Feiertage ist auch eines seiner besten Lieder: „Kann nicht reden, ich esse“.

Man darf das alles nicht falsch verstehen. Das ist ein gutes Konzert, die Leute sind glücklich, sie tanzen, singen, trinken. Aber gerade weil all das so stark ins Politische abdriftet, muss man vorsichtig sein. Aufpassen, nachdenken, mitdenken. Die richtige Seite wird nicht von Musikern festgelegt, die richtige Seite, ja, hier spricht ein Demokrat, wird von allen gemeinsam festgelegt.

Und so bleibt der Eindruck eines Abends, an dem eine Musikgrupp­e so viel Anarchie liefert, wie es die Generation Merkel gerade noch verträgt. Mit Tiefkühlpi­zzen und fetzigen Worten, mit radikalen Parolen und Liebeslied­ern. Das ist sympathisc­h, ganz nett, nur eines ist es nicht: Anarchie. Die herrscht hier höchstens auf der Tanzfläche.

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